Predigt zum Jahresamt von Bischof Klaus Hemmerle

Verehrte Herren Bischöfe,
liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt,
liebe Brüder und Schwestern!

„Bischof Klaus, warum hast Du eine so lange Nase“, fragte ein junger Schüler den damaligen Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle. Mit der Antwort war der Junge ganz zufrieden: „Weil der Bischof seiner Herde immer eine Nasenlänge voraus sein sollte“. Tatsächlich, Bischof Hemmerle, mehr noch auch der Mensch und Professor Klaus Hemmerle war immer auf der Suche, er liebte die Wege, er erspürte mit seinem Hirtenstab und mit seinem ganzen Wesen die Wege Gottes in seinem Leben und im Leben der Kirche. „Was ist jetzt der Wille Gottes, wohin will er uns führen“, das war eine Frage, die einfach mit ihm ging. Und dann kam ein ganz waches Aufmerksamsein für das Gegenüber, für die je andere Person und ebenso für die immer neue Situation hinzu und ganz natürlich mit dem Blick auf die immer neue Vorgabe im Wort Gottes des jeweiligen Tages. Das heutige Tagesevangelium hat ihn zeit seines Lebens immer neu angesprochen. Von dort hat er seinen bischöflichen Wahlspruch genommen: Omnes unum ut mundus credat -- alle eins, damit die Welt glaubt (Joh 17, 21). Im Abendmahlssaal, wo Jesus diese Wort betete, wusste sich Klaus Hemmerle ganz zu Hause.

Ich danke Ihnen sehr, lieber Herr Bischof Heinrich, dass Sie mich an diesen Altar und zu diesem Tag eingeladen haben. An diesem Altar zu stehen, wo Bischof Hemmerle so oft die hl. Liturgie feierte und selber das Wort Gottes verkündet hat, an diesem Altar mit dem Antependium aus purem Gold aus der Zeit von Otto III,, auf dem ein Christusbild aufscheint, das Bischof Hemmerle so sehr beeinflusste: Christus der Auferstandene, in der Mitte der Seinen. Immer wenn wir Liturgie feiern, wird der Auferstandene Herr unsere Mitte.

Wie wurde dieser Bischof von Gott auf seine Aufgabe vorbereitet? Ich glaube, Gott macht es bei jedem anders. Bei Klaus Hemmerle ist mir seine unglaubliche Wachheit, seine Sensibilität und Aufmerksamkeit für den Mitmenschen, für en Anderen, für Gott und die Welt immer wieder neu aufgefallen. Das hat er sicher schon von seinem Vater Franz Valentin, dem Freiburger Künstler und Maler, und seiner Mutter Maria, einer kreativen interessierten Köchin und Gastwirtstochter, empfangen. Als kleiner Bub lernte er das Laufen nicht so leicht. Aber als eines Tages ein kleiner Vogel ganz in seiner Nähe war, sprang er unvermittelt auf und lief ihm nach, dies waren seine ersten eigenen Schritte -- ins Leben, auf den anderen zu, mit diesem tiefen Interesse an diesem anderen, den er einfach verstehen wollte. Eine wichtige Etappe in seiner Entwicklung war die Begegnung mit der Musik und der Kunst, mit der Philosophie und dem Denken überhaupt. Seinen philosophischen Lehrer Prof. Dr. Bernhard Welte verehrte er bis an sein Lebensende. Dieser führte ihn ein in die Phänomenologie, in das Sehen, in das Verstehen, eben nicht beim ersten Eindruck stehen zu bleiben, sondern tiefer zu fragen und tiefer zu sehen, eben das Wesentliche wahr zu nehmen, die Wahrheit des Anderen zu erkennen und gelten zu lassen. Er wollte, dass sich alles und jedes, erst recht jeder Mensch zeigen durfte, was und wer er ist. Er wollte durchkommen bis zum Wesentlichen, zum Positiven, zum Guten. Wie oft hat er mich dann selbst in diese Schule des Sehens genommen, die von Husserl und Heidegger herkam und seinerzeit weit vor Klaus Hemmerle auch Edith Stein so beeindruckt und dann auch zum Glauben geführt hatte.

Diese Spur vertiefte sich dann noch einmal und, so möchte ich sagen, potenzierte sich, als er Chiara Lubich und die Fokolar-Bewegung kennen lernte. Er war wie elektrisiert. Er lernte noch einmal neu das Revolutionäre der christlichen Liebe. Alle lieben, immer lieben, den jeweiligen Nächsten lieben, weil er in ihm Jesus selbst finden konnte, der sich für diesen Menschen hingegeben hat und sich ihm als Bruder ganz verbunden hat. In der Begegnung mit dem Fokolar fand er das Ideal der Einheit, eine so geerdete Theologie des Kreuzes und darin einen Weg, dem Auferstandenen in der Mitte der Seinen immer neu zu begegnen. Es war sein Spiritual im Priesterseminar, Dr. Rudolf Hermann, der ihm diesen neuen Weg in der Kirche erschlossen hat. Mit Rudolf Hermann und anderen Priestern in Süddeutschland macht sich Klaus Hemmerle auf, die Einheit zu leben, wie man im Fokolar sagt. Es ging um eine ganz konkrete die praktische Gütergemeinschaft mit einschließende Communio zunächst unter Priestern, die sich regelmäßig, meist Mittwochs, treffen, mit dem Ziel sich aus der immer wieder erneut erfahrenen Einheit mit Christus heraus, dem Nächsten, der Pfarrei, der Kirche und der jeweiligen Aufgabe zuzuwenden, oft mit verblüffenden Erfahrungen und Begegnungen, von denen er so gern berichtete.

Da ist es wieder, das Stichwort Begegnung. Seine Philosophie und seine Spiritualität führten ihn von Begegnung zu Begegnung.

Darum war es ein guter Griff des Erzbistums Freiburg, diesem damals noch jungen gerade promovierten Priester die neu gegründete Katholische Akademie Freiburg anzuvertrauen. In der Begegnung mit vielen Menschen, Glaubenden und Suchenden, "lernte er den Menschen", wie er gern sagte. Versuchte er, die Einheit zwischen Menschsein und Christsein, zwischen Kirche und Welt, zu verstehen und die darin liegenden Spannungen fruchtbar werden zu lassen. Sein phänomenologischer Blick half ihm dabei sehr, das Echte und Wahre im Anderen und in dessen Fragen zu entdecken und dann auch mutig frei zu legen. Hierbei entwickelte er eine hohe Kunst, die Kirche und ihre Tradition zu bezeugen. Man hatte einfach die innere Sicherheit, dass in Klaus Hemmerle ein Mann der Kirche sprach und handelte. So verwundert es nicht, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken auf ihn aufmerksam wurde, so dass die Deutsche Bischofskonferenz ihn 1968 zum Geistlichen Direktor des ZdK berief. Hier war er in unerhörter Weise in seinem Element. Er begann, auf dem Hintergrund des Konzils das Verhältnis von Kirche und Welt für sich selbst und für die Laienarbeit in Deutschland neu zu buchstabieren. Dabei gelang es ihm, den jeweils unterschiedlichen Dienst von geistlichem Amt und Auftrag der Laien theologisch zu unterscheiden, in der Unterschiedlichkeit und jeweiligen Eigenständigkeit aber für die eine Sache, dem Zeugnis für Christus in unserer Gesellschaft, fruchtbar werden lassen. Bei der Würzburger Synode und bei der Römischen Bischofssynode über den Laien leistete er ganz große Arbeit. Sehr bewusst hat der Bischof Hemmerle, auch im Auftrag der Bischofskonferenz, als Geistlicher Assistent mit dem ZdK gelebt und die großen Katholikentage von Aachen 1986, Berlin 1990 und Dresden 1994 besonders mitgeprägt.

Als er Bischof wurde, steigerte sich sein Mittun im Fokolar noch in besonderer Weise. Er startete als Bischof mit dem Wort seines Lebens: dass Alle Eins seien. Er wollte sein Bistum vom Wort Gottes her, vom gelebten Wort ansprechen. Er tat dies sehr diskret. Er sprach nicht vom Fokolar, er lebte es. Es ging ihm darum, alles aus dem WORT heraus zu entwickeln. Welche Freude hat es ihm bereitet, wie sich die fast unsichtbare Gemeinschaft der „Freunde im Wort“ bildete. Davon lebte er ganz besonders als Bischof, von hier bekamen seine Predigten die oft beeindruckende Wucht.
Diese Weise zu leben und zu denken führte ihn als Bischof fast wie von selbst dazu, andere Bischöfe anzusprechen, sich miteinander auf den Weg der Einheit zu machen. Wie froh war er und zugleich auch betroffen ob der Aufgabe, als ihn Chiara Lubich bat, sich der Bischöfe anzunehmen, die auf der ganzen Welt aus der Spiritualität der Einheit lebten. So entwickelte sie mit ihm die, wie sie heute genannt wird, Bischofsbewegung. Als er die erste Gruppe von zwölf Bischöfen dem Papst als dem geistlichen Vater vorstellte, fragte ihn dieser ganz unvermittelt: „Und wo sind die evangelischen Bischöfe?“ So haben sich die tiefen ökumenischen Kontakte bei den jährlichen Treffen von katholischen, evangelischen, anglikanischen, orthodoxen und altorientalischen entwickelt, die Bischof Hemmerle angestoßen, geführt und wesentlich geprägt hat. Diese Aktivitäten im Raum der Bischöfe und im Auftrag des Fokolars sind mit vatikanischer Zustimmung sogar in das Internationale Statut der Fokolar-Bewegung aufgenommen worden. Eine große Hilfe waren Bischof Klaus dabei auch die Kontakte des Bistums Aachen nach Kolumbien und der dortigen Bischofskonferenz. Es hat sich dann einfach ergeben, dass sich auch von dort Bischöfe durch die Bischofstreffen in Rom mit Chiara Lubich und Bischof Klaus zur gelebten Communio im Geist der Einheit angesprochen fühlten. Deswegen hat Chiara Lubich in ihrem Beileidsschreiben an die ganze Bewegung in der Welt Bischof Hemmerle ausdrücklich als „confondatore“, als Mitgründer bezeichnete. Dies bezog sich auch auf seinen Einfluss bei der Erhebung der Theologie, die - wie Bischof Hemmerle immer wieder sagte -, die ganze Spiritualität von Chiara Lubich durchdringt. Er gab den Anstoß zu einem internationalen Studienkreis von Mitgliedern der Fokolar-Bewegung, der sich monatlich in Rom trifft, der „Schule Abba“. Es ist ein hochkarätiger Kreis von Professoren und Professorinnen, die sich versammeln, um sich auf die Gegenwart des auferstandenen Jesus in ihrer Mitte einzulassen und in Seinem Geist die vielen, besonders die noch nicht veröffentlichten Schriften von Chiara Lubich anschauen und deren Theologie und Philosophie erheben. Im Hintergrund steht eine tiefe lebendige Sicht des dreieinen Gottes, wie sie Klaus Hemmerle in seinem postum veröffentlichten Buch „Leben aus der Einheit“ im Hinhören auf die Erfahrungen von Chiara Lubich dargestellt hat. Gerade in diesen Tagen hat sich als Frucht dieses Ansatzes die Gründung des Universitäts-Instituts SOPHIA in Loppiano bei Florenz ergeben, die vom Vatikan am 7.12.2007 approbiert wurde. Auch aus diesem Grunde nennt Chiara Lubich Bischof Hemmerle den Mitgründer der Fokolar-Bewegung.

Wir können heute einfach nur danken. Wir können uns dem lebendigen Gott im Sinne von Klaus Hemmerle mit einem Denken, mit einer Haltung nähern, die er schon 1967 meines Erachtens klassisch formuliert hat:
Wer das und den HEILIGEN denken will, kann nicht anders als von einem fassenden Denken zu einem lassenden Denken und dadurch zu einem sich verdankenden Denken zu kommen. Ein solches Denken verriet sich bei ihm in Worten wie: lassen, loslassen, warten, verlieren, eintreten ins Nichts oder wie er sagte ins Nulla, wie es eben der Gekreuzigte und mit ihm die von ihm so verehrte Mutter Maria getan hat: alles verlieren und loslassen auf Jesus hin, damit er es uns neu schenken kann.
Immer wieder hat er diesen Weg der Begegnung mit Gott im anderen, mit Jesus beschrieben und freigelegt.
Danken wir ihm, dass er uns auf diesem Weg so klar vorangegangen ist.

Amen.

Aachen, 19. Januar 2008

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