Predigt zur Primiz von Dr. Antonius Hamers

Lieber Primiziant,
liebe Gemeinde,
liebe priesterliche Mitbrüder!

Können Sie sich mein Erstaunen vorstellen, als ein junger Mann aus Berlin sich unvermittelt am Telefon vorstellt und um einen Gesprächstermin mit mir als Regens des Priesterseminars bittet? Ein paar Tage später stand er vor der Tür: ein voll ausgebildeter Jurist mit Praxiserfahrung in Brüssel und Berlin, außerdem promoviert und in guter Stellung beim Bund der Deutschen Industrie (BDI).

Mich faszinierte, dass ein junger Mensch bereit war, noch einmal ganz von vorne anzufangen, weil er von Jesus und seiner Botschaft ausgerechnet in Berlin so sehr berührt worden war. Sehr schnell bekam ich mit, dass er es wirklich ernst meinte und dass er auch menschlich die für das Priestertum notwendigen Voraussetzungen mitbrachte. Mir war es von vorne herein ein Anliegen, dass er gerade in der ersten Zeit des Theologiestudiums persönlich überprüfen konnte, ob ihm der Dienst und die Alltagsmühe einer katholischen Pfarrei in der jetzigen Umbruchszeit geistlich und menschlich erfüllen.

Seine Erfahrung in der Gemeinde St. Sebastian in Münster-Amelsbüren und das Zusammenspiel von Pfarrer und Theologiestudent haben mich verstehen lassen, dass ein Theologiestudium in unserer Zeit besondere Qualität bekommt durch den unmittelbaren und täglichen Gemeindebezug. So konnte Dr. Hamers immer vor Augen haben, für wen er eigentlich studiert und lebt.

Heute Priester sein – wie kann das eigentlich gehen? Die Gemeinden werden immer größer, die Gesellschaft und die Menschen in ihr scheinen sich immer weiter von Gott zu entfernen und damit auch von der Kirche. Manche Priester haben das deutliche Empfinden, dass sie an den Wendepunkten des Lebens einen festlichen Rahmen anbieten sollen, aber möglichst ohne den Anspruch des Evangeliums.

Kein Priester kann heute ein geruhsames und problemfreies Leben führen. Wer heute als Priester wirken will, braucht ein gerütteltes Maß an Eigenständigkeit und an Widerstandskraft. Er tritt für eine Botschaft ein, die heute vielen fremd geworden ist. Er steht stellvertretend für eine Person, die viele in unserer Welt heute nicht mehr kennen, geschweige denn verstehen. Und doch ist es gerade diese Person, Jesus Christus, die die Kraft hat, einer fast aus den Fugen geratenen Weltgesellschaft neue Orientierung zu geben. Angesichts der zunehmenden Einsamkeit, der Unfähigkeit Beziehungen zu leben sowohl älterer als auch jüngerer Menschen, angesichts des „Bombardements“ durch Werbung und Medien und der Auslieferung an den Konsum sehnt sich der moderne Mensch nach spiritueller Geborgenheit, nach echten Beziehungen und Sinnzusammenhängen.

Genau in diese Not ist der Priester gestellt. Er hat die Aufgabe, sozusagen Jesus in die Gesellschaft „hinein zu halten“, damit ihn alle, auch die, die sich nicht zur Kirche rechnen, sehen können. Ein Erlebnis meines verstorbenen Freundes Klaus Hemmerle hat mich dies tiefer verstehen lassen. Bei einem ökumenischen Bischofstreffen in Istanbul besuchte er die zum Museum umgewandelte Ex-Kirche und Ex-Moschee Hagia Sophia. Entsetzt sah er im Eingang ein aufdringliches Schild: Beten verboten. Alles Religiöse war verbannt. Da fühlt sich ein Bischof unwohl. Auf einmal blickte er an die Decke der Kuppel und sah ein Mosaik aus dem 1. Jahrtausend: Maria, die dem Betrachter ihr Kind auf dem Schoß hinhält. Ohne Worte, nur durch ihre Haltung, gab Maria Jesus Raum. Hemmerle verstand mit einem Mal, dass es ein Dasein gibt, das gleichzeitig Verkündigung ist. Diese Art von Gebet konnte in diesem Gotteshaus nicht verboten werden. Es gibt also eine Anwesenheit, die Jesus im Alltag, auf der Straße, im Unterricht, am Telefon, im Supermarkt präsent macht. Es braucht nur Menschen, die sich dafür zur Verfügung stellen.

Meines Erachtens geht es heute um ein Priestertum, das im Zeichen von Maria steht. Wie Maria kann der Priester Jesus mitten in der Welt bergen, ihm Raum geben und in die Gesellschaft „hineinhalten“. Dann ist es Jesus selber, der die Menschen anspricht und sich ihnen schenkt. Einen solchen Dienst kann nur jemand tun, der von Jesus fasziniert ist. Von einem Jesus, der dem Vater und den Menschen ganz zugewandt ist.

Was heißt es wie Maria zu leben und Jesus Raum zu geben? Es fängt mit der innigen Beziehung zu Jesus an. Ich lebe aus seinem Wort, ich richte mich nach dem Evangelium und kann nichts anderes tun, als jedem Menschen in Liebe zu begegnen. Maria vermittelt dem Priester eine Weite des Herzens und eine fast unerschöpfliche Kraft, bei den Menschen zu bleiben. Denn auch unter dem Kreuz lief Maria nicht weg. Sie blieb bei Jesus, und er konnte ihr Johannes und in ihm die ganze Menschheit anvertrauen. Wer als Priester wie Maria glaubt und lebt, kann Jesus auch heute in die Gesellschaft „hineinhalten“. In dieser Haltung ergänzen sich Priester und Laien. So kann verständlich werden, dass es letztlich die Kirche ist, die Jesus in die Gesellschaft „hineinhält“.

Darum werden sich die Priester der Zukunft mit den Laien auf den Weg begeben, um gemeinsam Räume zu schaffen, in denen Jesus erfahrbar wird. Wenn christliche Eheleute sich bewusst werden, dass sie kleine Hauskirchen sind, wenn Christen auch am Arbeitsplatz darauf achten, ihr Handeln von der Liebe zum Nächsten leiten zu lassen, wenn Menschen anfangen, ihre freie Zeit mit anderen zu teilen, die im Alter oder in der Erziehung ihrer Kinder auf Hilfe angewiesen sind, dann wird Jesus in unserer Gesellschaft präsent.

Ein solcher Dienst verlangt wirksame Formen der Gemeinschaft. Priester brauchen Orte der Regeneration und Kontemplation. Dort werden sie persönlich vom Evangelium geformt. Auch Priester dürfen immer neu verstehen lernen, dass die konkrete biblische Botschaft zentrale Impulse für unser Leben enthält.

Werfen wir einen Blick auf die Lesungen dieses Sonntags: Wir glauben an einen Gott, der ganz offen ist, in dem wir Menschen Raum finden. Die Dreifaltigkeit ist ein Ort, in den wir Menschen eintreten können. Dort finden wir größte Barmherzigkeit und absolute Liebe. Schon Mose durfte hören: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue.“ Und Jesus sagt das ganz direkt. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab.“ Wer in diesen Raum Gottes eintritt, empfängt einen Frieden, der uns auf alle Menschen zugehen lässt, ganz gleich ob sie glauben oder nicht, der uns frei macht, uns vor Überforderung bewahrt, uns barmherzig sein lässt mit anderen und mit uns selbst.

St. Antonius, Finnentrop-Heggen, 18. Mai 2008

zurück