Die Armut wächst – Armut bekämpfen – Gerechtigkeit schaffen
Eine Herausforderung für alle Menschen guten Willens

Die Cloppenburger Tafel lenkt heute die Aufmerksamkeit auf eine Wunde der Gesellschaft. Es ist nicht zu übersehen, dass die Armut stetig wächst. Einzelne, die Abhilfe schaffen wollen, ja auch die zuständigen Institutionen kommen an ihre Grenzen, obwohl der gute Wille da ist.

Leute, die sich für andere einsetzen, gelten nicht mehr als Romantiker. Im Gegenteil, mittlerweile gilt dies als Pluspunkt im Lebenslauf von Jugendlichen, wenn sie sich bewerben.

Viele fragen sich: was ist zu tun? Sie wollen nicht resignieren. Der Sinn für Gerechtigkeit treibt sie an und treibt sie um. Vielleicht kann das Beispiel von Joseph Cardijn uns helfen, der nach dem ersten Weltkrieg zuerst in Belgien und dann in ganz Europa für die jungen Arbeitnehmer in ihrer äußerst kritischen Lage eingetreten ist. Er mobilisierte Jugendliche und Erwachsene zu einem Kampf um Menschenwürde, gerechte Arbeitsverhältnisse und eine am Evangelium orientierte Persönlichkeitsbildung. Sein Prinzip „sehen, urteilen, handeln“ erweist auch heute seine Gültigkeit. Nach diesen Schritten habe ich meinen Vortrag aufgebaut.

1. SEHEN

Wir müssen dringend anfangen, die Armen unverstellt in den Blick zu nehmen. Ohne die weltweite Armut zu vernachlässigen, geht es uns heute Abend um die Abgehängten, die Modernisierungsverlierer, die neue Unterschicht in Deutschland, deren hoffnungslose Lebenslagen unsere Schlagzeilen beherrschen. Es geht um jene, die für sich die Hoffnung aufgegeben haben, an ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage etwas ändern zu können, für sich selbst nicht und auch nicht für ihre Kinder. Und es geht um jene, die die Regie über das eigene Leben verloren haben. (vgl. HERDER-Korrespondenz 2007, Jg. 61, S. 326, Leitartikel von Alexander Foitzik)

Wie müssen nüchtern feststellen: Die öffentliche Hand kann einfach nicht mehr für alle im umfassenden Sinn sorgen. Sie ist an ihre Grenzen gekommen. Das merken wir deutlich bei der Diskussion um Hartz IV. Es war sogar peinlich, wie öffentlich im Zusammenhang mit der Erhöhung des „Grundsatzes“ geschachert wurde. Den Behörden fällt es schwer zuzugeben, dass es Arme nicht nur in Indien und Pakistan, sondern zunehmend im eigenen Land gibt.

Auch unsere Wohlfahrtsverbände, die kirchlichen eingeschlossen, schaffen es nicht. Immer mehr Menschen fallen durch das soziale Netz. Das ist für den, der noch etwas hat, ungemütlich. Die Armen rücken uns auf die Pelle.

Konkretisieren wir einmal, über wen wir hier sprechen: Es geht um Obdachlose, Wohnsitzlose, Papierlose; Arbeitslose, Familien mit geringem Einkommen; Alleinerziehende, Rentner, die von einer Mindestrente leben müssen; ehemalige Strafgefangene; Süchtige; Verschuldete und um deren Kinder. Es geht auch um Arme, die zu uns drängen: Flüchtlinge, Vertriebene, Bürgerkriegsgeschädigte. Und zusätzlich begegnen wir den Armen weltweit, die täglich „in unser Wohnzimmer kommen“: z. B. aus Haiti, Pakistan, Indonesien und von den Philippinen.

Beeindruckt hat mich kürzlich das Foto einer Frau, die vor einer 92-Jährigen kniete. Es zeigte die Begegnung von Mutter und Tochter. Nach 58 Jahren trafen sie sich an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea - für eine Stunde. Beide strahlten Würde aus, tiefen Respekt und Hochachtung. Ich wünschte mir, wir könnten unseren Armen in gleicher Haltung begegnen.

Nach der Diakonenweihe zu Münster (25.4.2010) sah ich spät am Abend auf einer Steinbank auf dem Domplatz vier Frauen in einfacher blauer Tracht gemeinsam die Vesper singen. Es waren die „Armen Schwestern vom Lamm“, die seit einiger Zeit in Kevelaer in einer ehemaligen Garage leben. Ich kenne sie gut. Sie gehen betteln und bitten an den Haustüren um Nahrung, von der sie und andere dann leben. Das ist ungewöhnlich und für manche auch anstößig. Ihnen geht es darum, sich mit den Armen zu solidarisieren bis ins Letzte und die Menschen herauszufordern, sich zu öffnen und mit anderen zu teilen. Sie berichten davon, wie viele darin ein Zeugnis des Evangeliums sehen. Von ihnen habe ich neu gelernt, welche Würde auch bedürftige Personen haben.

2. URTEILEN

Ich muss zugeben, ich fühle mich als Einzelner überfordert. Ich bin dankbar, dass es schon viele Organisationen gibt, die sich der fast übermenschlichen Aufgabe annehmen, die Not der Menschen zu lindern.

Um im Blick auf die Armen zu klaren Erkenntnissen zu kommen, brauchen wir Kriterien.

2.1 Die Menschheit ist eine Familie.

Zuerst ist die goldene Regel zu nennen, die in allen Religionen bekannt ist:

„Behandle jeden so, wie du selbst behandelt werden willst. Was du nicht willst, was man dir tu’, das füg auch keinem andern zu.“

Dazu erklärt Mahatma Ghandi:

"Die goldene Regel bedeutet, ein Freund der Welt zu sein und die ganze Menschheit als eine einzige Familie zu betrachten. Wer Unterschiede macht zwischen den Gläubigen der eigenen Religion und denen einer anderen, erzieht die eigenen Leute schlecht und öffnet Ablehnung und Religionsfeindlichkeit Tür und Tor."

Ähnlich äußert sich der Dalai Lama nach dem 11. September 2001:

„Für uns sind die Gründe (für die Ereignisse dieser Tage) ganz klar... Wir haben die fundamentalsten menschlichen Wahrheiten vergessen... Wir sind alle eins. Das ist eine Botschaft, die von der menschlichen Rasse weitgehend ignoriert wurde. Dass diese Wahrheit vergessen wurde, ist der einzige Grund für Hass und Krieg. Dabei ist es sehr einfach, sich an sie zu erinnern: Man braucht nur zu lieben, in diesem Augenblick und immer."

2.2 Die Armen haben Vorrang.

Die Armen haben in dieser weltweiten Familie den Vorrang. Darum ist der Umgang mit den Armen und die Sorge für sie entscheidendes Kriterium für ein echtes Menschsein. Das ist die Perspektive der Bibel, das Alten und des Neuen Testamentes.

2.3 Die Päpste kämpfen für die Armen.

Papst Paul VI. fasst in revolutionärer Weise zusammen, auf welchem Hintergrund Armut und Bedürftigkeit zu sehen sind. In seiner Enzyklika „Populorum progressio“ von 1967 stellt er heraus, dass Gott „seine Erde“ allen Menschen gemeinsam gegeben hat. Die Qualität einer Gesellschaftsordnung ist daran zu messen, ob sie allen Bürgern Zugang zu allen Ressourcen, auch zur Arbeit und zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung ermöglicht. Für den Papst ist klar: Privateigentum lässt sich nur rechtfertigen, wenn dieses eingebunden ist in den Dienst am Gemeinwohl.

"Es ist bekannt, mit welcher Entschiedenheit die Kirchenväter gelehrt haben, welche Haltung die Besitzenden gegenüber den Notleidenden einzunehmen haben: "Es ist nicht dein Gut", sagt Ambrosius, "mit dem du dich gegen den Armen großzügig weist. Du gibst ihm nur zurück, was ihm gehört. Denn du hast dir herausgenommen, was zu gemeinsamer Nutzung gegeben ist. Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen." Das Privateigentum ist also für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht. Niemand ist befugt, seinen Überfluss ausschließlich sich selbst vorzubehalten, wo andern das Notwendigste fehlt.“(PP 23)

Johannes Paul II. hat sich die von vielen kirchlichen Seiten kritisch bewertete „Option für die Armen“, die in Lateinamerika ihren Ursprung hat, zu Eigen gemacht: d. h. bei allem, was die Kirche tut, muss sie zuerst auf die Armen schauen. In seiner Enzyklika „Sollicitudo rei socialis“ (1987) erklärt er zudem, dass sich das Handeln der Christen nicht auf die individuelle Hilfe für Arme beschränken darf, sondern dass es ebenso notwendig ist, jene Strukturen zu verändern, die sich auf die Armen negativ auswirken.

Benedikt VI. hat in seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ die Ansätze von Paul VI. und Johannes Paul II. fortgeschrieben.

2.4 Die Armen gehören zu uns.

Fassen wir zusammen, was sich aus dem Gesagten ergibt. Die Armen gehören zu uns, die Armen gehören zu mir. Es kommt auf uns zu, eine Grundentscheidung zu treffen: es gibt Armut, sie geht mich etwas an, ich lasse mich auf diese Wirklichkeit ein.

„Evangelizare pauperibus“ – den Armen das Evangelium verkündigen, lautete der bischöfliche Wahlspruch von Franz Kamphaus/Limburg. Bei seinem Abschied aus dem Amt nutzte er die Gelegenheit, für die Armen das Wort zu ergreifen. In unseren Breiten sei die Kirche meist zu stark an der bürgerlichen Mittelschicht orientiert, an deren Lebensgefühl, an deren Bedürfnissen. Manche Teile der Bevölkerung würden de facto exkommuniziert, aus dem kirchlichen und gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhang ausgeschlossen. Arme, wie HartzIV-Empfänger, seien höchstens ein Fall für die Caritas, bedauert Bischof Kamphaus. Es könne nicht richtig sein, dass die Sorge für sozial Schwache einzig allein der Caritas überlassen wird.

3. HANDELN

Der dritte Punkt im Konzept von Cardijn ist das Handeln. Mich wundert es nicht, dass viele an dieser Stelle resignieren. Die Armut der vielen erdrückt uns vielleicht und macht uns ratlos. Wo sollen wir anfangen? Was können wir tun? Wir kommen uns als Einzelne vor der Fülle der Aufgaben selber ganz arm vor.

Wir müssen uns verbünden. Auch kleinste Ansätze sind wichtig. Wir brauchen Motivation. Die vielen bestehenden Netzwerke vermitteln ja eine Fülle von gelungenen Hilfs-Werken und von Möglichkeiten auf unterschiedlichsten Ebenen für die Armen etwas zu tun.

Wenn junge Erwachsene ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr machen oder sich in Friedensdiensten einsetzen, begegnen sie armen Menschen und erleben gleichzeitig, dass sie etwas Positives für sie tun können. Interessant finde ich auch die Aktion „Seitenwechsel“. Sie bietet interessierten Berufstätigen an, eine begrenzte Zeit (eine Woche, einen Monat) in einer sozialen Einrichtung mitzuarbeiten. Der dauerhafte Mehrwert einer solchen Aktion ist sicher nicht die unmittelbare Hilfsleistung. Vielmehr wird die betreffende Person in ihrem Herzen und in ihrem Denken verändert, motiviert und sensibilisiert.

Diese Art Sensibilisierung für die Armen vermittelt auch das internationale „Exposure-Programm“. Exposure bedeutet Begegnung, Begegnung von Person zu Person. In einem Exposure begleiten Menschen aus entwickelten Ländern für ein paar Tage andere Menschen, die in Armut leben und aus eigener Kraft um ein Menschen würdiges Leben ringen.

In der ersten Phase der Begegnung wohnen die Teilnehmenden in kleinen Gruppen zu zweit für zwei bis drei Tage bei ihrer Gastfamilie. Sie nehmen am Alltagsleben teil, an den Arbeiten im Haushalt und auf dem Feld. Sie wohnen, essen und schlafen – wenn immer möglich – bei ihrer Gastfamilie. In einer zweiten Phase reflektieren die Teilnehmenden für ein bis zwei Tage über ihre Erfahrungen, individuell und gemeinsam.

Exposure markiert für die Teilnehmenden den Beginn oder die Vertiefung eines persönlichen Weges. Die Spiritualität des Exposure-Programms könnte man mit dem Motto eines Symposiums von Schwerte zur Enzyklika „Deus caritas est“ ausdrücken: Liebe bewegt. Es geht im übertragenen Wortsinn des Lateinischen ex-ponere um das Aufgeben jeglicher Art von gewohnter Sicherheit und gewohnten Schutz, um einen Aufbruch und eine Bewegung, um einen Weg, der außen beginnt. Im ergänzenden Eintauchen in das Leben des Andern führt der Weg weiter nach innen, im Sinne von ganz und immer tiefer eintauchen und sich eins machen mit den Armen. Die Protagonisten dieses Konzeptes bezeichnen den Ansatz als „dialogue of Life“.

Aus solchen Erfahrungen können sich konkrete Projekte entwickeln. Dabei geht es um Hilfe zur Selbsthilfe und nicht zuerst um Almosen. Das internationale Projekt „Fazienda da Esperanza“ (Hof der Hoffnung) will Drogenabhängigen, die dort positiv „Recuperados“ (=wieder Anfangende) genannt werden, eine eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen. Deren Menschenbildung gründet im Evangelium und in konkreter Arbeit in der Landwirtschaft und in der Werkstatt. In Deutschland gibt es diese Höfe in der Nähe von Berlin, in Xanten und im Allgäu.

In der Mitte der brasilianischen Millionenstadt Fortaleza befindet sich ein Grundstück, auf dem sich unterschiedliche geistliche Gemeinschaften angesiedelt haben. Im Mai diesen Jahres traf ich dort auf Wohngemeinschaften für strafentlassene Männer, aidskranke Waisenkinder, drogenabhängige Mädchen und ein Haus für schwangere Frauen und Mädchen. Darüber hinaus erteilen Freiwillige Nachhilfeunterricht für Kinder und Jugendliche, die in den Favelas zu Hause sind.

Auf dem gleichen Gelände haben sich ein Karmel und ein Benediktinerinnenkloster angesiedelt. Unterschiedliche geistliche Gemeinschaften mit christlichem Hintergrund haben hier einen Raum bereit gestellt, wo Arme nicht nur „versorgt“ werden, sondern Hilfen erhalten, ihr eigenes Leben neu in die Hand zu nehmen.

Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolar-Bewegung, hat bei ihrem Besuch in Sao Paolo 1993 verstanden, dass die Not der Menschen in den Favelas mit Arbeitslosigkeit zu tun hat. Daraufhin regte sie an, in der Nähe der Fokolarzentren Firmen zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen. Sie stellte sich vor, dass in solchen Firmen der Gewinn gemeinwohlorientiert verwandt wird: ein Teil für die Bildung eines sozialen Bewusstseins bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern, ein Teil für die Investitionen im Betrieb und ein Teil für soziale Projekte außerhalb des Betriebes. Diese so genannten Betriebe einer „Wirtschaft in Gemeinschaft“ hat Papst Benedikt XVI. an mehreren Stellen seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ ausdrücklich gewürdigt (Nr. 36, 39, 40).

Für uns „Normalverbraucher“ ist die Einstellung interessant, die hinter solchen Großprojekten steht. Es ist eine Haltung, die dem anderen Menschen seine Würde zurückgeben will, die bereit ist, alles das zu geben, was der andere braucht, um selber geben zu können. Nennen wir sie „Kultur des Gebens“. Sie kann sich auswirken, im Mikrobereich, wo viele von uns leben. Was können wir geben? Z.B. unsere Zeit für andere – bis dahin, dass jemand Essen austeilt, gespendete Lebensmittel abholt, Hausbesuche macht, einkaufen geht für ältere Personen, allein erziehende Mütter. Auch der ehrenamtliche Dienst ist eine wichtige Form der „Kultur des Gebens“.

Zur „Kultur des Gebens“ gehören auch die Spenden, ohne die viele Projekte nicht möglich sind. In freikirchlichen Gruppen spricht man vom „Zehnten“, den jeder geben soll. Auch in geistlichen Gemeinschaften gibt es heute Formen der Gütergemeinschaft. Beeindruckt hat mich neulich die Mitteilung einer evangelischen Bruderschaft. Von den Spenden, die sie von ihren Mitgliedern erhalten, geben sie den zehnten Teil an soziale Projekte anderer geistlicher Gemeinschaften. Diese Solidarität über die eigene Gemeinschaft hinaus finde ich nachahmenswert.

4. ANFANGEN

Welches Fazit können wir ziehen?

Es geht nicht um eine Aktion, es geht um eine Grundhaltung.

Zunächst könnte es darum gehen, dass Engagement anderer Wert zu schätzen und zu unterstützen. Vielleicht haben Sie heute Abend schon eine Bereitschaft mitgebracht, sich andern, die es brauchen, zuzuwenden. Vielleicht sind Sie durch familiäre oder berufliche Verpflichtungen derart eingespannt, dass Sie sich gerne mehr einsetzen würden, aber nicht können.

Sicher kennen Sie die Szene aus dem Evangelium, wo Jesus beobachtet, dass eine arme Frau eine Münze spendet. Er lobt sie vor allen, weil sie alles gegeben hat, was sie geben konnte. Es kam ihm nicht auf die Höhe der Spende, also auf die Größe der Leistung an, sondern auf die echte menschenfreundliche Einstellung.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einander zu helfen, die eigene Freiheit zu achten. Wie schnell verfallen wir vielleicht einem Leistungsdruck, der vom manchmal unbewussten Über-Ich ausgeht und in einem falschen Aktivismus mündet. Wenn wir uns zusammentun und jeder nach seinen Möglichkeiten dabei ist und mitgeht, können wir vieles bewegen.

Als Glaubende dürfen wir auch auf den vertrauen, den die Bibel uns als „Freund der Armen“ vorstellt. Wohin wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten nicht gelangen, kann er Menschen hinführen. Er kann sie und ihre Herzen bewegen. Hierzu möchte ich Ihnen einen Text mit auf den Weg geben, der uns zum Gleichgewicht verhelfen kann:

ARBEIT ZU ZWEIT

„Es zeugt von großer Weisheit, wenn wir unsere Zeit damit verbringen, im gegenwärtigen Augenblick das zu tun, was Gott von uns will.

Doch manchmal machen wir uns große Sorgen um die Vergangenheit oder auch um die Zukunft. Wir denken an Situationen oder Menschen, für die wir im Augenblick nichts tun können.

Dann gerät das Boot unseres Lebens ins Schlingern. Und es kostet viel Kraft, den Kurs zu halten. In solchen Momenten brauchen wir Willensstärke und Entschlossenheit, besonders aber Gottvertrauen.

Ist da eine ausweglose, verworrene Situation, ist ein lieber Mensch krank oder in Gefahr und ich kann nichts für ihn tun…, dann will ich mich ganz auf das konzentrieren, was Gott im Augenblick von mir erwartet: Studium, Hausarbeit, Gebet, für die Kinder da sein… Für das andere wird Gott sorgen. Er wird die Leidenden stärken und aus vertrackten Situationen einen Ausweg zeigen.

So wird das Leben zu einer „Arbeit zu zweit“. Diese Teamarbeit verlangt von uns Glauben an die Liebe Gottes, der seinerseits uns das Vertrauen schenkt, dass wir unseren Teil tun.

Dieses gegenseitige Vertrauen wirkt Wunder. Wir werden feststellen, dass ein Anderer dahin gelangt ist, wohin wir nicht gelangen konnten, dass er es viel besser gemacht hat, als wir es gekonnt hätten.

Unser begrenztes Leben erhält eine neue Dimension: wir spüren die Nähe des Unendlichen, nach dem wir streben. Weil wir es erlebt haben, werden wir viel tiefer verstehen können, dass wir Kinder eines Gottes sind, der Vater ist und alles vermag.“

(Chiara Lubich, Aus: Alles besiegt die Liebe, München 1998, Seite 194-195)

Vortrag in der Katholischen Akademie Stapelfeld,
veranstaltet von der Cloppenburger Tafel e.V., am 1.12.2010

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