Editorial 1_2016

Die prophetische Kraft der Jugend

Dieses PRISMA-Heft möchte den Raum öffnen für jene, die unsere Zukunft sind, zahlenmäßig aber in unserer westeuropäischen Gesellschaft immer weniger werden. Dieses Heft will unter dem anspruchsvollen und auch provozierenden Titel "Die prophetische Kraft der Jugend" Wege aufzeigen und ebnen, um in neuer, nicht naiver, sondern reflektierter Weise auf junge Erwachsene zuzugehen.

Wir haben Jugendliche und Erwachsene befragt. Es ergibt sich ein sehr buntes Bild. In den Statements der jungen Menschen, zu denen auch junge erst kürzlich eingereiste afghanische Flüchtlinge gehören, kommen Stimmen zu Wort, die in ihrer unterschiedlichen, direkten und reflektierten Art aufregend sind. Wir finden diese Beiträge an unterschiedlichen Stellen in diesem Heft.

Dass gerade in der Bibel des Alten und Neuen Testaments jungen Menschen, ihrem Suchen und Fragen, aber auch ihrem prophetischen Austrag sehr viel Raum gegeben ist, zeigt die Untersuchung des jungen Pfarrvikars und promovierten Alttestamentlers Tobias Häner. Wer den Beitrag liest von Christoph Lentz, seit kurzem Leiter des Noviziats des Pallottinerordens, trifft auf einen leidenschaftlichen und kompetenten Jugendseelsorger, der herausarbeitet, welches Potential Jugendliche in die sich so verändernde Pfarreienlandschaft einbringen können.

Der Theologe Claudius Hillebrand, vom Jugendpastoralinstitut Benediktbeuren, liefert an Hand aktueller Jugendstudien ein sehr differenziertes Bild der jungen Generation von heute, die sich schwer tut, die Kirche in ihrer jetzigen Gestalt zu verstehen. Für ihn ist klar, dass es neue kirchliche Orte braucht, von denen aus Kirche verstanden und gestaltet werden kann. Die Aachener pensionierte Schulpädagogin Dorothea Mattes beschreibt in der Person des 1994 verstorbenen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle einen Menschen, der in so vielen Facetten seines Denkens, Glaubens und Lebens für junge Menschen erreichbar war und in der Art seines Zuhörens und Sich-Zuwendens junge Menschen mit Gott in Berührung kommen lassen konnte.

Der Beitrag der Soziologin Emanuela Chiapperini, Dozentin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, gibt einen nüchternen Einblick in die Wertorientierungen von heutigen Jugendlichen und deren Zukunftsperspektiven. Wer dies ernst nimmt, wird es leicht haben, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen.

Der katholische Pfarrer Meinolf Wacker, lange Jahre Leiter der großen Jugendbildungsstätte Hardehausen, berichtet von einer wirksamen Form der Jugendpastoral, wo Jugendliche selbst an Hand des alltagsnah gelebten Evangeliums neue Zugänge zum Glauben finden und - international vernetzt - vor Ort, dort, wo sie leben, einen echten und nachhaltigen Impuls zum Frieden geben. Im PRISMA-Interview über die evangelische Jugendkirche Hamm mit der Kirchenmusikerin und Familienmutter Ulrike Egermann kommt zum Ausdruck, dass sie in Jugendlichen Persönlichkeiten kennen lernte, die etwas zu geben haben und "auch uns Hauptamtliche" berühren konnten.

Der junge Kaplan Michael Berentzen beschreibt in frischer und ungewohnter Sprache unter dem aufregenden Titel "Be-flüsterungsgeschich-ten", wie er seine Berufung zum Priester, zum Seelsorger, zum Dienst an der Kirche und ihrer Botschaft entdeckte und wie er unter dem Begriff Berufung seinen Glauben an Gott und die Lebenswirklichkeit seiner Generation zusammenbringt.

Die prophetische Kraft der Jugend zeigt sich schließlich in der Jugend-Initiative COEXISTER aus Frankreich, die unser Redaktionsmitglied Stefan Signer vorstellt. Junge Menschen, Juden, Muslime, Christen, verbünden sich unter den Begriffen Dialog, Solidarität, Sensibilisierung, Bildung und Gemeinsames Leben, um in den sozialen Brennpunkten und in den Vorstädten ihres Landes Brücken zu bauen, Frieden zu stiften, Zukunft zu bauen.

Dieses PRISMA-Heft ist anregend. Es verdient alle Aufmerksamkeit.

Wilfried Hagemann

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