Editorial 1_2007

In Würde alt werden - die Chance des Alters

In der Geschichte der Menschheit – so schreibt in seinem Beitrag Ludger Veelken, der mittlerweile emeritierte Professor für soziale Gerontologie und Geragogik an der Universität Dortmund – hat es noch nie eine Gesellschaft wie die unsere gegeben, in der so viele Menschen immer älter werden und wo die Gruppe der Älteren die der Jüngeren an Anzahl weit überrundet. Dieses Prisma-Heft möchte den Blick auf diese neue Situation richten und einige wichtige Perspektiven zum Umgang mit dem Alter freilegen. Es geht um die Würde der älter werdenden Menschen und um die Chancen, die sich mit dem Alt - Werden ergeben.

Alt werden ist immer noch für viele ein Ziel, andere jedoch graut es, wenn sie an ihre grauen Haare denken. Alzheimer, Demenz, Rollstuhl, Pflegeversicherung – das sind Stichworte, die sogleich durch´s Hirn gleiten, wenn heute vom Alter gesprochen wird. Die Spuren des Alterns, manchmal körperlich erkennbar und spürbar, manchmal auch psychisch und geistig belastend, können auch Hinweis darauf sein, dass jemand sich ganz verzehrt, ja ganz hergegeben hat. So sieht es Chiara Lubich in ihrer Meditation, die wir diesem Heft voranstellen.

Jedoch: Alter ist nicht gleich Alter. Es gibt viele Senioren, die ihr Leben genießen und darüber hinaus Wege finden, einen erfüllenden neuen Ansatz für ihr eigenes Leben zu finden und einen echten Beitrag für das Leben anderer zu geben.

Unter dieser Rücksicht sind die Interviews von großer Bedeutung, die wir mit der in Moskau lebenden 86jährigen Fokolarin Regina Betz und mit dem früheren SPD-Vorsitzenden Hans Jochen Vogel führen konnten, der jetzt mit seiner Frau in einer Münchener Seniorenresidenz seinen Lebensabend verbringt.

Das Alter tritt heute als mehrstufige, wichtige und für das Zusammenleben der Menschen unersetzliche Lebensphase immer mehr in den Blick. Unter dem Gesichtspunkt von Identität und Lebenskunst behandelt Ludger Veelken die Aspekte einer Neueinschätzung des Alters. Der in letzter Zeit deutlich hervortretende Topos kommt im Beitrag des Theologen und früheren Bischofs von Innsbruck Reinhold Stecher, aber auch im Beitrag des Psychotherapeuten Hermann Schweers neu zur Geltung. Aus dem Lebensbericht des früheren Pfarrers der Erzdiözese Freiburg und heute im Priesterhaus Paul VI in Ottmaring/Friedberg lebenden Franz Knittel wird erkennbar, dass der Alterungsprozess nicht notwendig in Depression enden muss, sondern eine neue geistige und geistliche Weite schenken kann. In die gleiche Richtung zielen auch Aussagen des langjährigen Priesterseelsorgers Pit van Breemen, der das Altwerden als lebenslange Aufgabe beschreibt.

Die unterschiedlichen Ansätze, die unsere Autoren in diesem Heft einbringen, bündeln sich geradezu in dem exegetischen Beitrag von Professor Dr. Franz Sedlmeier/Augsburg, der seinen Beitrag dem emeritierten Bischof von Augsburg Dr. Victor Josef Dammertz OSB gewidmet hat. Ausgehend von dem Psalmvers „Sie tragen Frucht noch im Alter und bleiben voll Saft und Frische“ (Ps 92, 15) zeigt er in seinem Beitrag auf, dass biblisch gesehen Alter und Lebensfülle zusammen gehören, ja dass über dem Alt-Werden eine besondere Verheißung Gottes liegen kann.

Dass der Glaube an den persönlichen Gott, den Hans Jochen Vogel als archimedischen Punkt seiner Lebensweisheit ausmacht, das eigene Leben bis in die letzten Grenzen hinein prägen kann, kommt auch in dem von Bischof Klaus Hemmerle kurz vor seinem Tod geschriebenen letzten Brief an die Priester und Pastoralreferenten des Bistums Aachen, sehr lebendig zum Ausdruck.

Fazit dieses Heftes könnte dieser Gedanke sein: Das Gewicht, die Bedeutung und der Wert älterer Menschen muss in der Pastoral, in der Kirche und in der Gesellschaft noch wesentlich entschiedener zur Kenntnis genommen werden.

Wilfried Hagemann

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