Predigt im Rahmen der Vorbereitung auf den Ökumenischen Kirchentag 2003

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Jesu Bitte an den Vater für uns: eins zu sein

Ich bin sehr in Verlegenheit und fast zittere ich, hier heute zu Euch zu sprechen. Nicht wegen dieses Publikums, das ihr seid, sondern wegen dieser Worte, die wir gerade gemeinsam gehört haben, die Worte des hohenpriesterlichen Gebetes Jesu Christi zum Vater für uns, für die Einheit derer, „die durch ihr Wort /der Apostel Wort / an mich glauben (Joh 17,20).

Es ist kein vergangenes Ereignis – es geschieht heute, jetzt.

Der Heilige Geist hat auf dem II. Vatikanischen Konzil durch den Mund der Konzilsväter gesagt: „Wenn man in der Kirche das Evangelium verkündet, verkündet es Christus“ ( SC 7). Er ist der Kyrios, der auferstandene Herr. Sein Wort ist lebendig:
„Durch sein Wort sind die Himmel geschaffen worden“ (Ps 33,6),
„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“. ( Mt 24, 35)

Vor der Vorbereitung oder dem Hören einer Predigt werden wir durch die Worte Jesu eingeladen, ja aufgefordert, uns dessen, was wir hören, bewusst zu werden und es anzunehmen. Jesus erinnert uns daran, was er den Aposteln gegeben hat: „den Namen des Vaters“, „das Wort des Vaters“ und jetzt – wie zusammenfassend: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ (Joh 17, 22). Um eins zu sein , ist es notwendig die Herrlichkeit des Herrn zu empfangen.

Auch hier – wie anderswo – schimmert die nachpfingstliche Situation durch: Jesus gibt den Aposteln – und er gibt es auch uns – das göttliche Leben, die Fülle des göttlichen Lebens. Die Herrlichkeit, die Doxa bedeutet auch der Heilige Geist. Er ist der höchste Ausdruck der Vollendung, der Vollendung in der Einheit, die ein Geschenk Gottes ist, von Jesus dem Auferstandenen. Er erbittet diese Herrlichkeit für uns.

Als Jesus den Aposteln den Namen des Vaters gegeben hat, da haben diese ihn – so sagt die Heilige Schrift – angenommen. Dasselbe wird über sein Wort gesagt. Die Apostel haben es angenommen, das heißt: sie haben reagiert, mitgearbeitet, angenommen.
Der Heilige Geist, der Geist der Einheit wird nicht etwa den zerstreuten Aposteln, auch nicht jedem je einzeln gegeben, sondern gemeinsam, eben da, als sie zusammen waren , gemeinsam an einem Ort versammelt.

2. Christus in unserer Mitte: erste Priorität der Ökumene

Wir sind von Paulus in seinem Römerbrief aufgefordert: „Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan“, „seid untereinander eines Sinnes“. Hier klingt mir sofort ein wichtiges Wort Jesu an die Apostel in den Ohren: „Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten“ (Mt 18,19). Ich übersetze diesen Vers gern so: Wenn zwei von euch eins werden auf Erden, dass sie um irgendetwas beten wollen, so wird es ihnen von meinem Vater im Himmel zuteil werden.

Darauf kommt es also an:
„Einander in brüderlichen Liebe zugetan sein“,
„untereinander eines Sinnes“,
„wenn zwei von euch eins werden“.

Wir müssen uns um das „eines Sinnes werden“ bemühen, das ist unsere Aufgabe, unser Teil. Dann werden wir das Geschenk der Einheit empfangen, weil dann Er selbst in unserer Mitte ist, wie es in Mt 18,20 heißt: „Denn, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“.

Diese Gegenwart Christi ist für die Kirche grundlegend. Wo Er gegenwärtig ist, dort ist die Kirche! Das ganze Leben der Kirche entwickelt sich „durch ihn und mit ihm und in ihm“ (Im Hochgebet der Messe). Deswegen ist es auch die erste und wichtigste ökumenische Angelegenheit und Anstrengung, die Bedingung zu schaffen, dass wir IHN unter uns, in unserer Mitte haben. Er ist nicht automatisch in unserer Mitte, er zwingt sich nicht auf. Er will eingeladen werden.
Siehe: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Off 3,20), weil meine „Freude ist es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,31). Der Heilige Geist hat es durch den Propheten Jesaja vorausgesagt. Der Messias wird den Namen Immanuel tragen, das bedeutet „Gott mit uns“ (Jes 7,14).
Dies ist eine große und fast überall im Alten Testament gegenwärtige Tatsache des Volkes Gottes, über die der Prophet Zefanja jubelt: „Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! Freue dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem ...Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte...An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen:...Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, er erneut seine Liebe zu dir, er jubelt über dich und frohlockt...“ (Zef 3,14-17).

Also in unserer Mitte, nicht zur Rechten des Vaters?

Das Sitzen zur Rechten des Vaters, das Ausüben der Macht geschieht gerade durch Jesus den Auferstandenen in unserer Mitte, weil es heißt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21).
Für diese Gegenwart den Weg zu bereiten, die Tür zu öffnen - jetzt haben wir seine „Stimme gehört“ (vgl. Off. 3,20) -, das ist die wichtigste Aufgabe jeder Kirche und besonders der Kirchen miteinander.

3. Pakt der gegenseitigen Liebe als Vorbereitung auf den Ökumenischen Kirchentag

Seine Gegenwart ist die allererste Voraussetzung für das richtige Hören des Wortes Gottes in der Gemeinschaft, die richtige Feier der Eucharistie, für jede Tätigkeit der Kirche überhaupt...

Darum soll man sich immer bemühen, besonders aber bei der Vorbereitung des Ökumenischen Kirchentages. Wenn man sich direkt für gemeinsames Feiern der Eucharistie einsetzt, ohne diese Voraussetzung erfüllt zu haben, bedeutet es, das Haus vom Dach her zu bauen.
Und doch sagt uns ganz klar der Herr: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen, geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder...“ (Mt 5,23) .

Deswegen meine ich, dass es das Ziel des Berliner Ökumenischen Kirchentages sein sollte: Jesus in der Mitte zu haben. Das ist unsere erste Priorität.

Und das größte bleibende Ergebnis des Treffens sollte der Pakt der gegenseitigen Liebe sein, nämlich das Versprechen: Wir wollen uns immer um die gegenseitige Liebe bemühen, um zuerst die reale Präsenz Christi in unserer Mitte zu haben. Wo diese reale Gegenwart Christi – an die wir glauben – Wirklichkeit ist, dort ist die Kirche Christi. Dann ist Er es,

• der uns verbindet,
• der unter uns den Geist der Einheit ausgießt und
• der sich uns schenkt.

Die allererste und wichtigste Aufgabe in der Ökumene also ist es „in der Liebe zu sein“, „sich zu entäußern“, um seine Gegenwart geschenkt zu bekommen, die uns das göttliche Geschenk der Einheit bringt. Um die Einheit zu erlangen, ist es von unserer Seite her notwendig, jeden Augenblick, jeden Tag neu zu üben, in der Liebe zu sein, um diese reale Gegenwart Jesu des Auferstandenen unter uns zu haben und von Ihm her mit dem göttlichen Geschenk der Einheit beschenkt zu werden. So wird unsere Anstrengung „einander in brüderlicher Liebe zugetan zu sein“ durch das göttliche Geschenk Seiner Gegenwart unter uns umgewandelt, so dass wir dann eins werden wie Er und der Vater eins sind.

Berlin, 2. Januar 2003

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