Zum Priesterjahr in der katholischen Kirche
Was bewegen die Kirche und den Papst, ein „Priesterjahr“ auszurufen? Warum sind ihnen die Priester so wichtig? Wird das auch in den Gemeinden und Diözesen so gesehen?
Meine Perspektive wurde geschärft durch meine langjährige Tätigkeit als Spiritual und zuletzt als Regens des Priesterseminars in Münster. Es bewegt mich sehr, dass sich auch heute junge Leute auf den Weg machen, um Priester zu werden. In einer Kirche und einer Gesellschaft, in der fast alles im Umbruch ist, suchen sie nach einem Leitbild und einer Orientierung, wie heute das Evangelium verkündet und so Kirche und Gemeinde aufgebaut werden kann.
Gerade diese jungen Menschen erleben, wenn sie sich für den Weg des Priestertums entscheiden, erhebliche Widerstände, nicht nur in der eigenen Familie, bei ihren Eltern, sondern auch bei vielen es ehrlich meinenden Gemeindemitgliedern: „Wie kannst du dir einen solchen Stress zumuten?“ – „Wie willst du mit deinen Worten ankommen, wenn viele Menschen heute religiös unmusikalisch sind?“ – „Wie kannst du dich in eine kirchliche Zwangsjacke stecken lassen, weil so viele Dingen von oben bis unten durchgeregelt werden?“.
Wenn wir nicht wollen, dass junge Kandidaten in die scheinbare Sicherheit einer an der lateinischen Messe orientierten Frömmigkeit flüchten, ist es wichtig, dass die Gemeinde selbst, in eigener Verantwortung, neu über das Priestertum nachdenkt und sich des Wertes bewusst wird, der in dieser Berufung liegt. Es braucht tatsächlich einen weltweiten Prozess des Nachdenkens über die Berufung des Priesters und seine Beziehung zum Volk Gottes. Genau hier liegt die Chance des ausgerufenen Priesterjahres.
Ich sehe in diesem Zusammenhang eine Aufgabe in dreifacher Richtung. Zunächst sind die Priester angesprochen, ihre eigene Berufung tiefer zu verstehen und sich darüber zu verständigen, in welcher Weise sie im Miteinander Communio leben und dadurch in einer zersplitterten, individualisierten Gesellschaft Orte des Glaubens und geschwisterlicher Verbundenheit stiften können. Ebenso wichtig ist es, dass die Gemeinden und alle in der Kirche Dienst tuenden Personen (Pastoralreferenten, Gemeindereferenten, Küster, Pfarrgemeinderäte, Kirchenvorstände, Mitarbeiter in der Verwaltung) mithelfen, dass priesterliches Leben verstanden und gefördert wird. Zuletzt, oder besser an erster Stelle, denke ich an die Bischöfe, denen in besonderer Weise die Sorge für die Priester anvertraut ist. Wer fragt einen Pfarrer oder Kaplan, wie es ihm wirklich geht? Wer macht sich Gedanken, wenn jemand innerlich müde geworden ist und vielleicht nur noch Dienst nach Vorschrift tut? Wer rät einem überarbeiteten und gestressten Pfarrer zu einer echten und heilsamen Auszeit? Es braucht das aufklärende Wort, etwa bei der Visitation einer Gemeinde, die möglicherweise nur einen Animateur möchte, ihr auch die tiefer liegende spirituelle Dimension des Priestertums zu erschließen.
Der verstorbene Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, hat seine Gedanken über das Priestertum zusammengefasst in seinem Buch: „Gerufen und verschenkt“. Der Priester ist aus der Sicht Hemmerles ein Mensch, der sich an Gott verschenkt hat, und Gott ist es dann, der diesen Menschen an eine Gemeinde weiter schenkt. Dieses Geschenk-Sein schafft Beziehung zwischen dem Priester und dem guten Gott, der Liebe ist, und zugleich zwischen diesem guten Gott und der Gemeinde, der dieser Priester „geschenkt“ wird. Wird der Priester als solcher verstanden, kann der Geist des Schenkens in gleicher Weise auch die Mitglieder der Gemeinde berühren und verändern.
Priesterlicher Dienst differenziert sich heute beispielsweise in leitender Pfarrer, Vicarius Cooperator, Akademiedirektor, Krankenhauspfarrer, Schulseelsorger, Theologieprofessor und emeritierter Pfarrer. Was sie alle verbindet, ist das Geschenk-Sein, Verschenkt-Sein und Beschenkt-Sein.
In den unterschiedlichen Verantwortungsbereichen, in denen ich tätig war, habe ich festgestellt, dass der Grundgedanke des sich Verschenkens den Priester auf Augenhöhe mit dem Volk Gottes bringt. Denn dieses ist als erstes berufen, auf die radikal schenkende Liebe Gottes seinerseits zu antworten, in dem es selbst zum Geschenk wird für die Menschen im Umkreis der Gemeinde, in der Nachbarschaft und in der Gesellschaft überhaupt. Das Volk Gottes ist damit nicht nur Träger einer mitreißenden Botschaft, sondern primär ein Instrument in der Hand Gottes, durch das Er allen Menschen seine Liebe schenken möchte. Dem priesterlichen Dienst ist damit zuallererst aufgetragen, diese Berufung des Volkes Gottes zu wecken und zu begleiten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es in der jetzigen Situation der Kirche und der Gemeinden von zentraler Bedeutung ist, über den Priester, seinen Dienst und seine Lebensform nachzudenken. Dies führt fast von selbst dazu, dass wir damit auch die Aufgaben des Volkes Gottes in den Blick nehmen. Die Vertiefung und Erneuerung des priesterlichen Lebens und Dienstes ist zwangsläufig daran gebunden, dass es auch zu einer Erneuerung und spirituellen Vertiefung der Gemeinden kommt.
Die hier vorgetragenen Gedanken haben zunächst das zölibatäre Priestertum der lateinischen Kirche im Blick. Sie lassen sich aber unschwer für den Pastorendienst der evangelischen Kirche oder den Dienst der (zumeist verheirateten) Priester der Ostkirchen fruchtbar machen.