Predigt im Gottesdienst der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Liebe Schwestern und Brüder!
Falls Sie verheiratet sind, könnte ich mir vorstellen, dass die 2. Lesung Sie heute etwas verwirrt hat. Paulus schreibt seine Sorgen auf, die er Verheirateten gegenüber empfindet. Er spricht von Verheirateten und Unverheirateten und erklärt, dass die Unverheirateten nur dem Herrn verpflichtet seien.
Heute müssten wir eigentlich alle beglückwünschen, die geheiratet haben. Und so begrüße ich auch besonders die Verheirateten heute hier in der Kirche. Sie haben den Bund fürs Leben geschlossen, Sie haben sich die Treue versprochen, Sie haben etwas getan, was viele heute nicht mehr tun. Sie haben ihr Leben sakramental in die Kirche hinein gestellt.
Was könnten denn uns heute die Worte des Paulus sagen? Das Kriterium, das Paulus an die Verheirateten und Unverheirateten lautet: Immer dem Herrn dienen können. Paulus fragt: Dient ihr dem Herrn? Er geht davon aus, dass Unverheiratete dies leichter tun könnten.
In der gesellschaftlichen Situation, in der wir heute leben, sehe ich, dass viele Verheiratete dieses Wort „dem Herrn immer dienen“ sehr ernst nehmen, ja dass „dem Herrn zu dienen“ allen eine Hilfe ist, wenn sie ihr Leben im Sinne des Evangeliums ordnen wollen.
Damit stellt sich die Frage: Was heißt es heute, dem Herrn zu dienen? Darauf gibt uns das Evangelium nach Markus heute und auch die Lesung aus dem Buch Deuteronomium eine Antwort. Im Deuteronomium geht es um einen Propheten, den Gott seinem Volk senden wird, und in dessen Mund Gott seine eigenen Worte legen will. Gleichzeitig warnt Mose davor, dass es falsche Propheten gibt, die etwas verkünden, was Gott ihnen nicht aufgetragen hat.
Genau daran musste ich am letzten Freitag denken, dem Ausschwitz-Tag. Der Deutsche Bundestag versammelte sich. Dieser Raum, der von so vielen ernsthaften Auseinandersetzungen und einem harten Ringen, manchmal auch von fast unerträglicher Angifterei gefüllt ist, trat in ganz neues Licht. Alle Abgeordneten waren festlich gekleidet und empfingen einen der letzten Überlebenden des Warschauer Ghettos: Herrn Marcel Reich-Ranicki.
Es war bewegend, wie Bundestagspräsident und Bundespräsident diesen 92 Jahre alten Herrn unter dem Arm hielten und ihn den Bundestag führten. Und dann berichtete Reich-Ranicki von dem, was ihn am letzten Tag des Gettos von Warschau, als dieses brüsk und schrecklich von einer SS-Mannschaft aufgelöst wurde, erlebt hat. Er schilderte diesen Tag ohne Hass, ohne Zorn, einfach so, einfach und schlicht. Genau dadurch entlarvte er die von Hass erfüllten Täter von damals.
Wer das gehört hat, ist erschüttert. Wie konnte so etwas geschehen? Er musste sich sagen lassen, dass genau dieses leider auch heute geschieht. Denken wir an das Trio von Nazi-Tätern, die in den letzten Jahren zehn Morde ausgeführt haben, denken wir an einen neu aufkommenden unglaublichen Hass auf Ausländer bei uns in Deutschland. Denken wir auch daran, dass nach neuesten Umfragen 20% der Bevölkerung latente antisemitische Gefühle haben. Denken Sie auch an einen falschen Propheten, der am 30. Januar, also Morgen vor 79 Jahren an die Macht gekommen ist. Dieser falsche Prophet, der ein ganzes Volk durcheinander gebracht hat, der es zu einem unendlichen furchtbaren Hass aufgerufen hat, ist schuld daran, dass Millionen Juden in den Gaskammern starben, dass Millionen von Soldaten und Zivilpersonen im 2. Weltkrieg ihr Leben verloren und auch dass so viele Menschen vertrieben worden sind und ihre Heimat verloren haben. Die Wunden dieser Vertreibung, dieses erlittenen Unrechtes wirken bis heute nach. Da kann man schon fragen: Wie sollen wir heute leben, wie können wir heute dem Herrn dienen?
Da steht mir das heutige Evangelium vor Augen, Jesus selbst. Markus berichtet, wie Jesus in der Synagoge von Kapharnaum einen Mann angesprochen hat, der von einem unreinen Geist besessen war. Unreine Geister - im Sinne selbstständiger Wesen - da würden wir heute vorsichtiger sprechen. Unreine Geister, Hassgefühle gegen andere, Verdächtigungen, Lust am Vernichten anderer Personen, Lust am Zerstören des Images von Personen - das erleben wir auch heute hautnah.
Wer kann solchem unreinen Geist Widerstand leisten? Jesus tut es. Markus berichtet es. Markus war kein Augenzeuge, er hat aufgenommen, was durch die lebendige Überlieferung von den Aposteln her über die Anfänge des Tuns Jesu überliefert ist. Da tritt Jesus auf mit einem starken Wort, mit einem vollmächtigen Wort und er richtet sein Wort darauf aus, dass Gutes geschieht, dass ein Mensch von bösem Denken, von bösen Gedanken befreit wird. Und das Wort, das Jesus ausspricht, entfaltet seine Kraft, es ist machtvoll.
Wer denkt da nicht an den Anfang des ersten Buches Mose, an den Anfang des Buches Genesis, wo in lapidarer Form die Schöpfungstat Gottes berichtet wird. Die Schöpfung geschieht durch das Wort! Hören wir hin: Und Gott sprach, es werde Licht! – und es ward Licht! Was Gott sagt, das geschieht.
Gottes Wort ist schöpferisch, kraftvoll, machtvoll. Dieses Wort durchdringt auch das Herz des Menschen, legt die Gedanken frei, wirkt manchmal wie ein Schwert und öffnet, damit dieses einem unreinen Denken verfallene Herz neu wird, gereinigt wird, stark wird. Das sind die wirksamen Worte, die von Jesus ausgehen. Die Apostel und auch wir Christen dürfen immer tiefer verstehen, dass Jesus nicht nur Worte sagt, sondern dass er selbst dieses Wort ist. Er ist das Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns wohnt.
Was kann uns Besseres geschehen, als dass diese Worte Jesu uns bewohnen, unser Herz, ja auch unser Denken. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Haben Sie schon einmal mit Menschen gesprochen, in denen das Wort Gottes lebt? In unserem Bibelkreis, der monatlich zusammenkommt, treffe ich auf Personen, in denen bestimmte Worte Gottes, bestimmte Worte des Evangeliums ganz lebendig sind.
Ich muss hier an ein tiefes Erlebnis denken, das ich schon vor über dreißig Jahren, 1974, in Leipzig gehabt habe: Ich fuhr damals regelmäßig in die DDR. Mein Ziel war es, die dort lebenden Christen zu stärken und zu stützen. Ich nutzte die Freiheit eines Besuchers der Leipziger Handelsmesse aus, um auf meine Weise der Kirche zu dienen. Bei meiner Einreise in Marienborn bei Magdeburg fiel ich auf, weil mein Kofferraum voller Bücher war. Es waren Schriften von Papst Paul VI., der mit seiner Enzyklika vom „Fortschritt der Völker“ sehr viel Aufsehen erregt hatte.
Die Grenzwachen monierten, dass ich diese Bücher dabei hatte und deklarierten sie als friedensgefährdend. Ich antwortete ganz direkt: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass unser Papst friedensgefährdende Schriften auflegt“. Der Beamte reagierte sehr ärgerlich, besprach sich mit seinem Offizier und teilte mir dann mit, dass ich am nächsten Tag in Leipzig zum Hauptzollamt zu kommen hätte, um dort Rede und Antwort zu stehen.
Am nächsten Tag ging ich in das Hauptzollamt. Ich hatte mich innerlich vorbereitet. Ich wollte einfach die Wahrheit sagen. Ich wollte mich nicht verteidigen, keine Strategie anwenden, ich wollte einfach der sein, der ich bin, ein Christ, der getroffen ist vom Wort Gottes. So begann dann das Verhör durch zwei Personen, einen Beamten vom Staatssekretariat für Kirchenfragen in Berlin und einen ihn begleitenden Volkspolizisten. Das Verhör dauerte 90 Minuten. Es sollte mich in die Enge treiben. Ich ließ mich nicht erschüttern und antwortete genau so, wie ich dachte und wollte. Mitten im Verhör musste der Volkspolizist zur Toilette. Da fragte mich der Mann aus Berlin: „Sagen Sie mir ganz schnell, in drei Minuten, bis mein Kollege zurück ist, warum Sie an Gott glauben? Warum glauben Sie an Gott? Was bewegt Sie dazu? Ich habe Schwierigkeiten mit meinem Atheismus.“
Was würden Sie da tun? Was würden Sie sagen? Es wurde mir geschenkt, dass ich ihm ganz konkret antworten konnte, auch wohl deswegen weil ich mit dem Wort Jesu gelebt hatte. Ich sagte ihm: Ich glaube an Gott, weil ich Jesus Christus kennen gelernt habe. Und an Jesus schätze ich seine Worte. Er hat Worte gesagt, die noch nie jemand gesagt hat, z.B.: „Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen die euch hassen! Segnet die, die euch verfolgen!“ (Mt 5,44). Dieses Wort, die Feinde zu lieben, hat niemand vor Jesu in dieser Form gesagt. Nach ihm hat sich Gandhi zum Beispiel diese Haltung Jesus zu Eigen gemacht. Aber bei Jesus kommen diese Worte aus einem ganz tiefen Grund. Da spüre ich: Gott ist Liebe, er liebt einfach. Er liebt, weil er selber Liebe ist. Und das bezieht Gott sogar auf seine Feinde!
Bei diesen Worten war mein Gegenüber tief erschüttert. Dann kam der Volkspolizist wieder herein. Das Verhör nahm seinen Lauf. Am Ende stellte der Beamte aus Berlin fest: Ich habe gesehen, dass Sie kein Volksfeind sind. Sie haben kein Unrecht getan, diese Bücher mitzubringen. Allerdings bekommen Sie die Bücher erst bei der Ausreise zurück.
In diesem Gespräch habe ich gemerkt, dass die Bitte Jesu, vielleicht sogar der Befehl Jesu an seine Jünger: „Liebet eure Feinde“ eine ganz große Wirkung hat. Sie erreichten das Herz eines Menschen, der in einer Welt voller Hass lebt.
Als ich aus der DDR wieder ausreiste, wurden mir die Bücher tatsächlich übergeben. Der Grenzoffizier bat mich, das Übergabeformular zu unterschreiben. Als ich sofort die Unterschrift auf das DIN-A4 Blatt setzen wollte, sagte er, „Sie müssen doch lesen, was da geschrieben steht“. Ich darauf: „Ich vertraue Ihnen“. Da schrie er mich an: „Sie dürfen mir nicht vertrauen!“. Genau da erkannte ich, dass dieser Mensch gefangen war von einem Denken, das Vertrauen grundsätzlich ausschließt, gefangen vom Bösen.
Gottes Wort jedoch ist ganz anders. Es öffnet, öffnet uns auch für die Feinde, öffnet uns für die Verfolger, öffnet uns für alle Menschen und bietet eine Liebe an, die keine Grenzen kennt. Genau dadurch kann die Welt erlöst werden. Wer dieses Wort in sich trägt, kann mit bösen Geistern umgehen, kann sie besiegen, kann klären und helfen und aufbauen.
Liebe Gemeinde, wir sind heute aufgerufen, das Wort Gottes in unser Herz aufzunehmen, ja unser Herz bewohnen zu lassen vom Wort Gottes. Dazu aufzurufen fällt mir am 4. Sonntag im Jahreskreis besonders leicht. Man könnte diesen Sonntag tatsächlich den Sonntag vom Wort des Lebens nennen.
Fragen Sie doch zuhause, welches Wort Sie persönlich bewegt, ob es ein Wort gibt, das Ihre Ehe trägt, dass Ihnen vielleicht am Anfang ihrer Ehe vom Priester zugesprochen worden ist. Denken Sie auch daran, wenn Sie alleinstehend sind, das Gottes Wort jeder und jedem Stütze und Hilfe ist und Licht auf dem Weg.
Ich wünsche Ihnen, dass Jesus selbst auch Ihnen sein Wort schenkt, ja dass er durch sein Wort in Ihnen wohnt. Amen.
Augsburg, Gemeinde St. Pankratius, 29. Januar 2012