Lubich, Chiara, römisch-katholisch, Gründerin der Fokolar-Bewegung

*22.1.1920 in Trient als Silvia Lubich, †14.3.2008 in Rocca di Papa (Rom). - L. stammte aus einer Arbeiterfamilie. Sie war Grundschullehrerin und engagierte sich in der kirchlichen Jugendarbeit und im Dritten Orden der Franziskaner; dort nahm sie den Namen Chiara an. Ihr besonderes Interesse galt dem Studium der Philosophie, das sie wegen des Kriegs abbrechen musste. In ihrer leidenschaftlichen Suche nach der Wahrheit ging ihr auf, dass die Wahrheit eine Person ist: Jesus, die „menschgewordene Liebe“. Ihm wollte sie folgen. 1943 gilt als „Geburtsjahr“ der Fokolar-Bewegung. Die damals 23-jährige L. stellte ihr Leben durch ein Gelübde ganz Gott zur Verfügung. Gemeinsam mit einigen jungen Frauen begann sie ein Leben, das sich am Wort Gottes orientierte. Nach einem schweren Bombenangriff auf Trient im Mai 1944 bezog L. mit einigen, die ihr Leben teilen wollten, eine kleine Wohnung; das erste „Fokolar“ entsteht („focolare“, „Feuerstelle“ wurde diese Gemeinschaft genannt: ein Ort des Lichts und der Geborgenheit). Im Bemühen um die gegenseitige Liebe erfuhren sie die Gegenwart Jesu unter ihnen (vgl. Mt 18,20). Eine neue gemeinschaftliche Spiritualität entfaltete sich, in der die Einheit der Menschen Ziel und Ausgangspunkt ist – jene Einheit, um die Jesus seinen Vater gebeten hat: „Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21). Der Weg dazu führt über das Kreuz. Das Leben dieser ersten Gruppe zog Kreise; bald gehörten 500 Personen unterschiedlichen Alters, Frauen und Männer, zur entstehenden Bewegung. 1947 erfolgte eine erste kirchliche Anerkennung durch Erzbischof Carlo de Ferrari (Trient). 1948 entstand das erste Männerfokolar, seit 1950 weitere Fokolargemeinschaften in Italien und verschiedenen Ländern Europas und Südamerikas. Heute ist die Fokolar-Bewegung weltweit verbreitet. 1962 erfolgte die kirchliche Anerkennung des Fokolars durch Papst Johannes XXIII., 1990 die Approbation des Allgemeinen Statuts der Fokolar-Bewegung durch den Päpstlichen Rat für die Laien. - Ziel der Fokolar-Bewegung ist, den Geist der Geschwisterlichkeit und Einheit in Kirche und Gesellschaft zu stärken. Die Liebe als tragender Grund und Mitte des Lebens prägt ihre Spiritualität. 1959 und Anfang der Sechzigerjahre kam es zu Kontakten mit evangelischen Christen (Bruderschaften, Darmstädter Marienschwestern). 1961 gründete L. das Centro Uno, das als zentrales Sekretariat die ökumenischen Kontakte und Initiativen weltweit koordiniert und Kongresse am internationalen Tagungszentrum in Castelgandolfo bei Rom sowie ökumenische Schulungen veranstaltet. L. hatte zahlreiche fruchtbare Treffen mit Persönlichkeiten verschiedener Kirchen: H. Dietzfelbinger, dem damaligen evangelisch-lutherischen Landesbischof von Bayern; dem Prior von Taizé R. Schutz; dem Primas der Kirche von England Erzbischof M. Ramsey (1966); dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Athenagoras I. (ab 1967 24-mal); diese Kontakte gingen auch mit den jeweiligen Nachfolgern im Amt weiter. 1967 begannen Kontakte mit führenden Vertretern des ÖRK in Genf und mit reformierten Christen in der Schweiz. U. a. in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz gibt es Fokolargemeinschaften mit Mitgliedern verschiedener Kirchen. Seit 1967 arbeitet die Fokolar-Bewegung im Ostkirchlichen Institut Regensburg mit. Die Fokolar-Siedlungen in Ottmaring bei Augsburg (1968), im schweizerischen Baar (1981) und Welwyn Garden City bei London (1986) sind bekannte ökumenische Begegnungsorte; 1981 gründete L. „Ökumenische Schulen“, um unter den Angehörigen der Bewegung das Kennenlernen der verschiedenen Traditionen und die gegenseitige Wertschätzung zu fördern. Die vielfältigen Beziehungen L.s zu Bischöfen anderer Kirchen sowie eine entsprechende Anregung von Johannes Paul II. veranlassten den Aachener Bischof Hemmerle (†1994), zu regelmäßigen internationalen ökumenischen Bischofstreffen einzuladen, bei denen L. einzelne Aspekte ihrer ökumenischen Spiritualität vorstellte. Seit 1982 treffen sich Bischöfe und Verantwortliche verschiedener Kirchen, um die Gemeinschaft untereinander zu fördern und den Dialog auf der theologischen Ebene zu vertiefen. 1997 stellte L. auf der 2. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz Grundzüge einer ökumenischen Spiritualität vor; diese schöpften aus dem Charisma der Einheit, das als solches von der katholischen Kirche anerkannt ist; L. konnte auch auf die langjährige ökumenische Erfahrung ihrer Bewegung zurückgreifen. Am 31.10.1999, dem Tag der Unterzeichnung der GER, traf sich L. in Ottmaring mit 15 Bewegungen und Kommunitäten verschiedener Kirchen. Seitdem sind mehr als 250 christliche Bewegungen und Gemeinschaften auf einem Weg gegenseitiger Freundschaft. L. gab wichtige Impulse für das geistliche Miteinander unter ihnen und deren Engagement in Kirche und Gesellschaft. 2008 erhielt das internationale Leitungskomitee „Miteinander für Europa“ den Ökumenepreis der Initiative „Unità dei Cristiani“. L. selbst, die für ihr Wirken zahlreiche Auszeichnungen erhielt, hat die Ökumene der Fokolar-Bewegung als „Dialog des Lebens“ bezeichnet im Dienst an der Einheit der Christen. Wenn Christen als Schwestern und Brüder verschiedener Kirchen gemeinsam das Evangelium leben und die gegenseitige Liebe untereinander vertiefen, entdecken sie, wie groß der gemeinsame Reichtum des christlichen Erbes ist und dass sie zum einen Volk Gottes gehören. - Eine Frau, die im katholischen Milieu verwurzelt war, konnte mit ihrer Leidenschaft für die Einheit, ihrer Sensibilität für den Geist Gottes und ihrem entschiedenen Gehorsam gegenüber ihrer Kirche ein internationales Werk aufbauen, das von seinem innersten Wesen her dem Dialog und der Ökumene verpflichtet ist und viele Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils vorweggenommen hat.

WW: Alles besiegt die Liebe, 1998; Alle sollen eins sein, 1999; Der Schrei der Gottverlassenheit, 2001; La dottrina spirituale, 2006; Il Dialogo è vita, 2007.

Lit.: F. Zambonini, Die Welt wird eins. Im Gespräch mit der Gründerin der Fokolar-Bewegung, 1998; M. Zanzucchi (Hg.), Chiara Lubich. Il cielo e l'umanità, 2009.

In: Jörg Ernesti, Wolfgang Thönissen (Hrsg.),
Personenlexikon Ökumene, Freiburg 2010, S. 138 - 140

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