Das Wort Gottes als Mitte allen kirchlichens Handelns

Sehr verehrter Herr Bischof,
liebe Mitbrüder im Priesteramt,
liebe Mitbrüder im Priesteramt,
liebe Ordensleute!

Es beeindruckt mich sehr, dass im Bistum Bozen – Brixen eine Diözesan-Synode unterwegs ist unter dem Thema „Auf dein Wort hin – mit Freude und Hoffnung“. Die lokale Kirche sucht Antworten und Lösungen auf die Herausforderungen des Glaubens und der Kirche unserer Zeit und unserer Gesellschaft, und dies alles im Licht des Evangeliums.

1. Das Thema „Auf dein Wort hin“

muss wirklich ausgeleuchtet und durchgeleuchtet werden. Das Thema könnte auch einfach brav klingen, als wenn wir das Wort Gottes einebnen wollten. Unser Thema hat einen biblischen Hintergrund. Nach einer Nacht ohne einen Fang folgen die Jünger dem HERRN, das Netz noch einmal auszuwerfen.

Da stellt sich für heute die wichtige Frage: Sind wir wirklich bereit, auf das Wort Christi hin unsere Netze neu auszuwerfen? Wollen wir auf sein Wort hin unter die Leute gehen! Eventuell auch nach durchwachter Nacht? Und: Wie können wir uns das überhaupt vorstellen, dass das Wort Gottes die Mitte allen kirchlichen Handelns wird? Ich unterstreiche noch einmal allen kirchlichen Handelns!

Auf weite Strecken hin erlebe ich heute die Kirche defensiv, manchmal auch gelähmt. Der Umgang mit dem Wort Gottes könnte sich ganz anders gestalten. Oft wird das Wort nur als Trost gebraucht, als Stütze, als Wort für den Alltag. Manchmal kann man den Eindruck haben, als bemächtigten wir uns des Wortes Gottes, wo es doch genau umgekehrt sein soll: Das Wort möchte uns in Dienst nehmen!

Vor dieser Frage stehen wir alle, vor dieser Frage stehe ich auch. Ich denke an einige Beispiele, wo Menschen die Herausforderung, die Provokation, die im Wort Gottes liegt, angenommen haben:

  • Ich denke an den Jesuitenpater Alfred Delp, der in Berlin am 2. Februar 1945 in Plötzensee gehenkt wurde.
  • Ich denke an Dietrich Bonhoeffer, den evangelischen Pfarrer und Erneuerer, der am 8. April 1945 im Konzentrationslager Flössenbürg in Nordbayern erschossen wurde.
  • Ich denke an Johannes Paul II, an Johannes XXIII., die vom Wort Gottes geleitet, sich ganz weit hinaus gewagt haben.
  • Ich denke auch an eine Frau wie die Ärztin Dr.Ruth Pfau, die 84-jährige Ordensschwester, die in Pakistan über 45 Jahre lang schon daran arbeitet, mit den Leprakranken und für sie diese schreckliche Krankheit zu überwinden.
  • Unser Thema verdient alle Aufmerksamkeit.

    2. Was ist das eigentlich das Wort Gottes?

    In meiner Studienzeit ging ich öfters über das Forum Romanum. Ich sah die alten Tempel des Jupiter, des Saturn, des Mars, der Venus. Über dieses Forum Romanum gingen Leute wie Kaiser Augustus, Julius Cäsar. Sie wussten nicht, dass Gott spricht, dass es ein Buch gibt wie die Bibel des AT. Ihre Götter haben nicht gesprochen. Es waren Gottheiten, Divinitäten, die von den Menschen verehrt wurden, gefürchtet wurden, denen man Opfer darbrachte nach strengsten Riten, um zu vermeiden das diese Götter sich unbeachtet, beleidigt fühlten und ihren Zorn an den Menschen auslassen könnten. In deren Kult ging es darum, diese Götter zu versöhnen, sie sozusagen still zu halten.

    Ganz anders ist es mit dem Wort Gottes, das die Kirche und das Volk Israel empfangen haben. Hier haben wir es mit einem Gott zu tun, der nicht stumm ist, sondern der redet. Augustus und Cäsar kannten kein einziges Wort Gottes. Wir haben im Alten und im Neuen Testament eine unglaubliche Sammlung von Gottesworten, die deutlich machen, dass Gott sich den Menschen zuwendet, dass er sie anspricht, dass er den Menschen hilft, dass er den Menschen bejaht. Es ist unglaublich: Gott redet, er ist nicht stumm.

    Als Christen haben wir zudem verstanden, dass das Wort Fleisch geworden ist. In Jesus steht das Wort Gottes, das Verbum, der Logos direkt persönlich vor uns. Wer auch nur etwas mit Jesus zu tun bekommt, versteht, dass seine Worte die Worte des Vaters sind. Und wer auf die Worte Jesus hört, merkt, dass mit ihm etwas passiert, er empfängt etwas, er empfängt den Geist.

    Das Wort Gottes, mit dem wir uns so beschäftigen an diesem heutigen Tag, ist ein Wort des dreifaltigen Gottes.

    Im Sohn wendet sich der Vater uns zu, will uns mit sich versöhnen, schafft den Menschen neu, ist kreativ. Jesus selbst ist nicht irgendwie das Wort. Er ist das Wort, das Fleisch geworden ist. Er ist das Wort, das am Kreuz verstummte. Im Matthäus-Evangelium hören wir den Schrei des Herrn und sein Verstummen. Der Gekreuzigte, der am Kreuz vernichtete Mensch Jesus Christus, Gottes Sohn, ist das äußerste Wort, das Gott gesprochen hat. Chiara Lubich nennt den Gekreuzigten die "parola spiegata". Es gibt keine größere Liebe als diese unendliche Liebe, die am Kreuz Christi sichtbar und deutlich wird. Dies zu erkennen, brauchten die ersten Christen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Das Wort Gottes als Schrei, das Wort Gottes, das der Mensch empfangen und aufnehmen kann.

    Denken wir an das Urwort, das Wort an Abraham: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde (Gen 12,1). Denken wir an das Wort, das Mose empfing: Ich bin der Ich-bin-da, Jahwe (Ex 3,14-15)! Und dann fängt das Volk Israel an, zu diesem Gott selbst zu sprechen und Antwort zu geben. Die Psalmen sind dafür das stärkste Beispiel. Wir können gar nicht über das Wort Gottes reden, ohne gleichzeitig über die Antwort zu sprechen. Und dieses Wort Gottes ist so frisch, dass es immer weiter gegeben wird, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Es musste abgeschrieben werden, aber das reichte nicht. Es musste nicht nur gelesen werden, es musste gelebt werden. Indem das Wort gelebt wurde, ist es bis zu uns gekommen. Dafür sind in der Kirchengeschichte auch die Ordensgründer leuchtende Beispiele.

    Hier ist Staunen angesagt! Staunen, dass Gott ist. Staunen, dass Gott so ist: dass er spricht und sich im Wort selber mitteilt, gleichsam aus sich herausgeht. Ohne dieses Staunen können wir nicht von Gott berührt werden. Das Wort kommt erst dann zum Ziel, wenn es den Menschen berührt, wenn es ihn trifft, wenn es ihn öffnet, wenn der Mensch merkt, dass der Himmel über ihm aufgeht. Dann kann man das Lied gut verstehen: „Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht …“.

    Wir haben verstanden, dass uns das Wort in trinitarischer Weise entgegenkommt, als Vater, Sohn und Geist. Das Wort bewirkt etwas im Menschen, was genau mit diesem dreifaltigen Gott zu tun hat. Wir empfangen das Wort von Jesus, wir antworten auf dieses Wort und geben uns damit selbst und wir lernen durch dieses Wort dem anderen Menschen zu begegnen, wir dürfen mit sein. Vater, Sohn und Geist das bedeutet verbal ausgedrückt: geben, empfangen, mit sein. So kann die Seins-Weise der göttlichen Personen sich auf den Menschen übertragen, wenn er sich von diesem Wort Gottes ansprechen, berühren und verwandeln lässt.

    Diesen Vorgang hat Karl Rahner in einem berühmten Wort sehr einfach zum Ausdruck gebracht. Sein zweites Buch erschien nach seinem ersten Werk „Geist in Welt“ unter dem Titel: „Hörer des Wortes“. Rahner stellt lapidar fest: Der Mensch ist der Hörer des Wortes. Das Menschsein realisiert sich am vollkommensten dadurch, dass der Mensch in die Lage kommt, Gottes Wort als Wort Gottes zu identifizieren, es zu hören, und das heißt: die Wirklichkeit Gottes wahrzunehmen, sich an dem unendlichen Gott und dessen unendliche Liebe heranzutasten. Was für eine wunderbare Formel: der Mensch Hörer des Wortes! Im Hintergrund steht ein Satz, den Thomas von Aquin geprägt hat. Dieser Satz lautet in lateinischer Fassung: Homo capax dei – der Mensch ist Gottes fähig, der Mensch hat eine Kapazität für Gott. Das Menschsein also kommt zu seiner Vollendung, wenn der Mensch Gott hört, erkennt und wahrnimmt. Und dies ist gebunden an das Hören des Wortes Gottes.

    Und vergessen wir nicht: Das Wort ist zerbrechlich, es kann uns zwischen den Fingern zerrinnen! In seinem "Brief des Lord Chandos", einem Schlüsseldokument, beschreibt Hugo von Hofmannsthal die moderne Sprach- und Identitätskrise als eine das Individuum traumatisch übermächtigende Wort- und Ort-losigkeit. (1)

    In diesen Zusammenhang passt eine kleine Erfahrung, die ich in einem Gespräch mit einer schwerkranken evangelischen Frau hatte. Sie wurde mir als eine Frau geschildert, die überhaupt nicht glaubt. Sie wurde von einer schweren Krebserkrankung getroffen, die acht Wochen später zu ihrem Tod führte. Ich besuchte sie auf Bitten ihrer Tochter. Beim Eintritt in das Zimmer sagte sie sofort: „Ich gehe nicht in die Kirche“. Auf meine Frage: „Wo gehen sie denn dann hin?“ antwortete sie: „Ich gehe in die Natur“. Da konnte ich ihr sagen: „Gott hat zwei Bücher geschrieben, in denen er dasselbe mitteilt. Das eine Buch ist die Natur, seine Schöpfung. Das andere Buch ist die Bibel des Alten und Neuen Testamentes. In beiden Büchern sagt Gott, dass er Liebe ist, dass er den Menschen liebt bis zum letzten!“ Darauf sagte die Frau ganz spontan: „ Können Sie mir sagen, wie es im Himmel ist?“ Diese Frau hatte also nur in das Buch der Natur geschaut und lernte jetzt durch das intensive Gespräch, das wir führten, die Grundbotschaft der Bibel kennen. Dies löste bei dieser Frau eine kaum vorstellbare Freude aus, sodass ich ihr am Ende des Gespräches ein kleines Kreuz schenken konnte, das sie dann auch später mit ins Grab genommen hat.

    3. Was will Gott eigentlich mit seinem Wort?

    In seinem Wort teilt Gott sich selbst mit. Gott will bei uns ankommen und uns Menschen hinein nehmen in sein Leben.

  • Er ist uns nah, denn Sein Wort wohnt in uns (Röm 10,8-15).
  • Ja, es heißt noch weiter: „Wenn einer an meinem Wort festhält, werden wir kommen … und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23).
  • Gottes Worte sind einfach und klar wie Wasser. Denken wir an die Radikalität der Feindesliebe, denken wir an die Schöpfung (Gen 1).
  • Das Wort Gottes, das die Propheten oder Jesus bringen, verwandelt den Menschen (David, Zachäus, Petrus, Paulus).
  • Das Wort Gottes ist lebendig, kraftvoll und schärfer als ein Schwert. Es dringt ein, unterscheidet und legt die Regung des Herzens offen (Hebr 4,2 ff).
  • Das Entscheidende am Wort Gottes ist, dass wir es aufnehmen wie Maria und das Wort leben.

  • Wenn das Wort uns berührt, verwandelt es uns, es reinigt uns (Joh 15,3)
  • und es baut auf: Deine Sünden sind dir vergeben (Jesus zur ehebrecherischen Frau in Joh. 8).
  • Gottes Wort schafft Beziehung: „Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68) sagt Petrus zu Jesus.
  • Wer meine Worte hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren. Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen (Joh 14,21-23).
  • Was macht die Gabe des Wortes Gottes mit uns?

  • Wir nehmen teil am Leben Gottes, wir werden eins mit ihm (Joh 14,14-23).
  • Ja, wir werden selber fruchtbar sein und Frucht bringen (30-, 60-, 100-) (Mk 4,8).
  • Bevor ich fortfahre, fasse ich erst einmal zusammen:
    Ich möchte mich auch hier an eine persönliche Erfahrung erinnern. Am ersten Tag meines Studien-Aufenthaltes in Rom platzte ein Knopf an meinem Anzug. Ich brauchte Hilfe. Ein neben mir sitzendes älteres Semester bot mir an, mit mir in die Stadt zu gehen und Zwirn, Nadel und einen Knopf zu kaufen. Beim Rückweg fragte ich ihn, warum er dies getan habe: Weil ich mir vorgenommen habe, immer zu geben wenn es geht. Denn ich lebe das Wort „Gebt, dann wird euch gegeben“. Das Hören dieses Wortes hat mich zutiefst getroffen. Seitdem lebe ich so. Ich gebe, wo immer ich kann. Ich verdanke diesem Mitstudenten,

    "Auf Dein Wort hin" - das lässt sich auf zweifache Weise lesen:

    1. Aufgrund des Wortes, das an mich gerichtet worden ist, werde ich zum handelnden Subjekt.

    2. Mein Weg läuft auf dieses Wort zu, das ich immer tiefer verstehe und in mich aufnehme, auf das ich mich - ein Leben lang - buchstäblich zu-spreche. Das einzelne Wort, die Worte des einzelnen zerfallen buchstäblich. Im "Lord Chandos-Brief" bei Hugo von Hoffmannsthal - einem der Schlüsseltexte zur Sprach- und Sinnkrise des 20. Jahrhunderts - ist das überaus eindrücklich beschrieben: "Wie modrige Pilze". Das heißt, das Wort entfaltet seine Kraft und wird nachhaltig wenn es im Resonanzraum einer Gemeinschaft, die - wie in der Apostelgeschichte - ihren Ort im Wort findet, eine Vielstimmigkeit ausprägt. Die Vielstimmigkeit "ereignet sich" in der Anrufung des Einen Namens: Jesus. Das ist ein gutes Bild für die trinitarisch eröffnete Einheit in Vielfalt, für den - immer prekären, riskanten, gefahrvollen - Übergang von Babel nach Pfingsten. Und erst in, mit und durch Jesus wenden sich die Vielen, Verschiedenen - als Söhne im Sohn - an den Vater: "Abbà".

    4. Von der gewaltigen vergessenen Kraft des Wortes Gottes

    Noch einmal zum Wort Gottes. Jesus sagt: Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben (Joh 6,63). Im Wort Gottes ist Dynamit, wie in der orthodoxen Liturgie der Diakon singt, bevor er das Evangelium vorträgt: DYNAMIS! Das Wort Gottes ist Misericordia, Barmherzigkeit. Bei der jüngsten Priesterweihe im Petersdom hat Papst Franziskus mehrmals, für viele überraschend, das Wort Barmherzigkeit ausgerufen und die jungen Priester geradezu angefleht, sich in den Dienst der Barmherzigkeit Gottes zu stellen. Wenn das Wort Geist und Leben ist, dann ist doch klar, dass es den Himmel öffnet, dass es die Menschen zusammenführt und verwandelt, dass es klärt, dass das Wort Gemeinde schafft und Ökumene und Zusammenhalt und neues Leben. Denken wir an den Anfang der Apostelgeschichte wo immer wieder davon gesprochen wird, dass sich das Wort verbreitet, dass es wächst. Später sollten die Apostel verstehen, dass das Wort nicht gefesselt ist und nicht gefesselt werden kann.

    Von dem leider schon verstorbenen Kardinal Van Thuan wird berichtet, dass er sich in seiner dreizehnjährigen Einzelhaft die Worte aufgeschrieben hat, die er vom Evangelium im Herzen trug. Auf kleinsten Papierschnitzeln sammelte er die Lebensworte des Evangeliums in lateinischer Sprache, etwa ca. 300. Niemand konnte das Wort Gottes aufhalten.

    Wahrhaftig das Wort ist nicht gefesselt, das Wort führt in die Weite, das Wort führt zu den Armen, das Wort macht die Kirche katholisch, das Wort schafft die Einheit. Wenn das Wort uns in dieser Weise trifft, werden in einer sehr einfachen Weise Haltungen in uns ausgelöst, die göttlich sind, die ich mit den trinitarisch geprägten Worten umschreiben möchte: geben, empfangen, mit sein.

    In Dillingen bei Augsburg wurde kürzlich der politisch bedeutsame St. Ulrichspreis verliehen an das Netzwerk "Miteinander für Europa"; es sind im Wort Gottes vereinte Christen aus über 250 Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen. Ihr dem Wort Gottes abgerungenes Programm drückt sich in 7 Ja aus(2). In den sieben "Ja" zeigt sich zudem das "Glossar" der Leitbegriffe des Evangeliums: "Ja", "Danke", "Vater", alles gründend im marianischen "Mir geschehe nach Deinem Wort", das Christus in uns hervorbringt und die ganze Schrift zusammen fasst.

    5. Das Wort sucht Antwort

    Das Wort Gottes sucht unsere Antwort und damit sind wir genau am Thema der Diözesansynode und am Thema dieses Tages.

    Welche Antwort werden wir geben? Können wir antworten? Spüren wir die revolutionäre Kraft des Wortes Gottes, die alles sprengt, was wir Menschen uns vorstellen können?

    Denken wir an Maria, die sich darauf eingelassen hat, Gottes Sohn zu empfangen und zur Welt zu bringen. Können wir in ähnlicher Weise wie Maria antworten, auch mit dem Ziel, Gott selbst, seinen Sohn heute in diese Welt hinauszutragen und zu bezeugen? Wer Wort Gottes getroffen ist, wird spüren, dass sein Leben einen neuen Sinn bekommt. Das spüren junge Leute, wenn die Situation dafür da ist, in ganz besonderer Weise.

    Das habe ich immer wieder bei Besuchen in der sog. Fazenda erlebt, in der junge Drogenabhängige in einer absoluten Liebe aufgenommen werden und durch das Leben nach dem Wort Gottes lernen, ihre eigene Sehnsucht nach Fülle dadurch zu finden, dass sie dem Nächsten dienen. Es stimmt m ich immer wieder nachdenklich: Weil jemand sich geliebt erfährt, weil er selber anfängt sich dem Nächsten ganz buchstäblich zuzuwenden, erfährt er eine innere Heilung seiner Sucht. Um glücklich zu sein, braucht er nicht mehr die Droge, die ihn nur an sich und sein Glück denken lässt. Im Gegenteil: Er lernt von sich selbst loszukommen, von seiner Sucht, von seiner Droge und sich dem Nächsten zuzuwenden, er findet das Leben. Es ist beeindruckend, junge Menschen zu sehen, denen grausame und schrecklichste Erfahrungen auf dem Gesicht geschrieben stehen, wie sie sich vom Wort Gottes leiten lassen, Tag um Tag, um durchzustoßen zum Nächsten hin und ihre Antwort zu geben. Sie stehen um 6 Uhr auf, lesen um 6.30 Uhr das Tagesevangelium und fragen sich, wie sie dieses Wort leben können. Dann beten sie den Rosenkranz. Dann kommt das Frühstück und dann die Arbeit. Abends treffen sie sich erneut nach dem Abendessen und tauschen sich darüber aus, was das Wort Gottes in ihnen angerichtet hat. Und dann erkennen sie beglückt, dass sie in der Lage sind, Antwort zu geben, von Gott angenommen und ernst genommen zu werden. So, auf diese Weise werden sie geheilt und können anderen Menschen beistehen. In dem Musikstück Credo von Arvo Pärt kommt dies großartig zum Ausdruck.

    Mein Fazit: Das Wort lädt den Menschen ein zu einer besonderen Art der Nachfolge. Ich spreche in diesem Zusammenhang gern von existentieller Nachfolge, um ein Leben, das im Wort steht. Sie unterscheidet sich sehr von einer paradigmatischen Nachfolge, bei der jemand Jesus nachahmt sozusagen als Modell. Nein, wir sollten anleiten zu einer existentiellen Nachfolge, in der Sein Wort sich im Menschen einnistet, ihm Kraft gibt und Mut zu einem neuen Leben. Dies gilt vom Einzelnen, dies geschieht auch in manchen Gemeinden und in kleinen Gruppen. Man kann von einem lokalen Typ von Kirchenentwicklung aus dem Wort Gottes heraus sprechen.

    6. Wie kann eine Pastoral aussehen, die sich am Wort orientiert?

    Ich komme jetzt zum Thema einer neuen Pastoral. Es ist notwendig, dass Priester und Laien gemeinsam neu das Wort Gottes lernen, leben lernen, in seiner Tiefe erfassen lernen. Es kommt darauf an, dass einzelne Christen und wir Priester zusammen die Erfahrung machen, dass sich das Wort der Schrift erst erschließt wenn wir es leben.

    Es braucht also Orte in den Gemeinden, wo eine Anleitung gegeben wird, das Wort zu leben, wo Räume geöffnet werden und Kriterien vermittelt werden, dass jemand merkt: Ich lerne sozusagen am Herzen Gottes. Bischof Klaus Hemmerle von Aachen hat genau diesen Weg versucht und vom ersten Tag seines bischöflichen Dienstes an die Menschen eingeladen, mit ihm als Bischof zusammen das Wort zu leben. Daraus ist später die von ihm so genannte Weggemeinschaft geworden, eben Menschen und Gemeinden, die sich vom Wort Gottes gemeinsam auf den Weg bringen lassen.

    Wer sich vom Wort berühren lässt, braucht Räume, wo er sich mitteilen kann, was das Wort Gottes mit ihm macht. Von solchem Austausch ist die Apostelgeschichte voll.

    Wenn ein Christ oder eine Christi zu solchem Austausch keine Gelegenheit bekommt, versickert das vom Wort Gottes angeregte Leben wieder. Auch kleinste Erfahrungen mit dem Wort bedürfen der Mitteilung an den anderen. Jeder wird gewahr: Ich weite das eigene Herz und das Herz des anderen und auch Fremdes kann auf einmal vom anderen angenommen und verstanden werden. Genau in diese Richtung zielt auch Papst Franziskus mit seiner Bitte, dass wir keine Tür zu machen. „Wer bin ich, dass ich urteile, dass ich Türen zu mache?“.

    Eine solche Pastoral wird zwei Ziele haben:

  • Das eine Ziel: wie wir die Menschen zu Gott führen, zur Anbetung, zur Dankbarkeit und zum Jubel und zum Gebet.
  • Die andere zweite Richtung weist hin zu den Menschen, zu den Armen, zu denen, die draußen sind.
  • In einer solchen Bewegung werden wir verstehen, dass es Stufen zum Kirche-Sein gibt. Es fängt mit dem Miteinander an, wo wir den anderen Menschen Dienste leisten, z.B. in der Caritas oder Diakonie. Solches Kirchesein kann auch wie bei den Emmausjüngern aussehen, wo wir die Frustration, das Traurigsein, die Erfahrung des Nichts mit anderen teilen und gerade darin auch mitbekommen, dass wir in diesem Nichts geliebt und angenommen sind.

    Eine solche Pastoral wird auch verständlich machen können, dass die Eucharistie nicht einfach als Belohnung verstanden werden kann oder als Anerkennung für ein Gutsein. Eucharistie bedeutet hineingenommen werden in das Opfer Christi, in das Gesandtsein Christi. Eucharistie will aus denen, die sie empfangen einen Leib werden lassen, der ausgeteilt wird. Je tiefer wir die Eucharistie feiern, desto mehr werden wir verstehen und wollen, in die Sendung Christi hinein genommen zu werden. Die Eucharistie macht es möglich, dass wir mit unserem ganzen Leben antworten und dienen.

    7. Es muss neu gefragt werden: Welche Bibelworte bewegen uns?

    Auf welche Bibelworte ist die Kirche heute in besonderer Weise angewiesen? Die Fokolar-Bewegung ist ja ganz in der Nähe in Trient entstanden, als junge Mädchen im Bunker etwas ganz Einfaches und doch Ungewöhnliches getan haben: die Bibel zu lesen. Sie machten die Erfahrung, dass das Wort nicht leer zurückkommt, sondern vollbringt, was Gott will. Einen solchen Aufbruch kann das gelebte Wort auslösen.

    Wir brauchen, wenn man so will eine Emmaus-Kompetenz nämlich die Kompetenz des Hörens auf den Herrn und des Erkennens des Herrn, also wie diese Jünger auf den Fremden hören. Wir sollten ganz intensiv am Hören des Wortes Gottes arbeiten, also eine Arbeit am Hören tun, um so tiefer hineinzugehen in die Wirklichkeit des Evangeliums.

    Ich möchte schließen mit einer Begebenheit, die mir am Hauptzollamt in Leipzig passiert ist. An der Zonengrenze, beim Übergang von Westdeutschland nach Ostdeutschland in die DDR, war ich aufgefallen, 1974. Ich hatte Bücher von Paul VI. dabei, die als kritisch und den Frieden gefährdend bewertet und daraufhin konfisziert wurden. Ich wurde eingeladen, am nächsten Tag um 15.00 Uhr in Leipzig zum Hauptzollamt zu kommen, zu einem speziellen Verhör. Ein Beamter des Staatssekretariates für Kirchenfragen war eigens aus Berlin dafür nach Leipzig gereist, um dieses Verhör durchzuführen. Ich habe freimütig geantwortet. Es war zum Teil ein drastisches Gespräch, in dem ich versucht habe, aus einer inneren Freiheit heraus ohne Angst dem kommunistischen Partner zu antworten.
    Und dann geschah es: Als der mit am Tisch sitzende Volkspolizist kurz wegging, weil er das WC aufsuchen wollte, sagte der Beamte aus Berlin: „Können sie mir in drei Minuten sagen, warum sie an Gott glauben? Ich habe Probleme mit meinem Atheismus!“. Ich habe ihm geantwortet: Ich glaube wegen Jesus Christus. Jesus Christus hat mir durch seine Worte den Zugang zu Gott geöffnet. Er hat ein Wort gesagt, das noch niemand jemand gesagt hat. In dem antiken Drama ANTIGONE von Sophokles spricht die Antigone ein Wort aus, das in etwa dem Wort Jesu nahe kommt: „Nicht mitzuhassen, mitzulieben, bin ich da“. Jesus jedoch geht noch weiter, er sagt ganz lapidar: Du sollst deine Feinde lieben. Wörtlich sagt er: Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt 5, 43-44). Diese Liebe, die keine Grenzen kennt, erschließt sich mir in Jesus Christus. Genau deswegen vermag ich, will ich und kann ich an diesen Gott der Liebe glauben.
    Der Mann aus Berlin wurde ganz froh. Dann kam der Volkspolizist zurück. Das Verhör endet schließlich damit, dass mir die Bücher wieder ausgeliefert wurden.

    Auf dein Wort hin! Wollen wir es wagen? Können wir uns darauf einlassen? Möchten wir mit anderen diesen Weg gehen? Wahrhaftig, unsere Welt braucht Menschen, die vom Wort geprägt sind. Unsere Gesellschaft lässt sich nur verändern, wenn in ihr gelebte Worte hautnah sozusagen und personal da sind.

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    (1) "Die ... Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muss, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze. ... Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muss: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt."

    (2) Die sieben Ja der Botschaft "Miteinander für Europa"
    Vereint in diesem Bund sagen wir Ja zum Leben. Wir verpflichten uns, die unverletzliche Würde der menschlichen Person in allen Phasen ihrer Entwicklung, von der Empfängnis bis zum natürlichen Lebensende zu schützen.
    Wir sagen Ja zu Ehe und Familie. Sie sind Grundlage für eine solidarische und zukunftsfähige Gesellschaft.
    Wir sagen Ja zur Schöpfung. Wir treten für den Schutz von Natur und Umwelt ein. Wir haben sie als Gaben Gottes empfangen und wollen sie für die kommenden Generationen erhalten.
    Wir sagen Ja zu einer Wirtschaft, die sich an den Bedürfnissen des Einzelnen und der Menschheit als Ganzer ausrichtet.
    Wir sagen Ja zur Solidarität mit den Armen und Benachteiligten – in der Nähe und in der Ferne. Sie sind unsere Geschwister. Wir bitten unsere Regierungen und die Europäische Union, sich mit Entschiedenheit für die Armen und die Entwicklung der benachteiligten Länder, besonders in Afrika, einzusetzen.
    Wir sagen Ja zum Frieden, Wir setzen uns in Konfliktsituationen für Verständigung, Versöhnung und Dialog ein. Ohne Frieden hat die Welt keine Zukunft.
    Wir sagen Ja zur Verantwortung für unsere Gesellschaft. Wir arbeiten dafür, dass Städte und Gemeinwesen durch die Beteiligung aller zu einem solidarischen Miteinander der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Prägung finden.

    Referat vor den Priestern der Diözese Bozen-Brixen,
    Priesterseminar Brixen, 29. Mai 2014

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