Jahresrundbrief 1997

20. Januar 1997

Liebe Freunde, Verwandte und Bekannte!

dieser Brief ist ein Dankesbrief auf eine Flut von Weihnachtspost, die zu beantworten ich gerade in diesem Jahr einfach nicht in der Lage war. Um aber doch ein kleines Dankeschön zu sagen, schicke ich diesen Jahresrundbrief. Die Zeit von Weihnachten bis jetzt war so dicht, dass ich erst jetzt dazu gekommen bin, diesen Brief auszuformulieren. Ich bin aber sehr froh, dass es doch möglich wurde, noch vor meinem Urlaub in Alghero, den ich morgen antrete, diesen Brief fertigzustellen.

Jetzt im 3. Jahr meines Lebens im Priesterseminar in Münster kann ich sagen, dass ich mit allen Aufgaben und Umständen vertraut bin. Dass wir zu 4 Priestern hier im Hause sind, dass drei Schwestern mit uns leben, dass wir in Küche, Hauspflege und Sekretariat gute Kräfte haben, ist heute nicht selbstverständlich.

Ein ganz besonders Ereignis war die Pastoralfahrt des Presbyteratskurses im 1. Halbjahr nach Tschechien (Kloster Osek, Leitmeritz) und Schlesien (Neisse, Trebnitz, Breslau). Dabei konnte die Partnerschaft mit dem Priesterseminar von Neisse weiter vertieft werden, was uns allen sehr viel gegeben hat. Ich habe die außerordentlich freundliche Aufnahme und die herrliche Gegend sehr genossen.

Die Priesterweihe am 18. Mai im Dom zu Münster war ein großes Fest. Es war für mich sehr ergreifend, die Namen der 15 Weihekandidaten aufzurufen und sie dann vor dem Altar ausgestreckt liegen zu sehen.

Zum Ende des Sommers feierten wir das 25jährige Priesterjubiläum unseres Spirituals Dr. Paul Deselaers, der jetzt schon seit etwa 17 Jahren im Priesterseminar tätig ist, und durch dessen Hand ganze Generationen von jungen Priestern gegangen sind und gehen.

Außergewöhnliche Tage durfte ich mit dem dann folgenden Diakonatskurs, den elf frisch ins Priesterseminar gekommenen Seminaristen, bei der „Schriftwoche“ auf der Nordseeinsel Wangerooge verbringen. Als Thema hatten wir die Offenbarung des Johannes, die Apokalypse gewählt.

Im Spätherbst verwandelte sich dann unser Haus in ein Meer von Farbe, weil zwei junge Künstlerinnen, Lioba Knepple und Fiamma (Hae Kyong) Han, mit ihren Aquarellen unser Haus belebten und viele Besucher ins Priesterseminar zogen, die die Ausstellung „Umbrüche, Einbrüche, Aufbrüche“ sehen wollten. Das Weihnachtsfest feierten wir besinnlich bei uns im Haus, festlich in der Christmette des Doms um Mitternacht und engagiert zusammen mit den vielen Strafgefangenen der Justizvollzugsanstalt in Münster an der Gartenstraße, bei deren Gottesdienst am 1. Feiertag morgens um 8.00 Uhr alle Seminaristen zur Stelle waren.

Auch in diesem Jahr haben wir die Kontakte zum evangelischen Predigerseminar von Soest gehalten und verstärkt, auch in solidarischer Trauer darüber, dass die Finanzprobleme der evangelischen Kirche von Westfalen dazu führen, dass das Gebäude des Predigerseminars geschlossen werden muß und die Aufgaben in ein anderes Bildungshaus verlegt werden. Eine besondere Freude war es für uns, dass mehrere Vikare und Vikarinnen sowohl an der Studienwoche zur Ökumene als auch an der Studienwoche zu den Themen „Taufgespräch und Taufpredigt“, „Traugespräch und Trauungspredigt“ aktiv teilgenommen haben. Höhepunkt dieser Begegnungen war dann die Teilnahme der gleichen Gruppe an unserer Priesterweihe im Dom.

Von besonderer Bedeutung war für mich in diesem Jahr auch die Mitarbeit am Diözesanforum, das unter dem Thema „Mit einer Hoffnung unterwegs“ stand. Hier habe ich in der Kommission 9, wo es vor allem um die pastoralen Dienste in der Gemeinde ging und in der Vollversammlung des Forums aktiv mitgearbeitet und mich auch in manchen Redebeiträgen einbringen können. Das Diözesanforum hat wirklich die Kraft gehabt, die ganze Bandbreite dessen, was in unserem Bistum zur Zeit angesichts so vieler Probleme gedacht und gesagt wird, zusammenzuführen und zu Lösungsansätzen zu kommen, die neue Signale für die Zukunft setzen. Beeindruckend beim Diözesanforum war für mich, wie sich unser Bischof Dr. Reinhard Lettmann einbringen konnte. Sein Anliegen war es immer, die vielen Diskussionsbeiträge aufzunehmen, aber auch die Einheit mit dem Papst und der Gesamtkirche nicht aus dem Blick zu verlieren.

Wichtige Tage waren für mich auch in diesem Jahr die regelmäßigen Treffen im Priesterfokolar. Eine seit längerer Zeit fällige Neuordnung brachte mir den Vorteil, mich jetzt mit 5 Fokolarpriestern, die in Münster wohnen, praktisch jeden Mittwoch treffen zu können. Meist gehen wir ins Pfarrhaus nach Thomas Morus, wo einer der Brüder auch für das Mittagessen sorgt. Es sind geistliche Tage, die von Meditation, Gebet und Austausch geprägt sind. Besonders froh bin ich darüber, dass darüber hinaus 4 weitere junge Mitbrüder regelmäßig zu uns kommen. Meiner Verantwortung als Delegierter für den Priesterzweig im Fokolar komme ich nach durch regelmäßige Treffen mit den Priesterfokolarverantwortlichen (aus Hamburg, Achim - Bremen, Visbek, Paderborn, Arnsberg, Herten, Aachen) und durch meine Mitarbeit im Koordinierungsrat der Zone Solingen, wo ich alle 2 Monate mit etwa 40 engagierten Laien zusammentreffe. Es freut mich, dass in diesem Jahr ein besonderer Schwerpunkt die Kontakte mit den Muslimen und den Buddhisten war.

Besondere Freude habe ich weiterhin am Erstellen eines Lebensbildes des verstorbenen Bischofs Dr. Klaus Hemmerle, Aachen. Das Buch steht kurz vor der Vollendung. Die Fokolarin Maria Kuschel, für diese Aufgabe angestellt beim Büro Hagemann Solingen, ist mir dabei eine ganz große Hilfe. Ein richtiger Lichtblick waren die „Augenblicke“ einer Ausstellung mit Aquarellen von Bischof Klaus Hemmerle, die vom Marienhospital Aachen am 30.11. eröffnet wurde. Unvergeßlich war für mich jener Tag im Sommer, an dem der Chirurg vom Marienhospital Dr. Alexander Sikorski, der Priestermaler Herbert Falken und der Diözesanbaumeister i.R. Franz Reidt und ich aus den etwa 500 nachgelassenen Aquarellen von Klaus Hemmerle 70 für diese Ausstellung ausgesucht habene. Im Durchgehen dieser Aquarelle ist mir noch einmal die ganze Zeit in Alghero, wo die meisten Bilder gemalt worden sind, durch den Kopf und durch den Sinn gegangen. Gern habe ich für den Ausstellungskatalog „Augenblicke“ einen Beitrag geschrieben.

Am 25. April war ich in Bonn zur konstituierenden Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, die - wie auch sonst - in der herrlich geschmückten Stadthalle von Bonn - Bad Godesberg stattfand. An diesem Tag wurde ich auch Mitglied des ZdK, weil ich von der Vollversammlung als Einzelpersönlichkeit, zu meiner großen Freude mit einer hohen Stimmenzahl im ersten Wahlgang, ins Zentralkomitee gewählt wurde. Mein Engagement in der nächsten Zeit wird sich vor allen Dingen auf die Mitarbeit im Gesprächskreis „Juden und Christen“, der mir sehr ans Herz gewachsen ist, konzentrieren. Ich habe mich auch gefreut, dass ich für einige Foren des Katholikentags von Mainz in deren Vorbereitung miteinbezogen wurde. Besonders erfreut aber bin ich darüber, dass im Februar 1997 endlich ein Nachfolger für meine Stelle anfangen konnte, Rektor Michael Becker aus dem Bistum Trier.

Auch in diesem Jahr habe ich sehr tiefe und gute Begegnungen mit meinen Geschwistern und mit der weiteren Großfamilie haben dürfen. Ein besonderer Höhepunkt war die Silberhochzeit meines jüngsten Bruders Burkhard und dessen Ehefrau Dr. Gabriele Hagemann in Altenstadt bei Weiden. Alle Geschwister waren gekommen, undauch ein Überraschungsbesuch: Plötzlich stand mit seiner Ehefrau unser Cousin, Hans-Josef Hagemann, der jüngste Sohn meines Taufpaten Onkel Hans, vor der Tür. An den außerordentlich warmen Worten, die der Ortspfarrer am Sonntagmorgen zu Beginn der Messe, die ich in der dortigen Pfarrkirche feiern durfte, für meinen Bruder und dessen Frau fand, konnte ich ermessen, in wie hilfreicher und intensiver Weise beide sich in ihrer Pfarrgemeinde engagieren. Endlich konnte ich einmal wieder das Sakrament der Taufe spenden für die kleine Luise, Enkelin meiner Schwester Lioba, Tochter von Ekkehard und Sonja. Die Taufe fand in der Überwasserkirche statt, der Marienkirche, die unmittelbar neben dem Priesterseminar liegt.

Ein schwerer Tag war für uns alle der Sterbetag und auch der Beerdigungstag von Tante Maria Winterberg, die am 1.12.1997 im Alter von 90 Jahren in Wilhelmshaven gestorben ist. Tante Maria, Realschullehrerin i.R., hat die letzten Lebensjahre bei meiner Schwester Hildegard, sozusagen oberhalb der Engelapotheke, verbracht. Dass Tante Maria noch diese gute Zeit bei Hildegard verbringen, und dass sie zuhause sterben konnte, hat uns alle sehr beeindruckt. Ihre Beerdigung war, auch wenn alles so traurig war, doch ein kleines Fest, an dem sich die ganze große Familie in Wilhelmshaven eingefunden hat. Ich war sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, für sie das Requiem feiern zu können.

Ein besonderes Erlebnis war für mich im vergangenen Jahr eine Reise in die USA. Wenn es auch nur zwölf Tage waren, so war doch diese erste Begegnung mit den Vereinigten Staaten wirklich überwältigend und außerordentlich anregend. Sehr schön war auch, dass ich in der Begleitung von zwei Berufskollegen fahren konnte, dem Regens von Bochum und dem Regens von Paderborn. Wir hatten uns vorgenommen, einige Priesterseminare in den Vereinigten Staaten zu besuchen, um herauszubekommen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Zielen dort junge Männer zu Priestern herangebildet werden. So kam es zu sehr interessanten Begegnungen in New York, Washington, Dallas und Chikago. Hilfreich war für uns dabei auch der Kontakt zur Fokolar-Bewegung, die uns an all diesen Orten einfach hilfreich zur Seite stand, Gastfreundschaft gewährte und viele Verbindungen zu hr unterschiedlichen Menschen ermöglichte. Den „Ertrag“ dieser Reise können Interessierte in dem Reisebericht „12 Tage zu Gast in den USA“, den ich veröffentlicht habe, nachlesen.

Eine Labsal für Geist und Seele und auch für den Leib waren die Tage in Bad Grönenbach im Kurhotel „Allgäuer Tor“, wohin mich mein Hausarzt in Münster zu einer Rundumerneuerung entsandt hatte. Das herrliche Allgäu, die sehr guten Anwendungen und auch die Gemeinschaft innerhalb der Kurgäste hat mir sehr gut getan. Langsam entwickelte sich an diesem Kurort eine kleine Personalgemeinde, die mit mir den Gottesdienst an unterschiedlichen Orten besuchte. Ich hatte es mir einfach zur Regel gemacht, jeden Abend die hl. Messe zu besuchen, wozu schließlich 7 verschiedene Dorfkirchen nötig waren, zu denen ich einfach hingefahren bin und meist von der Bank aus am Gottesdienst teilgenommen habe. Einige Gottesdienste habe ich auch in der Pfarrkirche von Bad Grönenbach gehalten und konnte erleben, dass etwa 1/3 der Kurgäste, nachdem dieses Faktum bekannt war, zum Gottesdienst in diese Kirche gekommen sind. Ich staunte über die Offenheit so vieler Menschen für Gott und für das Gebet. Am 1. Advent trafen sich die wichtigsten Mitglieder meiner kleinen „Gemeinde“ in Münster. Auch hier feierten wir Gottesdienst und besuchten gemeinsam die Stadt und tauschten uns in einer ganz großen Einfachheit und Geschwisterlichkeit aus. Ich hätte nicht gedacht, dass in so schneller Zeit eine so tiefe und auch für jeden offene Gemeinschaft entstehen kann.

Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückschaue, fällt mir auf, dass es schriftstellerisch ein besonders fruchtbares Jahr war. Ich liste einfach einmal auf, was ich da so geschrieben habe:

Am Ende dieses Briefes möchte ich allen danken, die mir in diesem Jahr geschrieben haben, die sich mir verbunden wissen, und die mich mit ihrem Gebet begleiten. Ich möchte auch meinerseits versichern, dass ich Sie alle im Gebet nicht vergesse.

Mit herzlichen Grüßen

Wilfried Hagemann

zurück