Abriss, Umnutzung, Neubau – vom sorgsamen Umgang mit Kirchen
Verwaiste Kirchenräume sind heute keine Seltenheit mehr. Wir stellen fest, dass sich auch die säkulare Öffentlichkeit schwer damit tut, dass Kirchen entwidmet und abgerissen werden. Es ist kein Zufall, dass die Deutsche Bischofskonferenz schon in 2003 zum Thema Umnutzung von Kirchen in einer Arbeitshilfe Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen vorlegte. Die Kirchen sehen sich vor einem pastoralen Problem, das wir mit diesem PRISMA-Heft aufgreifen möchten.
Inzwischen haben sich die Prozesse in den Gemeinden und Bistümern zugespitzt, aber auch differenziert. Es ist interessant zu sehen, dass sich bei einem Thema, das eher Trauerprozesse auslösen kann, durchaus neue Perspektiven für Kirche und Seelsorge zeigen. Das Werkstattgespräch in der Katholischen Akademie Schwerte unter dem Titel „Teilumnutzung von Kirchen“ im Januar 2009 hat wertvolle Anstöße und Impulse geliefert, die in dieses Heft eingeflossen sind.
Erstaunen löst sicher der Entschluss der Propsteigemeinde Leipzig aus, mitten in einer dem religiösen Leben entfremdeten Stadt, eine neue Kirche zu bauen und zwar nicht nur für die katholischen Christen der Stadt, sondern, wie Propst Giele in seinem Beitrag andeutet, „vielleicht sogar vorrangig für Neugierige, Suchende und Passanten“.
Paul Böhm, in dritter Generation Architekt, der gerade die neue Moschee in Köln errichtet, sieht in der von ihm erbauten Kirche in Köln-Vingst einen Ort des Rückzugs aus der Hektik des Alltags, einen Meditations-und Gebetsraum. Er reflektiert aber auch die Notwendigkeit, bestehende Kirchengebäude neu zu interpretieren.
Der Kunsthistoriker Bredenbeck beschreibt am Beispiel der Umnutzung dreier evangelischer Kirchen in Wuppertal gelungene Projekte. Kirchen bleiben als Gebäude bestehen und behalten ihre städtebauliche Relevanz, obwohl sie mittlerweile als Versammlungs-, Unterrichts-, Verkaufs- oder Konzert-Räume dienen.
Der Münsteraner Architekt Chlodwig stellt das Konzept für die Umwandlung einer Kirche in ein Kolumbarium vor, das - die Erkenntnisse der Trauerpastoral einbeziehend - einen Ort anbietet, an dem Hinterbliebene Abschied nehmen, verweilen und Trost finden können.
Wie verwaiste Kirchenräume durch Teilumnutzung, Gastnutzung und Nutzungserweiterung kirchlich wieder belebt werden können, stellt der Denkmalpfleger Fisch am Beispiel der Evangelischen Ostergemeinde Berlin-Wedding vor.
Was passiert, wenn in eine Region eine Kirche „hinein gepflanzt“ wird, reflektiert Pfarrer Schödl, der 2007 mit seiner sechsköpfigen Familie nach Thüringen gezogen ist und den für die EXPO 2000 in Hannover erbauten Christus-Pavillon betreut. Der Bericht von Irene del Valle lädt zu einem Spaziergang in Volkenroda ein.
Christa Reicher, Professorin für Stadtplanung in Dortmund, warnt davor, den heutigen Säkularisierungsschub festzuschreiben und plädiert für eine „Strategie des Abwartens“. Bei Umwandlungsprozessen bräuchten die Gemeinden auch Hilfen von außen, denn eine Kirchenschließung sei nicht nur ein Kirchen internes Problem. Sie berühre auch den spirituellen Charakter eines Stadtviertels.
Der Psychoanalytiker und Klinikpfarrer Reuter erklärt, wie Kirchenräume die Tiefenschicht des Selbstseins eines Menschen berühren. Schließung und Abriss könnten zu tiefen Verletzungen führen, die nur durch sorgfältiges Vorbereiten und Aufarbeiten vermieden werden können. Auch ihm ist es wichtig, dass nicht überstürzt gehandelt wird, wenngleich Ortswechsel und Ortsverlust zur Reifung des Menschen gehörten.
In seinem kirchen- und staatskirchenrechtlich fundierten Beitrag beleuchtet der Jurist Hense Voraussetzungen und Probleme, die mit der Teilumnutzung von katholischen Kirchen verbunden sind.
Der sorgsame Umgang mit den Kirchengebäuden ist zugleich ein sorgsamer Umgang mit den Seelen.
Wilfried Hagemann