Editorial 2_2012

Die Rezeption des II. Vatikanum – eine bleibende Aufgabe

50 Jahre Konzil – das ist mehr als ein Fest oder eine historische Erinnerung. Das II. Vatikanische Konzil ist in der Kirche und an der Basis der Gemeinden angekommen und ist doch auch Geschichte. Dieses Prisma-Heft möchte eine Lesehilfe sein: Es lädt die Leser ein, die Dokumente des Konzils heute neu zu lesen und dadurch jene Impulse aufzunehmen, die Johannes XXIII., Paul VI. und die vielen Konzilsväter und Konzilstheologen der Kirche mitgaben auf den Weg in die Moderne. Wir haben einige Theologen und einige Laien gebeten, aus der Perspektive ihres jeweiligen Fachgebiets auf bestimmte Texte des Konzils zu schauen und von dort in unsere heutige kirchliche Situation Brücken zu bauen.

Hermann J. Pottmeyer, em. Professor für Fundamentaltheologie in Bochum, zeigt auf, dass der persönliche Glaube und die in 20 Dienstjahren im Orient und in den 8 Dienstjahren in Paris gewonnenen Lebenserfahrungen es Papst Johannes XXIII. möglich machten, an ein neues Pfingsten in der Kirche zu denken und den Aufbruch einer Kirche zu wagen, die sich zu lange als Festung gegen die Moderne abgeschottet hatte.

Thomas Söding, Professor für neutestamentliche Exegese in Bochum und Mitglied der Päpstlichen Theologischen Kommission, vermittelt in seinem Beitrag sehr konkret, wie auf dem Konzil durch die Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung die Bibel ins Zentrum des theologischen und ökumenischen Handelns der Kirche gestellt wurde, so dass ein Anfang gesetzt wurde , der in der Kirche und in der Theologie hoffnungsvolle Spuren eingeprägt hat.

In seiner Analyse der Pastoralkonstitution Die Kirche in der Welt von heute würdigt der Pastoraltheologe von Bochum, Professor Matthias Sellmann, die Tatsache, dass das Konzil in diesem Dokument gleichsam eine neue Sprache lernt, weil es die Zeichen der Zeit in Geschichte und Gesellschaft wahrnimmt und ernst nimmt und dadurch ein neues Portal des Dialogs zwischen Kirche und unterschiedlichsten Kulturen aufstößt.

Für Hubertus Blaumeiser, internationaler Verantwortlicher der Priester-Fokolare, Mitarbeiter als Theologe am Theologiezentrum der Fokolar-Bewegung für den Bereich Ekklesiologie und Pastoral und Redakteur der Zeitschrift für kirchliches Leben „gen’s“, ist es ein wichtiges Anliegen, gerade angesichts und aufgrund der sich nördlich der Alpen verschärfenden Lebenssituation der katholischen Priester das Prophetische und das Neue des Dekrets über Dienst und Leben der Priester herauszuarbeiten und für die gegenwärtige pastorale Situation fruchtbar zu machen.

Der Beitrag des Erfurter Professors für neuere Kirchengeschichte Josef Pilvousek und seines Assistenten Sebastian Holzbrecher ist der Beteiligung der katholischen Kirche der DDR am Konzil und an der Rezeption der Konzilsdokumente in Ostdeutschland gewidmet, was für die katholische Kirche in der DDR unter einer real existierenden sozialistischen Diktatur nicht einfach war.

Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken/ ZdK und langjähriger Präsident des Bayerischen Landtags, hebt die zentrale Bedeutung der Erklärung über die Religionsfreiheit ins Licht für die innere Entwicklung der Kirche und sieht in ihm ein Schlüsseldokument für die Bewertung der Gewissensfreiheit und der Menschenrechte in Kirche, ja einen Wegweiser für eine humane Welt.

Der ehemalige über viele Jahre verantwortliche Schriftleiter unseres PRISMA und Leiter des Gesprächskreises Juden und Christen beim ZdK Professor Hanspeter Heinz sieht im 4. Kapitel der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen das mutigste Konzilsdokument, weil es auf ausdrücklichen Wunsch von Johannes XXIII. das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk durch den Verweis auf die Verwurzelung der Kirche im Stamme Abrahams auf eine neue theologische Grundlage stellte.

Der Direktor des Päpstlichen Missionswerkes Missio/Aachen, Prälat Dr. Klaus Krämer, stellt die Perspektiven heutiger Evangelisierungsarbeit vor, die im Zusammenklang der Erklärung über die Religionsfreiheit und des durch das Konzil ausgelösten Dialogs der Kirche mit den Weltreligionen im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche eine völlig veränderte Orientierung erfahren hat und eine neue Epoche der Missionstätigkeit der katholischen Kirche weltweit eingeläutet hat.

Eine lebendige und innovative Rezeption der Liturgiekonstitution wird deutlich am Leben der Gemeinde St. Regina in Drensteinfurt im Bistum Münster. Pfarrer Matthias Hembrock und seinem Seelsorgeteam ist es gelungen, liturgische Vielfalt zu fördern und „als religiöser Dienstleister“ die christliche Botschaft anzubringen.

Wie das Dekret über das Laienapostolat an der Basis in einem Bistum angekommen ist und wie das klare kirchliche Profil einer in Gemeinde und Bistum engagierten Frau sogar Frustration und Euphorie ausgleichen kann, zeigt der Beitrag von Margret Pernhorst, einer Bauersfrau, die fast 25 Jahre Vorsitzende des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster war.

Annethres Schweder, langjährige Mitarbeiterin in der ACK Münster und in der ACK Nordrhein-Westfalen sowie engagiert im christlich-islamischen Dialog in Münster, berichtet, wie die Impulse des Konzils im Feld der Ökumene und der Dialog-Arbeit fruchtbar werden können, gerade wenn Frauen vor Ort öffentlich und praktisch initiativ werden.

Die Rezeption des Konzils ist keineswegs erledigt, sie liegt zu großen Teilen noch vor uns und ist eine bleibende Aufgabe. Darum kann es hilfreich sein, wenn der Bericht eines Zeitzeugen, in diesem Falle von mir, die überraschende Aufbruchsstimmung der Konzilsjahre einfängt. Mit einem Gedanken aus dem Schreiben der deutschen Bischöfe vom 27. September 2012 möchte ich schließen: „Das Konzil ist nicht nur ein bedeutendes Ereignis in der Vergangenheit. Das Konzil bleibt auch heute eine wichtige Orientierungsmarke auf dem Weg der Kirche.“

Wilfried Hagemann

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