Ich bin das Brot des Lebens
Gestern habe ich eine Frau beerdigt und ihr das Requiem gehalten, die jeden Tag die Heilige Kommunion empfangen hat. Als sie noch gesund war, ging sie jeden Tag zur Heiligen Messe. Sie starb nach einer langen und schweren Krankheit schon mit 58 Jahren.
Verschiedene Personen aus der Gemeinde, darunter auch die Priester, haben dafür gesorgt, dass sie täglich die Eucharistie empfangen konnte. Als sie noch gesund war und als Lehrerin arbeitete, ging sie täglich zur Kirche und zur Kommunion. Ihr Mann, ein muslimischer Perser, hat sie oft zur Kirche gebracht. Manchmal sagte er scherzhaft zu ihr: Kannst du nicht Jesus mal einen Tag in der Woche in Ruhe lassen?
Ich merkte deutlich, dass ihr Mann von ihrem Glauben profitierte.
An diese Frau musste ich unwillkürlich denken, als ich die heutigen Worte in mir aufnahm: „Ich bin das Brot des Lebens“ – „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel kommt“.
Es sind geheimnisvolle Worte, die andeuten, dass sich jemand als Brot anbietet, als Speise, als Kraftquelle, um dann auch konsumiert zu werden.
Können wir den Wert von Brot noch ermessen? Kann jemand, der in einer Überflussgesellschaft lebt, sich so etwas wie „Hunger nach Brot“ vorstellen? Wenn ich 80 verschiedene Brotsorten in der Stadtbäckerei von Münster angeboten bekomme, ist es schwer, den einzigartigen Wert jenes Brotes zu erfassen, von dem Jesus hier spricht.
Jesus versteht sich selbst als Brot und als Speise und er will gegessen werden, aufgenommen werden, verzehrt werden. Er möchte sich also geben, er möchte sich schenken, er möchte auf den Grund unserer Seele fallen, er möchte ganz bei uns sein.
Da schimmert etwas Göttliches durch. Schon das lapidare Wort „Ich bin“ lässt mich an jenen Gott denken, der sich am brennenden Dornbusch als der gezeigt hat, der er ist: Ich bin, der ich bin da.
Im Wort „Ich bin das Brot des Lebens“ öffnet sich, wie auf einem PC, ein neues Fenster: wir sehen die Eucharistie. Es gibt also tatsächlich ein Brot, in dem sich Gott selbst schenkt und zu meinem Leben beitragen will.
Ich höre diese Worte:
Ich bin da.
Ich gebe mich.
Ich biete mich dir an zum Essen.
Ich trete in dich ein.
Ich lasse mich runter auf den Grund deiner Seele.
Ich trete in dein Leben ein.
Ich teile es mit dir.
Ich frage nach deinen Sorgen.
Ich frage nach deiner Hoffnung.
Ich frage nach deinem Lebenszusammenhang.
Ich begleite dich zu den Menschen, die dir wichtig sind.
Und dann nehme ich dich mit in mein Leben,
zu meinem Vater,
zu seinem Licht,
zu seiner universellen Weite,
zu seiner Liebe und immer neuen Offenheit.
Danke, sagt die Seele.
Ich spüre, dass du da bist.
Ich spüre deinen Herzschlag.
Ich spüre deine Dynamik.
Ich weiß mich von dir getragen.
Ich vertraue darauf, dass du mich trägst, wo ich mich nicht mehr tragen kann.
In mir keimt die Bereitschaft und die Kraft,
mich zu geben,
mich zu verschenken,
sogar an Menschen, die dich nicht kennen
oder die nur von Ferne zu dir aufblicken
oder die sich im Dickicht des Alltags so verfangen haben,
sodass sie keine Antenne mehr für das Göttliche haben.
Danke, dass du das Brot des Lebens bist.
Danke, dass ich ahnen kann, selber Brot des Lebens für andere sein zu können.
Wie wäre es, wenn wir unsere Seele wirklich Ernst nehmen? Vielleicht gibt es auch in Ihrer Seele Worte, die noch nicht aufsteigen und noch nicht an Ihr Ohr dringen konnten.
Vielleicht besteht die erste Hilfe Jesu, die das Brot des Lebens uns gewährt, darin, mit unserer eigenen Seele in Berührung zu kommen und ihre leisen Töne zu vernehmen: „Ich habe Sehnsucht. Ich möchte leben. Ich möchte das volle Leben. Ich möchte die Freiheit. Eigentlich möchte ich Alles.“
Auf diese Spur möchte uns jener locken, der von sich sagt, „Ich bin das Brot des Lebens“.
Bei der Frau, die ich gestern beerdigte, die ich sieben Jahre geistlich begleitete und dafür manchmal mehrmals pro Monat gesprochen habe, konnte ich erleben, dass der regelmäßige Empfang der Kommunion sie selber zum Brot des Lebens für andere machte.
Eine solche tiefe Sehnsucht nach Leben begegnete mir auch kürzlich in einem Schuhputzer auf dem Flughafen von München. Als ich auf seinem „Thron“ saß und er mir praktisch zu Füßen kniete und die Schuhe bearbeitete, entspann sich ein tiefes Gespräch. Er, ein Moslem von der Schwarzmeerküste, entdeckte in mir den katholischen Priester, den er schon lange einmal sprechen wollte. In einem Traum war ihm Jesus begegnet. Jesus winkte ihn zu sich heran. Er durfte seinen Kopf in den Schoß von Jesus legen und vertraute ihm alle seine innere Not an und weinte und weinte. Jesus zeigte ihm einfach seine Nähe und tröstete ihn. Als er wach wurde, war sein Kopfkissen ganz nass. Was hat das zu bedeuten?, fragte er. Können Sie mir dazu etwas sagen? Ja, sagte ich. So ist Jesus. Er tröstet, er gibt das Leben, er schenkt seine Nähe dort, wo wir ihn brauchen. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt, ich will euch glücklich machen“. (Mt 11, 28).
Der Moslem strahlte. Er verstand, warum er getröstet war und dass dies mit Jesus zu tun hatte. Er hatte auf seine Weise das Brot des Lebens empfangen.
Hagen, 30. April 2009