Jahresrundbrief 2005

Liebe Verwandte, Freunde und Bekannte!

Aus meiner neuen Wohnung, in die ich am 10. Mai eingezogen bin, sende ich herzliche Grüße. Meine Wohnung liegt gegenüber der Überwasserkirche und dem alten, jetzt umgebauten und einer neuen Verwendung zuzuführenden Priesterseminar – ich bin also fast an meiner alten Adresse wieder angekommen. Mit dem Einzug ging eine gewisse Odyssee zu Ende. Im Juli 2002 bin ich vom Überwasserkirchplatz 3 zum Domplatz 8 umgezogen, weil das Bischöfliche Priesterseminar ins Collegium Borromaeum verlegt wurde. Nach zweijährigem Leben dort und nach meiner Verabschiedung als Regens des Priesterseminars am 17. September 2004 fand ich dann auf dem Horsteberg 18 (direkt neben dem Dom) eine vorläufige Bleibe und bin nunmehr in der Frauenstraße 1 angekommen. Ich lebe in einem Haus, das direkt neben dem Studierenden-Wohnheim Marianum liegt, wo von 1932 bis 1933 Edith Stein wohnte, die spätere Karmelitin Schwester Teresia Benedicta a Cruce, und genau gegenüber jenem Antiquariat, wo die ZDF-Krimiserie "Wilsberg" spielt und in regelmäßigen Abständen Dreharbeiten stattfinden. Ich bin also mitten im Getümmel der Stadt und lebe doch ganz ruhig, weil die hinteren Räume zum Bischofsgarten hin liegen. Unter mir wohnt der Polizeidekan des Bistums, über mir der Italiener-Seelsorger. Ich habe eine gute Haushälterin gefunden, Frau Ljuba Popovic, die teilweise auch für mich kocht und mich sehr gut versorgt. Ich bin also sehr zufrieden und fühle mich wohl.

Meine neuen Aufgaben erfüllen mich ganz. Das neue Exerzitienhaus des Bistums, das Gertrudenstift in Rheine, wurde am 20. März dieses Jahres von Bischof Dr. Reinhard Lettmann eingeweiht und mir zur Leitung anvertraut. Dieses Haus bietet jetzt erste Kurse an, die die Einführung besonders der Ehrenamtlichen aus den Gemeinden in ein bewusstes Leben aus der persönlichen Freundschaft mit Jesus Christus anzielen. Drei Clemensschwestern bilden als kleine geistliche Gemeinschaft die Seele des Hauses. Die Verwaltung liegt im Generalvikariat in Münster, in der Hauptabteilung Seelsorge. Frau Sandra Granzeier, die seit dem 1. Juli auch meine Sekretariatsarbeit übernommen hat, kümmert sich um die Belegung des Gertrudenstiftes. Im Anhang meines Briefes gibt es einige Infos zum Haus und erste Angebote, die auch den Lesern und Leserinnen dieses Briefes offen stehen.

Die zweite Aufgabe, die unser Bischof Dr. Reinhard Lettmann mir anvertraut hat, ist die Sorge für die ausländischen Priester im Seelsorgedienst in den Gemeinden des Bistums, besonders für die etwa 60 indischen Priester. Um sie besser zu verstehen und zu integrieren, werde ich Ende Januar nächsten Jahres nach Indien fahren. Mit ihnen zusammen mache ich im Herbst 2006 eine zehntägige Wallfahrt nach Israel. Besonders fruchtbar war die Zusammenarbeit mit den indischen Priestern durch deren Beteiligung am Bistumstag anlässlich der großen Feier in Münster zum 1200-jährigen Jubiläum unseres Bistums. Wir haben gemeinsam einen Infostand im Eine-Welt-Bereich gestaltet und eine feierliche Messe im syro-malabarischen Ritus in der großen Mutterhauskirche der Clemensschwestern gefeiert.

In den Plänen Gottes war allerdings meine äußere Teilnahme am Bistumstag nicht vorgesehen. Eine schwere Lungenentzündung mit hohem Fieber warf mich aufs Krankenlager, machte eine nächtliche Notaufnahme in der Raphaelsklinik nötig und führte zu einem zehntägigen Krankenhausaufenthalt. Dank bester Pflege und hervorragender ärztlicher Behandlung durch Professor Spieker kam ich wieder gut auf die Beine und habe dann nach einer guten Kur im Allgäu erst nach dem Weltjugendtag (Ende August) meinen vollen Dienst wieder aufnehmen können.

Jetzt bin ich froh, dass die Turbulenzen und Strapazen des ersten Jahres im „Vorruhestand“ in eine ruhigere und meinen Kräften angemessenere Lebensweise eingemündet sind. Rückblickend bin ich dankbar für die vielen Hilfen, die mir von allen Seiten, besonders von einigen Fokolarpriestern und den Mitarbeiterinnen und Schwestern des Priesterseminars im Collegium Borromaeum, beim Um- und Einzug in meine neue Wohnung zuteil wurden. Zu wissen, in einem Netz echter Hilfsbereitschaft und Wertschätzung geborgen zu sein, tut gut. Auch die immer neue Dienstbereitschaft seitens des bischöflichen Bauamtes und der EDV-Abteilung im Generalvikariat hat mir gut getan.

Die ersten Kurse im Gertrudenstift haben den Teilnehmenden und mir immer wieder eine große Freude durch die Erfahrung der Gemeinschaft im Glauben geschenkt. Bistumsweit habe ich in und für Gemeinden Einkehrtage sowie für Priester und Pastoralreferenten und -referentinnen Recollectiones zu den Themen Eucharistie, Beichte und Versöhnung (Wie viel Versöhnung braucht der Mensch?) gehalten. Besonderes Echo fanden mehrere Vorträge vor der Dechantenkonferenz und vor den Pastoralkonferenzen der acht Dekanate des Oldenburger Landes. Hier habe ich zu dem Thema „Grundlinien einer missionarischen Seelsorge“ sprechen dürfen mit dem Ziel, Mission als das erneute Ankommen Gottes bei uns, als seine Epiphanie in den Gemeinden aufzuzeigen und anzuregen.

Auf Bundesebene engagiere ich mich an verschiedenen Stellen. Ich arbeite für die Bischofskonferenz mit in der Kommission IV „Geistliche Berufe und kirchliche Dienste“ mit und in verschiedenen Räten der Fokolar-Bewegung als Berater für Themen der Kirche, der Ökumene und der spirituellen Begleitung. Die Mitarbeit im ZdK und in dessen Gesprächskreis „Juden und Christen“ endet nach 18 Jahren in diesen Tagen. Ich werde auch weiterhin die Arbeit des ZdK aufmerksam verfolgen und unterstützen. Gerade in diesen Tagen der Regierungsbildung haben mir die öffentlichen Äußerungen des ZdK sehr gefallen, aber auch manche persönlichen Erklärungen von Politikerinnen und Politikern, die Mitglied des ZdK sind, ließen erkennen, dass es quer durch die Parteien politisches Engagement gibt, das sich an der katholischen Soziallehre orientiert und an den Werten des Evangeliums, wozu ich auch das Absehen von der eigenen Person zugunsten des Gemeinwohls rechne.

Besondere Freude macht mir die Mitarbeit an der Entwicklung des Projektes „Klaus-Hemmerle-Stiftung e.V“. Um das theologisch-philosophische und geistliche Erbe von Klaus Hemmerle zu sichern, soll in Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen und dem ZdK, mit Vertretern des Schülerkreises und des Fokolars zunächst daran gearbeitet werden, dass die zum großen Teil vergriffenen Werke von K. Hemmerle wieder zugänglich gemacht werden, indem diese ins Internet gestellt werden.

Meine Beziehung zum Fokolar wurde noch tiefer, auch deswegen, weil ich an vielen Donnerstagen in Solingen mit den Verantwortlichen Dr. Friederike Koller und Clemens Hachmöller zusammenarbeiten durfte und so meinen Beitrag ins dortige Zentrum Frieden einbringen konnte. Als verantwortlicher Delegierter für die Fokolarpriester in Nordwestdeutschland nahm ich am Weihnachtstreffen in Rom und an der Fortbildung in der Schweiz (in Sion/Wallis) teil. Besonders bei letzterem Treffen wurde mir bewusst, welche Bedeutung die gemeinschaftliche Spiritualität der Einheit für die Kirche und deren Weiterentwicklung sowie darüber hinaus für das gesellschaftliche Leben angesichts der heutigen Umbrüche und der nicht so leicht zu lösenden Zukunftsprobleme hat. „Unterwegs zu einer Spiritualität der Gemeinschaft – Die Gegenwart des Auferstandenen als Lebensprinzip der Kirche“ so lautet der Titel eines Beitrags, den ich für das Heft 1/2005 unserer kleinen Zeitschrift „Das Prisma“, dessen Herausgeber ich seit 1986 bin, geschrieben habe; hier konnte ich auch ausdrücken, was mir das Leben im Fokolar bedeutet (das Manuskript sende ich gern zu). Dass ich in diesen Tagen genau vierzig Jahre mit der Fokolar-Bewegung verbunden bin, lässt mich sehr dankbar und froh sein.

In meiner Nachbarschaft, ebenfalls in der Frauenstraße, befindet sich das Lourdeskloster, wo ich mit den Missionsschwestern von der Unbefleckten Empfängnis Mariens häufig die Eucharistie feiern darf. Die Internationalität dieses Hauses – besonders wenn Schwestern aus China, Brasilien, den Philippinen und Namibia zu Gast sind – erlebe ich dann beim anschließenden Frühstück in den intensiven Gesprächen. Auch mit den Klarissen am Dom feiere ich häufiger die Eucharistie. Mit ihnen verbindet mich auch ein monatlicher Bibelgesprächskreis, der mir besonders kostbar ist. Gelegentlich feiere ich auch die hl. Messe bei den Schwestern Unserer Lieben Frau in der Studentinnenburse, in der Nähe des Stadttheaters.

Wenn ich auf die vergangenen Monate zurückblicke, kann ich feststellen, dass ich wohl noch nie so viele Kontakte mit Gemeinden und deren Ehrenamtlichen hatte und auch noch nie mit so vielen Orden und Kongregationen zusammen gekommen bin. Gespräche, Einkehrtage, geistliche Vorträge und Exerzitien brachten mich zusammen mit den Clemensschwestern, den Schwestern der Göttlichen Vorsehung, den Mauritzer Franziskanerinnen, den Missionschwestern gleich bei mir in der Nähe, den Katharinenschwestern, den Benediktinerinnen, dem Karmel von Lembeck bei Dorsten und den Schwestern Unserer Lieben Frau. Gern erinnere ich mich auch an einen Gesprächsabend im Münsteraner Kapuzinerkloster. Auch in der Zusammenarbeit mit den indischen Priestern begegneten mir u. a. die Ordensgemeinschaft CMI (Indische Karmeliten) und CST (Little Flower, Congregation der hl. Theresia vom Kinde Jesus).

Wenn ich auf dieses letzte Jahr zurückschaue, wird mir bewusst, wie wesentlich für mein persönliches Leben der tägliche Umgang mit dem Wort Gottes ist. Dieses darin mir entgegenkommende immer neue Angesprochensein durch den unaussprechlich nahen Gott motiviert mich, gibt mir Impulse und macht mich offen für fast jeden Menschen, den ich treffe. Der Austausch darüber in meinem Priesterfokolar – wir vier treffen uns in der Regel jede Woche – vertieft und klärt diese Erfahrungen und bringt mir hilfreiche Perspektiven für den Aufbaudienst in der Kirche und macht den Blick frei für Jesus Christus, dessen Gegenwart sich auch heute erschließt.

So freut es mich natürlich besonders, dass ich mit anderen an dem Projekt „Exerzitien im Alltag“ für die Adventszeit 2005 mitarbeiten darf. Gemeinden und Gruppen, aber auch einzelne sind eingeladen, durch den täglichen Impuls, den wir ausarbeiten, Spuren der Hoffnung in ihrem Alltag zu entdecken. Das Projekt läuft auch im Internet unter www.kirchensite.de und trägt die Überschrift: „Gott im Kommen – Advent 2005“. Ich möchte einfach einladen, auf die eine oder andere Weise sich diesen praktischen Exerzitien anzuschließen.

Was wäre ich als Priester ohne Familie? Ich denke an meine Verwandten im Eichsfeld, im Rheinland und in Wilhelmshaven. Ich konnte in Altenstadt/Weiden dabei sein, als mein jüngster Bruder Burkhard 60 wurde. Ich durfte mir kürzlich von meinem Bruder Bernward in Berlin das neue Regierungsviertel rings um die Spree zeigen lassen. Meiner Schwester Lioba in Hoßkirch/Ravensburg konnte ich zum wohlverdienten Ruhestand als Lehrerin gratulieren. Meine Schwester Hildegard ist mit der Engel-Apotheke sozusagen „die Statthalterin“ in meiner Heimat. Die Generation meiner Eltern wird durch Tante Else (87) in Münster, Tante Tona (90) mit Onkel Paul (97), 67 Jahre verheiratet, sowie durch Tante Lotte (94) in Wilhelmshaven gut vertreten. Mit meinen 14 Cousinen und Cousins, 7 Nichten und Neffen und 8 Großnichten und den „diversen“ Ehepartnern ist der Radius meiner Familie weiterhin sehr groß. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Das Sakrament der Taufe durfte ich in meinem Bekanntenkreis dieses Jahr in Sendenhorst (dem kleinen Niko), im Allgäu (der kleinen Jana) und im Rheinland (dem kleinen Christian) spenden. Sehr gefreut hat mich auch die Feier der ewigen Profess von Sr. Carolina von Kerssenbrock am Ostermontag im Benediktinerinnen-kloster St. Alban in Dießen am Ammersee. Auch die feierliche Trauung von Dr. Dörte Diemert und Stefan Plettendorff in der Münsteraner St. Petrikirche ist mir in tiefer Erinnerung.

Jetzt, da ich diesen Brief abschließe, klingt in meiner Seele die beeindruckende Seligsprechung von Clemens August Graf von Galen nach, die ich am 9. Oktober im Petersdom in Rom miterleben konnte. Seine unerschrockene Weise, den Glauben öffentlich zu bezeugen, ist mir seit Kindheitstagen vertraut. Meine Mutter hat mir immer wieder erzählt, dass sie schon nach wenigen Tagen von der Vinzentinerin Sr. Thoma in Duderstadt, wo wir damals lebten, unter konspirativen Umständen für je einen Tag die das „Dritte Reich“ erschütternden Predigten erhalten habe. Besagte Schwester ließ den hektographierten Text in die unter die Schwesterntracht geschobene Einkaufstasche meiner Mutter fallen. Die Art, wie unser Papst Benedikt XVI. uns ansprach - „wir Deutsche“ - und wie er die tiefe gläubige Grundhaltung von Clemens August herausarbeitete, hat die über 5000 Pilger des Bistums Münster zu langem Applaus veranlasst. Die gemeinsamen Feiern in St. Johann im Lateran, in St. Peter im Vatikan und in St. Paul vor den Mauern gaben durch die dort verehrten Apostel den Blick frei auf die Fundamente der Kirche, also auf die Personen, deren Zeugnis bis heute die Kirche formt und prägt, und erweckte in mir die Sehnsucht neu, solche Feste auch einmal mit unseren evangelischen Schwestern und Brüdern feiern zu können.

Da das Datum meines Priesterweihetages (10.10.1963) genau in die Zeit meines Romaufenthaltes fiel, ergab sich für mich die Möglichkeit der Teilnahme an der diesjährigen Priesterweihe des Germanikums in Sant`Ignazio und des Besuchs meiner Primizkirche Sant`Agata die Goti, die ehemalige Hauptkirche der arianisch ausgerichteten Goten im frühchristlichen Rom, ganz in der Nähe von Quirinal und Piazza Venezia.

An der Freude und Dankbarkeit angesichts so vieler guter menschlicher Begegnungen mit verschiedensten Personen und der immer neuen, ganz unverdientermaßen erfahrenen Nähe des guten Gottes möchte ich durch diesen Brief auch andere teilhaben lassen.

Ich wünsche allen Freunden, Verwandten und Bekannten Segen, Freude und Gemeinschaft!

Wilfried Hagemann

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