Als junger Theologe hautnah beim Konzil
.... was ich bis heute als Schatz in mir trage

Zehn Jahre studierte ich Theologie am Collegium Germanicum et Hungaricum. Was ich vorher nicht wissen konnte: in dieser Zeit sollte in Rom ein kirchengeschichtliches Großereignis stattfinden, in das wir als Studenten hinein katapultiert werden würden und das uns tief geprägt hat.

Ich erlebte das II. Vatikanische Konzil von seinem Anfang bis zu seinem Abschluss (1962-1965), seine Ankündigung durch Papst Johannes XXIII. (1953) und die beginnende Zeit der Umsetzung des Konzils unter Paul VI. (1965-1968). Beide Päpste haben ihre unverwechsliche Note beigetragen.

Zunächst war es der unbeschreibliche Wagemut von Johannes XXIII. und sein Vertrauen in die Bischöfe der Weltkirche, die eine Entwicklung in Gang setzte mit Auswirkungen weit über die Christenheit hinaus. Die Weltöffentlichkeit war elektrisiert. Aus Deutschland entsandte die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Josef Schmitz van Forst, einen Sonderkorrespondenten, dessen Kommentare großen Einfluss auch auf das Konzil hatten und die die deutsche Leserschaft immer mehr für das Ereignis in Rom interessierten. Der Jesuit Mario von Galli vermochte mit seinen Berichten in der Zürcher Monatszeitschrift „Orientierung“ weite Kreise der Kirche für Fragen und Themen des Konzils zu sensibilisieren.

Durch Vermittlung von P. Bea und auf Wunsch von Johannes XXIII. wurden aus allen Kirchen und Ländern Beobachter eingeladen, sog. „Osservatori“, die mitarbeiten konnten, wo und wie sie wollten. Sie durften, auch wenn sie kein Stimmrecht hatten, an den Kommissionssitzungen und Arbeitsgruppen des Konzils teilnehmen. Ihnen wurden sämtliche Dokumente der Vorbereitung und des laufenden Prozesses zur Verfügung gestellt.

Anteilnahme der Welt und der anderen Kirchen

Außerdem wurden große Theologen, die zum Teil unter der Zensur des Hl. Offizes gelitten hatten, von Johannes XXIII. als „Periti“, als Konzilstheologen berufen: Henri de Lubac, Yves Congar, Charles Chenu, Joseph Fuchs, Joseph Ratzinger, Karl Rahner oder Hans Küng.

Was ich damals wahrgenommen habe und im Rückblick noch deutlicher sehe, ist die Nähe zwischen Bischöfen und Theologieprofessoren. In dieser Form hat es sie seither nicht mehr gegeben. Es entwickelte sich unter den Bischöfen, aber ebenso unter den Professoren und mit ihnen eine Communio, die Glaube und Leben und Verantwortung für die Kirche zusammenführte. Das Ergebnis war ein tiefes im Dialog erarbeitetes Einverständnis zwischen Bischöfen und Theologen. In diesen Denk- und Lebensprozess waren auch die zahlreichen nicht-katholischen Theologen und Amtsträger einbezogen, die sich als „Osservatori“ auf Einladung des Papstes, zur Verfügung gestellt hatten. Hier entwickelte sich ein ökumenischer Umgang, der von tiefem Vertrauen und Respekt, ja von tiefer Freundschaft geprägt war.

Im Dialog erarbeitetes Einverständnis von Bischöfen und Theologen

Wir Studenten des Kollegs hatten das Glück, unter einem Dach mit einigen Konzilsteilnehmern zu leben: mit Kardinal Julius Döpfner, Erzbischof von München, und Bischof Josef Stimpfle von Augsburg, mit Döpfners Konzilsberater Karl Rahner, mit dem Jesuit Prof. Dr. Otto Semmelroth oder dem evangelischen Theologen und Beobachter Kristen Ejner Skydsgaard aus Kopenhagen. Wir konnten damals in Rom all den Personen direkt begegnen, die durch ihre Theologie oder durch ihr mutiges Leben nach der Weisung des Evangeliums neue Wege gingen oder eröffneten.

Mit fiel die Aufgabe zu, Referenten für Vorträge, Gespräche und Begegnungen zu finden. Hier konnte ich auf einen quasi unerschöpflichen Pool zurückgreifen. Viele nahmen die Einladung an, zu uns deutschen Theologiestudenten zu kommen: Henri de Lubac, Yves Congar, Charles Chenu, Joseph Fuchs, Mario von Galli. Ebenso sprachen Theologen wie Joseph Ratzinger, Karl Rahner und Hans Küng zu uns.

Wohn- und Denkgemeinschaft mit Persönlichkeiten der Kirche

Ich besuchte auch den Prior von Taizé an der Piazza Venezia, der mit einigen Brüdern eigens in Rom eine Wohnung gemietet hatte, um das Konzil aus der Nähe durch Gebet und freundschaftliche Nähe zu begleiten. Gern kam er ins Kolleg. Wir waren beeindruckt, dass er sich beim Betreten unserer Kapelle vor der Eucharistie nieder kniete.

In den vier Sitzungsperioden des Konzils wurde heftig gerungen. Die Ergebnisse fielen nicht vom Himmel. Wir erlebten echte Krisen. Die Zeitungen der Welt berichteten darüber. Die unterschiedlichen Parteiungen wurden offen gelegt. Am schwarzen Brett im Kolleg hingen Entwürfe und halbfertige Dokumente. Wir erlebten Bischöfe mit Zeit, sich in den vier Monaten der jeweiligen Sitzungsperiode den Fragen zu stellen, sie zu studieren und untereinander zu beraten. Alles lief in einer noch heute beeindruckenden Offenheit und Freiheit miteinander ab. Sie diskutierten und suchten nach Lösungswegen, ohne das Dogma, die Tradition oder das Evangelium aus dem Blick zu verlieren.

Beratungen und Diskussionen im Raum der Freiheit

Und wir jungen Theologen waren einfach einbezogen. Wir erlebten, dass das Konzil ein Raum der Freiheit war, in dem vieles auf den Tisch kommen konnte, was in den Jahrzehnten zuvor niemand für möglich gehalten hatte. Zwar musste manchmal der Papst eingeschaltet werden, doch es zeigte sich gerade auf diesem Konzil, welchen echten Dienst der Einheit die Päpste taten.

Diesen Raum genossen während des II. Vat. Konzils in besonderer Weise die Bischöfe aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang. In St. Peter, dem römischen Petersdom, der zur Konzilsaula umgebaut worden war, konnten diese Bischöfe auf einmal ohne Beobachtung und Bespitzelung frei miteinander reden. In den Wandelgängen der Seitenschiffe von St. Peter entwickelten die polnischen Bischöfe den Plan, mit den deutschen Bischöfen Kontakt aufzunehmen und an der Versöhnung von Deutschland und Polen zu arbeiten. Beide Länder waren ja durch den Krieg und seine Folgen bis ins Mark getroffen. Die Polen waren mit Krieg überzogen und die Deutschen nach dem Krieg aus Schlesien, Ostpreußen und Tschechien vertrieben worden. Die Initiative der polnischen Bischöfe gipfelte in einen Brief an ihre deutschen Kollegen mit dem Satz: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“. Dafür wurden sie später in der polnischen Öffentlichkeit als Verräter hingestellt und verdienen bis heute unsere Anerkennung und Würdigung.

Brücke zwischen Ost und West

Eine weitere Neuigkeit war das neue Verhältnis zu den Juden und zu den Christen anderer Kirchen. Hier zeigte sich die ganze Erfahrung von Johannes XXIII., der vor dem 2. Weltkrieg als apostolischer Delegat im orthodox geprägten Bulgarien wirkte und während des Krieges in Konstantinopel tätig war. Dort lernte er sowohl die Not der Orthodoxie kennen als auch die Praxis der Judenverfolgungen. Auf seine Initiative konnten sogar Eisenbahnzüge an der Weiterfahrt nach Auschwitz gehindert werden. Es war Johannes XXIII. wichtig, noch vor Beginn des Konzils, Kontakte zu Vertretern des Judentums und der nicht-katholischen Kirchen aufzunehmen und sie in die Vorbereitungen einzubeziehen. Das damit beauftragte Sekretariat vertraute er dem Jesuitenpater Augustin Bea an, damals Professor für Bibelwissenschaft an der Päpstlichen Universität Gregoriana.

Paul VI. setzte diese Linie konsequent und gewissenhaft fort. Er suchte schon bald den persönlichen Kontakt zum Ökumenischen Patriarchen Atenagoras von Konstantinopel, dem Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirche. Und ungläubig nahm die Weltöffentlichkeit durch das Fernsehen an einem Zeichen der Einheit zwischen den bis dahin verfeindeten Kirchen teil. In einem Aufsehen erregenden Besuch im Lande Jesu begegneten sich Papst und Patriarch in Jerusalem und umarmten sich als Brüder im Glauben. Dies war ein Durchbruch, der bis heute Folgen hat. Noch im Hl. Land lud Paul VI. den Patriarchen in den Vatikan und zu einem Besuch an die Apostelgräber von Petrus und Paulus ein. Diese gegenseitigen Besuche, die in Konstantinopel von einer katholischen Delegation des Vatikans erwidert wurden, sind zu einer echten und festen Tradition beider Kirchen geworden.

Nähe zwischen den Kirchen

Was uns heute so selbstverständlich erscheint, war damals eine Sensation: der erste offizielle ökumenische Gottesdienst aller am Konzil vertretenen Kirchen. Die Ansprache des Papstes am 25. Januar 1965 in St. Paul vor den Mauern, am Grab des Apostels Paulus, ist mir in lebendiger Erinnerung. Paul VI. bezeichnete sich darin als Diener Jesu Christi, dessen Größe ablesbar sei an der kleinen Stifterfigur von Papst Honorius III., der klein zu Füßen Jesu kniete. Nicht größer und nicht kleiner als diese Figur auf dem Mosaik sei der Papst.

Ein weiteres unvergessliches Zeichen für eine demütige, einfache und der äußeren Macht entsagenden Kirche war die neue Kopfbedeckung des Papstes. Statt der damals üblichen dreifachen Krone trug er fortan eine Mitra, den einfachen Bischofshut.

Die vielen Durchbrüche, die das Konzil mit sich brachte, können hier nicht aufgelistet werden. Doch noch heute kann ich mich besonders freuen:

Wir Studenten hatten den Eindruck, dass das Konzil eine Ernte einfuhr, die in den Jahrzehnten zuvor ausgesät worden war. Ich denke an die Bibelbewegung, die liturgische Bewegung vieler Benediktinerklöster in Nordeuropa und die sich entwickelnden geistlichen Bewegungen. Aber vor allem erinnere ich an die Una-Sancta-Bewegung, die in den Drangsalen des 2. Weltkrieges, zum Teil unmittelbar bei den Soldaten unterschiedlicher Konfession in den Schützengräben, als so gute Saat gewirkt hat. Diese Momente tiefen Verständnisses und tiefer Begegnung sind im Konzil ans Licht gekommen und haben ihren guten Einfluss ausgeübt.

Das Gebet des Bischofs Isidor von Sevilla, das an jedem Sitzungstag des Konzils zu Beginn gebetet wurde, geht bei mir bis heute mit:

Aus: PRISMA, 02/2012

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