Die Pfarrgemeinderatswahl – Chance für eine menschennahe Kirche
„Ich bin erst vor einigen Jahren Christ geworden, nicht durch Belehrung und nicht durch eine unverhoffte Offenbarung, sondern weil ich (…) viele Monate mit Leuten der Kirche zusammen gearbeitet habe, die einfach nur ihren Nächsten auf der Schattenseite des Lebens helfen wollten, ganz gleich welcher Herkunft oder Religion sie waren. Mitten auf der Straße hat mich zum ersten Mal der Geist Gottes angesprochen. Ich fühlte mich zu einer Aufgabe berufen, einer Aufgabe im Namen Gottes“.
Diese Worte könnten aus dem Brief an Diognet (siehe Anhang) stammen, einem Dokument der Urkirche, in dem die Sitten und das Wesen der Christen im städtischen Zusammenleben beschrieben werden. Sie wurden aber am 5. Februar 2009 in Washington beim Nationalen Gebetsfrühstück der Parlamentarier von Barak Obama vorgetragen. Eine Kirche, die auf die Straße geht und auf die Nöte der Menschen reagiert, wird auch heute den Glauben mit Überzeugung weitergeben und neues Leben erschließen.
Um welche Nöte geht es heute in unseren Städten? Ich denke an die sozialen Nöte in der letzten Lebensphase, an die Nöte von Alleinerziehenden, von Arbeitslosen, von Jugendlichen, die keine Orientierung mehr haben. Immer wieder begegnen mir folgende ‚elementaren’ Fragen:
Wer hilft mir beim Mittagessen im Altersheim? Ich bin allein stehend und kenne niemand.
Der Laden in meiner Nähe hat zugemacht. Wer hilft mir einkaufen, damit ich weiterhin in meiner Wohnung bleiben kann?
Ich bin allein erziehend und berufstätig. Manchmal wünsche ich mir eine Verschnaufpause. Ob jemand mal auf die Kinder aufpassen würde?
Ich würde gerne helfen, zum Beispiel im Hospiz oder im Krankenhausbesuchdienst, traue es mir aber nicht zu. Gäbe es wohl eine Begleitung, dann würde ich mitmachen.
Ich habe Nachmittags etwas Zeit und würde gerne Schulaufgaben betreuen, aber ich kenne niemand, dem ich es anbieten könnte. Was kann ich tun?
In den gerade entstehenden Großgemeinden gibt es ein noch nicht entdecktes großes Potenzial an Kompetenz und Hilfsbereitschaft, das gebündelt werden kann, um gezielt in den Feldern der Nöte eingesetzt zu werden. Hier bilden sich Andockmöglichkeiten für Menschen, die sich liturgisch weniger angesprochen fühlen, sich gleichwohl aber als Menschen und als Christen in die Gesellschaft einbringen möchten. Hier kann auch die Zusammenarbeit mit Christen anderer Kirchen über die Ebene von Bibelkreisen hinaus einen wichtigen Beitrag für das konkrete christliche Zeugnis im Alltag geben.
Angesichts der Finanznot der öffentlichen Hand kann freiwilliges Engagement, das aus einer christlichen Motivation erwächst, nicht nur ein echtes Angebot an die Gesellschaft sein, sondern macht Kirche in neuer Weise attraktiv. Sie bedient sich damit einer Art unmittelbar verständlichen Verkündigung, die keiner Worte bedarf.
Die katholischen Verbände (KAB, Kolping, kfd, KDFB, BDKJ mit ihren vielen Untergliederungen u.a.) sind auch heute in unseren großflächigeren Gemeinden nicht wegzudenken. Ihre unterschiedlichen Profile und Angebotsstrukturen machen es möglich, dass sich die verschiedensten Personen in der Pfarrei beheimatet fühlen. Die in jüngster Zeit hinzugekommenen Geistlichen Gemeinschaften, die sich bisher mehr auf diözesaner Ebene zusammen gefunden haben, können gerade wegen ihrer vielfältigen spirituellen Ansätze auch Menschen außerhalb der klassischen Gemeindestrukturen ansprechen. Sie dürfen in diesem Zusammenspiel der Gemeinde nicht fehlen.
Auch die Kleinen Christlichen Gemeinschaften (KCG), die mancherorts, gefördert von Missio/Aachen, ihre ersten Gehversuche machen und Bibellesung, Nachbarschaft und Diakonie miteinander verbinden, können zu einer basisorientierten Bereicherung werden.
Vielheit und Einheit gehören zusammen, ja bedingen sich gegenseitig. Gemeinde wird vergleichbar mit einem Garten, in dem viele Blumen sprießen. Wir könnten nur eine Blume anschauen, also unsere eigene Gruppierung. Aber ist es nicht angebrachter, uns an der Schönheit und Fülle aller Blumen zu freuen, die den Garten so einmalig erscheinen lassen? So kann sich falsche Konkurrenz in gegenseitige Bereicherung wandeln.
Wer sich heute für den Pfarrgemeinderat aufstellen lässt, übernimmt eine nicht leichte Verantwortung. Er / Sie ist bereit, die unterschiedlichen Ansprüche und Erwartungen der Gemeindemitglieder, die vom Wunsch nach Bewahrung der bisherigen Gemeindestruktur bis zu einer grundsätzlichen Neuorientierung gehen, wahrzunehmen.
Die Gemeinden wünschen sich Vertreter, die die Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung verstehen. Dabei haben sie nicht nur die Kirchgänger im Blick, sondern auch die anders denkenden Partner oder die scheinbar „uninteressierten“ Kinder und Enkel.
Gefragt sind Personen, die nahe bei den Menschen sind, wie es das Zweite Vatikanische Konzil so treffend ausgedrückt hat:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die Allen auszurichten ist.“
(Gaudium et Spes, Die Kirche in der Welt von heute, Nr.1)
In einer Zeit, in der die diakonische Dimension des Christ-Seins als ‚Königsweg’ des Ansprechens unserer Zeitgenossen an Bedeutung gewinnt und in der die Strukturveränderungen von Pfarrgemeinden neue Möglichkeiten bieten, um die Vielfalt der Zugänge zur Glaubenspraxis zu stärken, kommt dem Pfarrgemeinderat eine besondere Bedeutung zu.
Der Pfarrgemeinderat ist mehr als ein Beratungsgremium oder ein einfacher Gemeinderat. In ihm finden sich Menschen zusammen, die mit den Hauptamtlichen, den Priestern und Pastoralreferenten, das Herz der Gemeinde bilden. Wie in der Urkirche wird es lebendige Auseinandersetzungen, Konflikte und auch Streit geben, was sie aber nicht davon abhält, in Christus ihre Mitte zu entdecken und „ein Herz und eine Seele" zu sein. Darum halten sie sich für die spirituelle Grundlegung ihres Engagements Zeitfenster frei, sei es bei den Sitzungen, sei es bei Auszeiten in geistlichen Zentren.
So gestärkt, können sie mit der Unterstützung des Geistes Gottes rechnen und in der Fülle der Aufgaben, die sich heute jeder Gemeinde stellen, verstehen, in welche Richtung ihr Engagement gehen kann, welche Aufgaben sie angehen und welche sie lassen müssen. Ein solcher Pfarrgemeinderat wird in unserer säkularisierten Gesellschaft die missionarische Dimension der Kirche in einer die Freiheit des Einzelnen achtender Weise leben und die Herzen der Menschen erreichen.
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(Verfasser unbekannt)
5. Kapitel: Charakteristik der Christen
Denn die Christen sind weder durch Heimat noch durch Sprache und Sitten von den übrigen Menschen verschieden. Sie bewohnen nirgendwo eigene Städte, bedienen sich keiner abweichenden Sprache und führen auch kein absonderliches Leben. Keineswegs durch einen Einfall oder durch den Scharfsinn vorwitziger Menschen ist diese ihre Lehre aufgebracht worden und sie vertreten auch keine menschliche Schulweisheit wie andere. Sie bewohnen Städte von Griechen und Nichtgriechen, wie es einem jeden das Schicksal beschieden hat, und fügen sich der Landessitte in Kleidung, Nahrung und in der sonstigen Lebensart, legen aber dabei einen wunderbaren und anerkanntermaßen überraschenden Wandel in ihrem bürgerlichen Leben an den Tag. Sie bewohnen jeder sein Vaterland, aber nur wie Beisassen; sie beteiligen sich an allem wie Bürger und lassen sich alles gefallen wie Fremde; jede Fremde ist ihnen Vaterland und jedes Vaterland eine Fremde. Sie heiraten wie alle andern und zeugen Kinder, setzen aber die geborenen nicht aus. Sie haben gemeinsamen Tisch, aber kein gemeinsames Lager. Sie sind im Fleische, leben aber nicht nach dem Fleische. Sie weilen auf Erden, aber ihr Wandel ist im Himmel. Sie gehorchen den bestehenden Gesetzen und überbieten in ihrem Lebenswandel die Gesetze. Sie lieben alle und werden von allen verfolgt. Man kennt sie nicht und verurteilt sie doch, man tötet sie und bringt sie dadurch zum Leben. Sie sind arm und machen viele reich; sie leiden Mangel an allem und haben doch auch wieder an allem Überfluss. Sie werden missachtet und in der Missachtung verherrlicht; sie werden geschmäht und doch als gerecht befunden. Sie werden gekränkt und segnen, werden verspottet und erweisen Ehre. Sie tun Gutes und werden wie Übeltäter gestraft; mit dem Tode bestraft, freuen sie sich, als würden sie zum Leben erweckt. Von den Juden werden sie angefeindet wie Fremde, und von den Griechen werden sie verfolgt; aber einen Grund für ihre Feindschaft vermögen die Hasser nicht anzugeben.
6. Kapitel: Was die Seele im Leibe ist, das sind die Christen in der Welt
Um es kurz zu sagen, was im Leibe die Seele ist, das sind in der Welt die Christen. Wie die Seele über alle Glieder des Leibes, so sind die Christen über die Städte der Weit verbreitet. Die Seele wohnt zwar im Leibe, stammt aber nicht aus dem Leibe; so wohnen die Christen in der Welt, sind aber nicht von der Welt. Die unsichtbare Seele ist in den sichtbaren Leib eingeschlossen; so weiß man zwar von den Christen, dass sie in der Weit sind, aber ihre Religion bleibt unsichtbar. Das Fleisch hasst und bekämpft die Seele, die ihm kein Leid antut, bloß weil es von ihr gehindert wird, seinen Lüsten zu frönen; ebenso hasst die Welt die Christen, die ihr nichts zuleide tun, nur weil sie sich ihren Lüsten widersetzen. Die Seele liebt das ihr feindselige Fleisch und die Glieder; so lieben auch die Christen ihre Hasser. Die Seele ist zwar vom Leibe umschlossen, hält aber den Leib zusammen; so werden auch die Christen von der Welt gleichsam in Gewahrsam gehalten, aber gerade sie halten die Welt zusammen. Unsterblich wohnt die Seele im sterblichen Gezelte; so wohnen auch die Christen im Vergänglichen, erwarten aber die Unvergänglichkeit im Himmel. Schlecht bedient mit Speise und Trank, wird die Seele vollkommener; auch die Christen nehmen, wenn sie mit dem Tode bestraft werden, von Tag zu Tag mehr zu. In eine solche Stellung hat Gott sie versetzt, und sie haben nicht das Recht, dieselbe zu verlassen.
Aus: Unsere Seelsorge, Juni 2009