Vertrauen basiert auf Freiheit
Das Vertrauen in die katholische Kirche ist bis in ihre innersten Kreise hinein erschüttert. Grund: der Missbrauchsskandal und seine schleppende Aufarbeitung. Verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen ist ein elementares Thema nicht nur für die gesamte Kirche, sondern auch für Politik und Gesellschaft.
Mit diesem PRISMA-Heft möchten wir einen Beitrag anbieten zur Beförderung einer Kultur des Vertrauens. Es entstand aus einem lebendigen interdisziplinären Dialog unter Theologen, Psychologen und Soziologen, von Theoretikern und Praktikern.
Gibt es die Chance einer neuen Vertrauensbildung? Wie geht das? Wo gibt es Leuchtpunkte? Wo öffnen sich neue Räume?
Im ersten Beitrag bezeichnet die Psychoonkologin Tonja Deister die Haltung des Vertrauens als eine Qualität, die zwar unverfügbar ist, sich aber einstellt und sich schenkt, wenn auf die gegenseitige Offenheit in den Beziehungen geachtet wird. Sie zeigt auf, wie die Psychotherapie neues Vertrauen aufbauen und Wunden heilen kann.
Professor Bernhard Casper, emeritierter Religionsphilosoph aus Freiburg und mit Klaus Hemmerle und Peter Hünermann gemeinsam in der Schule bei Bernhard Welte, geht quasi nach archäologischer Manier vor. Anhand der Erfahrung eines Kindes legt er dar, wie Vertrauen sich in einer unverfügbaren Gegenseitigkeit zweier Subjekte ereignet, wenn diese sich aufeinander einlassen.
Im biblischen Kontext wird es deutlich: Wer die Treue Gottes erfährt, kann immer wieder neues Vertrauen schöpfen. Vertrauensnot und sogar Verrat können zur Quelle für neues Vertrauen werden. Dies vermittelt der junge Schweizer Theologe Tobias Häner in einem kühnen Durchgang durch die Psalmen.
Der Züricher Pfarrer Martin Piller stellt das Konzept der gewaltfreien Kommunikation von M.B. Rosenberg vor. Die Sprache des Vertrauens gelingt, wenn zunächst das Gute, Schöne und Positive im Leben des Einzelnen oder einer Gruppe im Vordergrund stehen. Im Leben einer Pfarrei kann diese Methode helfen, unterschiedliche Gruppierungen einer Gemeinde zusammenzuführen. Die Gemeindemitglieder können durch neu aufkeimendes Vertrauen in eine Prozess-Sprache hineinfinden, einfühlsam werden und zu persönlichen Beziehungen befähigt werden.
Nur mit dem Mut zur Wahrheit, der Überwindung von Imagedenken und der Bereitschaft, alles beim Namen zu nennen, können wir der Versuchung widerstehen, zu vertuschen und nicht wahrhaben zu wollen. Vertrauen basiert auf Freiheit. So der Jesuitenpater Klaus Mertes, der den über Jahrzehnte schwelenden sexuellen Missbrauch von Schülern durch Priester am Canisius-Kolleg in Berlin aufdeckte. Er untersucht in seinem Beitrag nüchtern und klar die Chancen einer neuen Vertrauensbildung in Kirche und Gesellschaft.
Im Beitrag des emeritierten Bischofs Joachim Wanke von Erfurt spürt man den erfahrenen Blick eines Seelsorgers, der sich gern erinnert, wie er in schwierigen politischen und gesellschaftlichen Situationen aus dem Gottesgeheimnis heraus mit unterschiedlichen Partnern immer wieder neues Vertrauen aufbauen konnte. Wer weitere Generationen auf die Mitte des Evangeliums aufmerksam machen möchte, muss bewusst das Gespräch mit der Gesellschaft, mit den Menschen und mit den Mitgliedern der eigenen Kirche suchen.
Burkhard Meyer, seit 13 Jahren an einem großen Schulzentrum mit Gymnasium und Realschule in der Schulsozialarbeit tätig, beschreibt, was die schulische Sozialarbeit heute leistet. Wenn die Schüler einbezogen werden und ein wertschätzendes Miteinander lernen, hat Mobbing keine Chance. Durch tiefe zwischenmenschliche Beziehungen erfährt die junge Generation personales, gegenseitiges Vertrauen. Beeindruckend ist seine persönliche Erfahrung, wie Gottvertrauen seine Arbeit als Sozialarbeiter begleitet.
Dass Vertrauen die Gemeindearbeit beflügelt, ist gewiss eine Binsenwahrheit. Welche Mühe es aber macht, in einer sich über ein riesiges Terrain erstreckenden ostdeutschen Gemeinde den Start einer neuen Pfarrei zu wagen, berichten Pfarrer Jörg Bahrke und Gemeindereferentin Kathrin Feineis. Gemeinsam mit Pfarrgemeinderat und Gemeindemitgliedern gelingt es, zu den Menschen, die ohne Kirchenbindung leben, Vertrauen und tragfähige Beziehungen aufzubauen.
Offen auf Priester zuzugehen, die auf Konfrontation gehen, weil sie sich mit ihren pastoralen Sorgen allein gelassen fühlen - das ist nicht selbstverständlich. Von einer solchen Initiative berichtet Willi Krautwaschel, Regens in Graz. Priester mehrerer österreichischer Diözesen, die sich der Spiritualität der Einheit verpflichtet wissen, luden Priester aus verschiedenen Priesterinitiativen zum Dialog ein. Sie erleben, dass sich neues Vertrauen zwischen Pfarrern unterschiedlichen kirchenpolitischen Zuschnitts entwickeln kann, wenn die persönliche Beziehung zu Gott mit ins Spiel kommt.
In Poitiers/Frankreich entwickelten sich aus der Zusammenarbeit eines Bischofs und einer charismatischen Gläubigen neue pastorale Ansätze. Die Kirchenpflegerin Marianne Reiser aus Zürich beschreibt, wie diese Erfahrung ihre Pfarrei in Zürich veränderte und gelebtes Vertrauen in der Gemeinde einen neuen Aufbruch bewirkte.
Das Potenzial an Kirchenerneuerung und Lebenskraft, das in einer Kultur des Vertrauens steckt, macht Mut.
Wilfried Hagemann