Barmherzigkeit leben - Gerechtigkeit finden
Dieses PRISMA-Heft hat eine besondere Vorgeschichte. In der Redaktionssitzung im Januar diesen Jahres fiel uns auf, dass, Barmherzigkeit im tiefsten Sinn gelebt, zur Gerechtigkeit führen will. Deshalb beschlossen wir, dem Heft „Barmherzigkeit und Versöhnung“ (Heft 2, 2016) ein weiteres, neu akzentuiertes Heft folgen zu lassen: „Barmherzigkeit leben – Gerechtigkeit finden“.
Den Einstieg in dieses Heft geben zwei Bischöfe. Der 1994 verstorbene Aachener Bischof Klaus Hemmerle formuliert glasklar: “Die neue Gerechtigkeit fängt schon jetzt an, wo wir lieben wie ER“. Prof. Dr. Hubertus Blaumeiser, Rom, schildert in seinem Beitrag Eindrücke eines Besuches bei Kardinal Miloslav Vlk, dem Prager Kardinal, kurz vor dessen Tod am 18. März 2017. Kardinal Vlk spricht das Ziel der neuen Gerechtigkeit an. Wörtlich sagt er:“Wir sind geschaffen für das Leben in Beziehung“, dies sei der Grund, auf dem die Gerechtigkeit erwachse.
Prof. Dr. Thomas Söding, Professor für Neues Testament in Bochum, verweist auf den großen Spannungsbogen zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, der das ganze Matthäus-Evangelium prägt, und lenkt den Blick, ausgehend von der Taufe Jesu, auf die Hauptworte Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
Bemerkenswert, dass die Augsburger Professorin für Moraltheologie, Frau Dr. Kerstin Schlögl-Fliers, das Päpstliche Postsynodale Schreiben AMORIS LAETITIA als „Brandbrief für die Liebe“ vorstellt. Der Papst stelle die Frage nach der größeren Gerechtigkeit und zeige Perspektiven auf, wie die Wahrheit Gottes gerade im Feld von Ehe und Familie neu bezeugt werden kann.
Der Kulturwissenschaftler Herbert Lauenroth, Referent des Zentrums für Spiritualität ZSP Ottmaring, geht mit philosophischer Prägnanz und klarer Argumentation der Frage nach, wie das Unbedingte, das „Maßlose“ der Barmherzigkeit ihr rechtes „Maß“ finden kann und wie daraufhin die praktische wirtschaftliche Tätigkeit mit ihren Ordnungsvorstellungen, die Ökonomie, barmherziger werden kann. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit können sich gegenseitig befruchten.
Sr. Teresa Benedicta Weiner OCD gibt einen beeindruckenden Einblick in das Gebetsleben des Berliner Karmel Maria Regina Martyrum. Sie bringt zwischen den Dimensionen von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gleichsam eine dritte Dimension ein, das Gebet um Versöhnung. In einem Zitat von Freya von Moltke, der Witwe des am 23. Januar 1945 zusammen mit Alfred Delp SJ zum Tode verurteilten und in Plötzensee hingerichteten Helmuth James Graf von Moltke, sieht Priorin Teresa Benedicta das Gebet ihres Klosters auf den Punkt gebracht: „Zwar können die Schwestern nicht ungetan machen, was geschehen ist, aber sie setzen dem früheren Unheil ihr Heil entgegen. Weil sie vermögen, neben dem Ort des Grauens ihr Heil zu leben, erschaffen sie ein währendes und gleichzeitig heilendes Erinnern“.
Eine evangelische Ordensschwester, die Privatdozentin am Lehrstuhl Geschichte der Neuzeit in Erlangen, Sr. Nicole Grochowina von der Christusbruderschaft Selbitz, setzt sich in persönlicher und existentieller Weise mit der Theologie und dem Leben von Martin Luther auseinander. Indem sie kritisch die Grenzen Luthers deutlich anspricht, findet sie den Raum, die „inspirierende Ambivalenz Luthers“ herauszuarbeiten und ihm so gerecht zu werden.
Pfarrer Udo Stenz, Ludwigshafen, lädt ein, mit ihm der Kreuzeswissenschaft von Edith Stein zu begegnen. Wer lernen möchte, mit sich selbst barmherzig umzugehen und gerade so auf der Spur der Gnade zu bleiben, die Gott allein schenken kann, sollte die sehr klaren und ganz nah am Menschen von heute formulierten Aussagen zum Glaubensdunkel lesen. Mancher Zweifel und manches Nicht-mehr-glauben-Können stellt Edith Stein in den Zusammenhang jener Erfahrung von Nacht, welche die Spiritualität des Karmel prägt.
Der Diplomtheologe Marius Grath, Tübingen, erarbeitet einen fruchtbaren Einblick in die kirchliche Flüchtlingsarbeit eines katholischen Stadtdiakons. Die von Johann Baptist Metz vor Jahrzehnten geforderte „Compassio“ wird in der hier geschilderten Flüchtlingsarbeit Ausgangspunkt einer internationalen Gerechtigkeitsperspektive, einer neuen Form von Ökumene, die weit über den Raum der Kirchen hinausgeht und die Mitarbeitenden pluralismusfähig macht.
Der Beitrag von Frau Dr. Monika Maria Wolff, langjährige Begleiterin von sozialen Basisnetzwerken im Kongo/Kinshasa, nimmt mit in die Aporie des Leidens von Kindern - ein Schrei nach Gerechtigkeit.
Unser Heft schließt mit einem Bericht unseres Chefredakteurs Bernd Aretz, Münster. Aretz gelingt es, durch seinen Bericht über das in jeder Hinsicht einzigartige Museum der Vergebung, das die Steyler Missionare in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Maurice Ambaum seit etwa zehn Jahren aufbauen, für eine neue Kultur der Barmherzigkeit zu werben.
Gebet, Versöhnung, Vergebung - dies sind alles Facetten eines Weges, der von der Barmherzigkeit zur Gerechtigkeit führt und auf den dieses PRISMA verweisen möchte.
Wilfried Hagemann