Werft das Netz aus - für eine einladende Kirche
Pfingsten entsteht die neue Gemeinde St. Andreas, Cloppenburg,
aus St. Andreas, St. Augustinus, St. Josef, St. Bernhard.
Eine Stadt – eine katholische Kirchengemeinde.
Ein Ansprechpartner für die evangelische Gemeinde.
Kirche lebt für die Stadt, für alle in dieser Stadt.
Die Auflösung der bisherigen Gemeinden ist für viele eine Katastrophe.
Bewährte Strukturen fallen, was geschichtlich gewachsen ist, verändert sich.
Es gibt noch weitere Katastrophen:
sexueller Missbrauch von Priestern und sogar von Bischöfen,
sogar Vorwürfe an den Papst,
dem Bischof v. Augsburg wird Veruntreuung von Finanzen vorgeworfen.
Die Menschen in der Kirche, die Gläubigen, sind bis ins Mark erschüttert:
wem können wir noch vertrauen?
wozu brauchen wir noch Kirche?
wozu brauchen wir noch Priester?
Die Zahl der Kirchenaustritte steigt, viele überlegen es sich.
Ich höre die Frage, die Jesus seinen enttäuschten Jüngern stellte:
„Wollt nicht auch ihr gehen?“
Die Antwort von Petrus:
„Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.“
Im heutigen Evangelium sehen wir Jesus am Ufer stehen.
Es ist nach Ostern,
die Jünger sind auf dem See und haben nichts gefangen,
die Jünger sind enttäuscht, sie sind allein,
der Herr ist weg.
Von Jesus geht die Initiative aus:
er geht auf sie zu,
er stellt sich ans Ufer und schaut auf seine Jünger,
er ist da, scheinbar am Rand des Geschehens.
Johannes entdeckt ihn: „Es ist der Herr“.
Sofort richten sich alle Augen auf Jesus:
Er wird ihre Mitte.
Jesus spricht zu ihnen: „Werft die Netze aus!“
Sie hören auf das Wort Jesu, tun es,
und es passiert etwas:
Die Jünger machen einen großen Fang
und staunen, dass das Netz nicht reißt
Jesus möchte aus den Berufsfischern Menschenfischer machen,
also Personen, die ihre Mitmenschen einladen,
eine Gemeinschaft zu werden, die es in dieser Form
nicht gegeben hat:
in der Gott nahe ist,
wo die Menschen Brüder und Schwestern sind,
wo Mann und Frau gleiche Rechte haben,
wo es keine Fremden und Ausgegrenzten gibt,
wo man miteinander teilt,
wo eine Hoffnung ist, die über den Tod hinausgeht.
Eine Gemeinschaft, die hier anfängt und
in die Ewigkeit hineinragt.
Ihre Geschichte mit Jesus war scheinbar „abgebrochen“.
Jesus war gekreuzigt worden, alle Hoffnungen waren gestorben.
Die Jünger verstanden nichts mehr.
Sie waren enttäuscht und liefen auseinander.
Zur alten Gesetzesfrömmigkeit konnten sie nicht mehr zurück.
Sie hatten die Freiheit Jesu genossen.
Was tut Jesus?
Er zeigt, dass er da ist,
dass er lebt –
mitten im Alltag, beim Fischen, nicht im Tempel;
er sammelt sie und zeigt ihnen seine Nähe.
Sie erfahren, was seine Gegenwart bedeutet,
dass er bei ihnen bleibt,
dass es ein großes Glück ist,
zu seiner „Familie“ zu gehören.
Die Jünger erleben hier die einfachste Form von Kirche:
es reichen zwei oder drei, dass der Herr bei ihnen ist.
Hier fügt sich die Erfahrung eines Bischofs aus Vietnam ein, der in Erwartung seiner baldigen Verhaftung durch die Kommunisten 1974 seinen Gläubigen Folgendes sagte:
„Bald werden die Grenzen dicht gemacht. Die kommunistische Diktatur wird kommen. Die Bischöfe werden verhaftet. Es wird keine Priesterweihen mehr geben und keine Eucharistiefeier. Die Gemeinden werden dicht gemacht. Aber eines kann man uns nicht nehmen: dass zwei oder drei sich im Namen Jesu versammeln. Das wird die Zukunft von Vietnam sein.“
Mut, Freude, der Mut zum Bekenntnis und zur öffentlichen Rede.
Die Jünger verstehen den Sinn seiner Worte.
Die Netze auswerfen bedeutet:
andere mit hinein nehmen in diese Erfahrung:
es geht nicht darum, Leute einzufangen,
sondern sie aufzufangen,
damit sie Leben haben,
sich ihrer Würde bewusst werden,
ihre Freiheit zu gebrauchen wissen,
keine Angst vor der Wahrheit haben,
Freude am Evangelium finden.
Wir stehen heute vor einer kopernikanischen Wende. Nicht nur die Priester sollen das Netz auswerfen. Alle sollen es tun. Bisher ordnete sich das kirchliche Leben priesterzentriert. Hier muss ein Richtungswechsel erfolgen, eine Wende.
Ist das nicht eine totale Überforderung, heute in dieser Weise Gemeinde zu sein?
Die Zeit der Lehrer ist vorbei, sagte Papst Paul VI. Es braucht Zeugen!
Ich bringe zwei Beispiele von Kirche-Sein an der Basis:
- Erfahrung Lehrer an einer Hauptschule
- Im Supermarkt in Zürich
Kirchliches Leben einer neuen Pfarrei entsteht weniger durch Organisation, sondern wenn Menschen auf die Frage Jesu „Liebst du mich?“ ihre persönliche Antwort geben – Ja, ich liebe dich.
Dann, wenn jemand diese Antwort gibt, beginnt Kirche von unten, an der Basis,
noch mehr dort, wo sich zwei oder drei im Namen Jesu zusammen tun:
Sie treffen sich nicht, weil sie ein gemeinsames Hobby haben,
nicht weil sie sich sympathisch finden oder gleich gesinnt sind,
nicht weil sie eine Karriere vor sich haben.
Sie haben die Sehnsucht nach Jesus und nach einer Welt,
die von seinem Geist geprägt ist.
Was ist die Mitte ihres Zusammenseins?
Sie versammeln sich, um das Wort Jesu zu lesen und sich davon
inspirieren zu lassen.
Selbst ohne die Eucharistiefeier kann Jesus in ihrer Mitte sein.
Sie sind Angesprochene von Jesus und wollen deshalb
in seinem Sinne handeln:
er lässt sie die Not anderer sehen,
er zeigt ihnen Wege, wie man helfen kann.
Sie leben dann automatisch das Kirche-Sein, wie es die Kirche auf dem Konzil verstanden hat. Diese Kirche ist keine, die von oben belehrt, die für sich abgeschlossen lebt, sondern die mitfühlend bei den Menschen ist:
"Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände." (Gaudium et Spes 1)
Die neuen pastoralen Räume können uns zum Segen werden, wenn viele kleine Gemeinschaften in den Nachbarschaften entstehen und ein Netzwerk von „beweglichen Kirchen“ bilden.
"Was mich am meisten beeindruckt hat, wenn ich an Christi Gegenwart denke, ist, dass es für diese nur wenig braucht, es genügen zwei oder drei … und wo Er ist, formt er die Kirche, jenes Werk, für das Er auf die Erde gekommen ist. Und damit hat Er in mir eine unglaubliche Leidenschaft geweckt, Ihm weltweit Tausende, ja Millionen Kirchen zu bauen, die nicht aus Stein gemauert sind, sondern aus zwei oder drei Personen bestehen, die in Seinem Namen geeint sind!(…) Und wird so nicht Jesus inmitten dieser beweglichen Kirchen, die in die ganze Welt gehen können, die Seele der Welt von morgen sein?" (Chiara Lubich, Loppiano, 27.11.1975).
Wer ein Teil dieser „beweglichen Kirchen“ ist, ist es auch dann, wenn er allein durch die Straßen geht, wenn er seinen beruflichen Aufgaben nachkommt oder wenn er sich in einem Verein engagiert. Er darf das Bewusstsein haben:
Ich bin hier die Kirche.
Ich lebe hier meine Freiheit.
Ich kann für andere da sein.
Ich muss mich nicht verbiegen und mein Christsein verleugnen.
Ich lege Zeugnis ab für den, der mich angenommen hat.
In der Eucharistiefeier des Sonntags werden die vielen kleinen Gemeinschaften zur Kirche zusammengefügt und bringen dort ihr Leben und die Anliegen der ganzen Stadt ein.
Cloppenburg, St. Josef, 3. Ostersonntag 2010