Die Kirche lebt von der Eucharistie
Dieser Vortrag steht im Kontext des Todes von Papst Johannes Paul II. und meiner neuen Aufgabe im Gertrudenstift, wo es darum geht, ehrenamtliche Laien des ganzen Bistums Münster zur Freundschaft mit Christus hinzuführen.
Gleichsam als Testament hat Johannes Paul II. uns drei Schreiben hinterlassen:
- die Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia" aus dem Jahre 2003,
- sein Apostolisches Schreiben "Mane nobiscum domine" von 2004 zum Jahr der Eucharistie und
- sein diesjähriges Gründonnerstagsschreiben an die Priester, ebenfalls über die Eucharistie.
Mit diesem Referat möchte ich eine Annäherung an die Eucharistie versuchen unter den Gesichtspunkten:
• Wie können wir heute in unserer Zeit die Eucharistie fruchtbar werden lassen?
• Welchen Aspekt der Eucharistie muss jeder Einzelne von uns neu lernen und besser betonen?
Im Hintergrund steht bei mir der Gedanke, dass die Eucharistiefeier heute durch eine zunehmende Oberflächlichkeit gefährdet ist und dass wir, da sie nicht automatisch wirkt, ein viel tieferes persönliches und auch gemeinschaftliches Verhältnis zur Eucharistie entwickeln müssen, damit diese ihre volle Wirkung entfalten kann.
Im neuen Gertrudenstift in Rheine-Bentlage gibt es in der sehr interessanten Hauskapelle ein aus dem Jahre 1480 stammendes Marienbild, eine so genannte Anna Selbdritt. Auf dem Schoß von Mutter Anna, der Vertreterin des Alten Bundes, sitzt Maria als der Beginn des Neuen Bundes und trägt in ihrer Hand das Jesuskind, das allerdings fehlt. Beim Aufstellen dieser Figur haben wir uns überlegt, ob wir das Jesuskind ergänzen sollten. Wir haben es nicht getan, weil wir meinten, in einer Zeit zu leben, in der Gott uns "abhanden gekommen" ist. Maria schaut auf diesem Bild direkt in die Gemeinde, gleichsam auf der Suche nach Jesus, als wenn sie fragen würde: Wo ist Jesus? Die Gemeinde könnte diese Frage aufgreifen und auf sich beziehen: Ist er unter uns? Ist er in unserer Mitte? Dieser Gedanke des abhanden gekommenen Gottes, der in der Gemeinde derer, die an Jesus Christus glauben, gefunden werden kann, hat bei der Vorstellung unseres Hauses die Presse sehr beeindruckt. Für mich ist dies ein Hinweis darauf, dass es heute darauf ankommt, Jesus Christus in der Eucharistie wieder zu finden. Genau darum geht es in diesem Vortrag.
Gehen wir an die Ursprünge, lesen wir den ältesten Text, den uns Paulus im 1. Korintherbrief überliefert hat (1 Kor 11,23-26):
Denn ich habe vom Herrn empfangen,
was ich euch dann überliefert habe:
Jesus, der Herr,
nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde,
Brot,
sprach das Dankgebet,
brach das Brot
und sagte:
Das ist mein Leib für euch.
Tut dies zu meinem Gedächtnis!
Ebenso nahm er nach dem Mahl
den Kelch und sprach:
Dieser Kelch ist der Neue Bund
in meinem Blut.
Tut dies, sooft ihr daraus trinkt,
zu meinem Gedächtnis!
Denn sooft ihr von diesem Brot esst
und aus dem Kelch trinkt,
verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.
Schon ein Kapitel zuvor hatte Paulus geschrieben (1 Kor 10,16-17):
Ist der Kelch des Segens,
über den wir den Segen sprechen,
nicht Teilhabe am Blut Christi?
Ist das Brot, das wir brechen,
nicht Teilhabe am Leib Christi?
E i n Brot ist es.
Darum sind wir viele e i n Leib;
denn wir alle haben Teil an dem einen Brot.
Zu diesen Worten lese ich den Kommentar von Prof. Helmut Merklein (Bonn, 1999):
Paulus erinnert an die Einsetzungsworte des Herrenmahls, die er – wohl durch die Vermittlung anderer – von Jesus her überliefert bekommen und an die Gemeinde weitergegeben hat. Im Brot, das ausgeteilt wird, ist Christus gegenwärtig, der sich selbst ('mein Leib') für die Menschen in den Tod gibt. Der Kelch mit Wein schenkt Anteil an der neuen Heilsordnung Gottes, die in der Lebenshingabe Jesu gründet ('in meinem Blut'). Die Verkündigung des Heilstodes Jesu steht so in der Mitte der Mahlfeier bis zu Jesu Kommen in Herrlichkeit (Stuttgarter Neues Testament, Seite 336).
Weiter schreibt Merklein:
Das Essen und Trinken des Herrenmahles stiftet eine doppelte Gemeinschaft: Es bedeutet Teilhabe an der Heilswirkung des Todes Christi, der Leib und Blut (= Leben) hingab; und es verbindet diejenigen, die an diesem Geschehen teilhaben, zur Gemeinde als den einen Leib Christi (vgl. 12,27; Röm 12,5). Das schließt die Teilnahme an Opfermahlzeiten für andere Götter aus (a.a.O.S. 335).
Aus dem Text ergibt sich:
Die Eucharistie ist eine Tischgemeinschaft, eine Mahlfeier.
Sie findet im Umfeld des Pessachmahls statt.
Bei Paulus sind das Brotwort und das Kelchwort noch getrennt.
Das Ganze steht im Kontext eines Dankgebetes, wie es in der jüdischen Familie üblich war
Es kommt zur Gabe des Leibes und des Blutes Christi. Das Blut erinnert bereits an den gewaltsamen Tod Jesu. Dieses Mahl führt zu einem neuen Bund.
Und dann kommt der Befehl: Tut dies zu meinem Gedächtnis:
Das Stichwort Gedächtnis ist heute besonders wichtig geworden, es bedeutet in der Bibel viel mehr als Erinnerung. Hieraus hat man lange Zeit einen falschen konfessionellen Gegensatz gemacht: als wenn die Katholiken an die wirkliche Gegenwart Jesu glaubten, bei den Protestanten es sich aber nur um ein Erinnerungsmahl handele. Natürlich gibt es bei den Protestanten solche Tendenzen, aber es entspricht nicht der klaren reformatorischen Lehre.
Im so genannten Lima-Papier von 1982, den von der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung (einer Unterabteilung des Weltrates der Kirchen) nach einem über 30 Jahre dauernden Gesprächsprozess veröffentlichten Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt, können wir Folgendes lesen:
2.2.2. Die Eucharistie als Anamnese oder Gedächtnis (Memorial) Christi
5. Die Eucharistie ist das Gedächtnis (Memorial) des gekreuzigten und auferstandenen Christus, d.h. das lebendige und wirksame Zeichen seines Opfers, das ein für allemal am Kreuz vollbracht wurde und das weiterhin für alle Menschen wirksam ist. Der biblische Gedanke des Gedächtnisses, angewandt auf die Eucharistie, bezieht sich auf diese gegenwärtige Wirksamkeit des Werkes Gottes, wenn es von seinem Volk in einer Liturgie gefeiert wird.
6. Christus selbst ist mit allem, was er ein für uns und die gesamte Schöpfung vollbracht hat (in seiner Menschwerdung, seiner Erniedrigung, seinem Dienst, seiner Unterweisung, seinem Leiden, seinem Opfer, seiner Auferstehung und Himmelfahrt und indem er den Geist sandte), in dieser "Anamnese" gegenwärtig und schenkt uns Gemeinschaft mit sich. …
(Taufe, Eucharistie und Amt. Paderborn und Frankfurt 1982, S. 19).
Das steht im Hintergrund dessen, was Papst Johannes Paul II. in seinem Gründonnerstagsbrief an die Priester unter Nr. 5 die Spiritualität des Gedächtnisses nennt:
Darüber hinaus möchte ich hervorheben, dass Jesus gesagt hat: 'Tut dies zum meinem Gedächtnis'. Die Eucharistie gedenkt nicht einfach einer Tatsache; sie gedenkt Seiner! Jeden Tag in persona Christi die Worte des Gedächtnisses zu wiederholen bedeutet für den Priester eine Einladung, eine 'Spiritualität des Gedächtnisses' zu entfalten. In einer Zeit, in der die schnellen Veränderungen in Kultur und Gesellschaft den Sinn für die Tradition geringer werden lassen und insbesondere die jungen Generationen der Gefahr aussetzen, die Verbindung zu den eigenen Wurzeln zu verlieren, ist der Priester aufgerufen, in der ihm anvertrauten Gemeinde der Mensch der getreuen Erinnerung an Christus und an sein ganzes Geheimnis zu sein.
Für mich heißt das auch: Eucharistie feiern bedeutet die Verbindung zum Ursprung suchen und finden. Dabei ist mir einfach klar: Wir als Kirche sind durch Jesus Christus.
Wenn wir auf die heutige Messfeier schauen, z. B. auf das zweite Eucharistische Hochgebet und das gesamte liturgische Geschehen, wie es jetzt in der römischen Liturgie Gestalt bekommt, und dieses vergleichen mit dem nüchternen Anfang im 1. Korintherbrief, dann können wir direkt merken, dass hier ganz viel geschehen ist.
Das erste was mir auffällt ist, dass die Kirche alles dafür getan hat, einen geistlichen Raum herzustellen, in dem die Eucharistie überhaupt gefeiert werden kann.
Es gibt natürlich die extremen Situationen. So wird von Alfred Delp berichtet, dass er in seiner Zelle in Berlin-Tegel in den Wochen vor seinem Tod in einem einfachen Wasserglas und aus einem Zinnteller Eucharistie gefeiert hat. Er schlug auf das Heizungsrohr, damit der neben ihm einsitzende Dietrich Bonhoeffer Bescheid wusste und sich geistlich anschließen konnte. Auch der bereits verstorbene Kardinal Van Thuan, der 18 Jahre als Bischof in vietnamesischer Einzelhaft gesessen hat, berichtet in seinem Buch "Hoffnung die trägt" (Freiburg 2000) von einer ganz einfachen Messfeier in seiner Zelle, in der er alleine einsaß, bewacht von zwei Soldaten:
Jetzt komme ich auf meine persönliche Erfahrung zurück. Als ich verhaftet wurde, musste ich sofort mitgehen, mit leeren Händen. Am folgenden Tag wurde mir erlaubt, an die Meinen zu schreiben, um das Nötigste von ihnen zu erbitten: Kleidung, Zahnpasta. Ich schrieb: "Bitte schickt mir ein bisschen Wein als Medizin gegen die Magenschmerzen."
Die Gläubigen haben sofort verstanden. Sie schickten mir ein kleines Fläschchen Messwein mit der Aufschrift "Medizin gegen Magenschmerzen" und Hostien, die in einer Fackel gegen Feuchtigkeit versteckt waren.
Die Polizei fragte mich: "Haben Sie Magenschmerzen?" – "Ja." – "Hier ist ein bisschen Medizin für Sie."
Nie werde ich meine große Freude in Worte fassen können: Mit drei Tropfen Wein und einem Tropfen Wasser in der hohlen Hand feierte ich Tag für Tag die Messe. Das war mein Altar, das war meine Kathedrale! Ich hatte die wahre Medizin für Seele und Leib: "Arznei der Unsterblichkeit, das Gegenmittel, um nicht zu sterben, sondern immer das Leben in Christus zu haben", wie Ignatius von Antiochien sagt.
Bei jeder dieser Feiern konnte ich die Arme ausbreiten, gleichsam als würde ich mit Jesus ans Kreuz genagelt; ich konnte mit ihm den bitteren Kelch trinken. Jeden Tag bekräftigte ich beim Sprechen der Konsekrationsworte aus ganzem Herzen und ganzer Seele einen neuen Bund, einen ewigen Bund zwischen Jesus und mir, durch sein Blut, das sich mit dem meinen vermischte. Das waren die schönsten Messfeiern meines Lebens! (a.a.O. S. 128)
Was diese beiden in größter Einfachheit in ihrer Zelle geleistet haben, war, dass sie sich im Namen Jesu sozusagen gesammelt haben und auf die ganze Kirche eingestellt haben. In dieser großen Gemeinschaft der Kirche konnten sie auch als Einzelne im Namen Jesu Eucharistie feiern.
Die Kirche selbst sorgt heute dafür, dass wir im Namen Jesu versammelt sind. Es geht um eine "congregatio" im Namen Jesu.
Wie wird dies getan?
Ganz am Anfang steht die Anrufung des Herrn im Kyrie eleison. Der Kyrios-Titel ist hier sehr wichtig. Christus wird als Herr angerufen. Der Kyrios-Titel wurde im griechischen Alten Testament, der Septuaginta, die in Alexandrien 70 Jahre vor Christus für griechisch sprechende Juden übersetzt wurde, für Jahwe verwendet, dessen Namen man ja nicht aussprechen durfte, so dass die Juden Adonai sagten, was dann die Septuaginta-Übersetzer mit Kyrios darstellten. Diesen Kyrios-Titel haben die ersten Christen auf Jesus übertragen, wie man grade auch bei den Osterevangelien merken kann, wo wir immer wieder hören: "Es ist der Herr" (Joh 21,7).
Daraus hat sich dann auch der in der Messe viermal vorkommende Ruf "Der Herr sei mit euch" entwickelt, auf den die Gemeinde antwortet "Und mit Deinem Geiste". "Der Herr sei mit euch" könnte auch übersetzt werden "Der Herr ist mit euch", denn im Lateinischen heißt es schlicht und einfach "Dominus vobiscum". Dieser Ruf dient zur Vergewisserung, dass die Gemeinde begreift: Der Herr ist unter uns, wir sind mit ihm, er ist mit uns, wir sind auf den Herrn bezogen, wir sind "kyriake", eine auf den Herrn bezogene Versammlung, also Kirche.
Die Kirche sorgt also durch die Gestalt der Messfeier dafür, dass wir uns als Kirche konstituieren und versammeln und vergewissert sich mehrmals im Gottesdienst am Beginn, beim Evangelium, bei der Präfation und bei der Aussendung, ob wir wirklich im Herrn versammelt sind. Damit die Versammlung im Namen Jesu fruchtbar wird, wird auch daran gearbeitet, alles Widerständige auszuräumen:
a) die Sünde (Confiteor, Agnus Dei)
b) Spannungen und Streit unter den Jüngern und Jüngerinnen (Friedensgruß, Bitte nach dem Vater Unser)
Ist der Raum der Gegenwart des Herrn erstellt, wird zunächst daran gearbeitet, dass die Gemeinde durch die Lesung und das Evangelium angereichert wird mit dem Wort Gottes. Es ist eine echte In-Formation, eine Formung, eine Prägung, eine Reinigung. Es ist ein Hören, eine Aufnahme des Wortes Gottes und darin eine Aufnahme des Herrn so, dass das Wort der Schrift in uns Wurzeln schlagen kann und uns untereinander verbindet.
Ein weiteres Element, das die Kirche eingefügt hat, ist die Öffnung für die Welt und für die ganze Kirche. Es sind die Fürbitten, die andeuten, dass wir in katholischer Weise mit allen und für alle leben und es ist sozusagen die apostolische Gemeinschaft, die ganz direkt auch im Gebet als Gemeinschaft mit dem Papst und mit dem Bischof angesprochen wird.
Somit steht die Eucharistiefeier im Kontext der Anwesenheit Christi, im Kontext der Welt und im Kontext der Kirche, des Bischofs und des Papstes. Es ist im echten Sinne, wie Augustinus die Sakramente auch einmal genannt hat, ein "sacramentum unitatis", Sakrament der Einheit.
Die Dynamik der Eucharistie geht von Jesus Christus selbst aus, der hier in besonderer Weise gegenwärtig ist. Es geht in der Eucharistie um eine wirksame Gegenwart des Herrn in den Gestalten von Brot und Wein.
An diesem Glauben hat die Kirche von Anfang an festgehalten, das hörten wir schon in den Worten aus dem 1. Korintherbrief. Dies zeigt sich auch in den besonderen Kapiteln, die das Johannesevangelium der Eucharistie gewidmet hat, etwa in Kapitel 6, wo es heißt "Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben" (Joh 6,55-57).
Hierzu schreibt Johannes Paul II. in "Mane nobiscum domine" unter Nr. 16:
Ich bin bei euch alle Tage (...)die Dimensionen der Eucharistie verdichten sich in einem Aspekt, der mehr als alle anderen unseren Glauben auf die Probe stellt, das Geheimnis der 'Realpräsenz'. Mit der Gesamttradition der Kirche glauben wir, dass unter den eucharistischen Gestalten Jesus wirklich gegenwärtig ist. Es handelt sich um eine Gegenwart – die Papst Paul VI. vortrefflich erklärte –, die 'wirklich' genannt wird, nicht im ausschließlichen Sinn, als ob die anderen Formen der Gegenwart nicht wirklich wären, sondern hervorhebend, denn Kraft der Realpräsenz wird der ganze und vollständige Christus in der Wirklichkeit seines Leibes und seines Blutes substanziell gegenwärtig. Deswegen verlangt der Glaube von uns, vor der Eucharistie zu stehen im Bewusstsein, vor Christus selbst zu stehen. (...) Die Eucharistie ist das Geheimnis der Gegenwart, durch das sich die Verheißung Christi, immer bei uns zu sein bis ans Ende der Welt, auf höchste Weise verwirklicht.
Hier betont der Papst mit der gesamten Tradition der Kirche die wirksame Gegenwart des Herrn in den Gestalten von Brot und Wein. Augustinus erklärt diese Wandlung mit den einfachen Worten: "Adit verbum ad elementum" – das Wort tritt zum Element hinzu, das Wort Gottes verbindet sich mit den Elementen von Brot und Wein.
Die Dynamik der Eucharistie zeigt sich darin, dass sich nicht nur die Gegenwart des Herrn in Brot und Wein ereignet, sondern dass diese auch so ausgeteilt werden, dass der Herr zu den Menschen kommt, zu uns als Christen. Es ereignet sich die Kommunion, die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus.
Diese Kommunion muss heute besonders unterstrichen und betont werden:
Es ist eine communio, eine Einheit mit Christus: Er in mir und ich in ihm. Es kommt zum Austausch zwischen ihm und mir in einer Weise, dass Christus mich zum Vater führt. In der Kommunion kann es geschehen, dass der Einzelne so tief mit Christus vereint ist, dass er unmittelbar und direkt den Vater anspricht, wie es ja auch Chiara aus ihrer tiefsten Erfahrung des Paradieses berichtet.
Aber aus dieser tiefen Verbindung mit dem Dreifaltigen Gott geht es dann weiter zu den Menschen: Mit Christus zu den Menschen.
So heißt es denn auch im Lima-Papier:
10. In Christus bringen wir uns selbst dar als ein lebendiges und heiliges Opfer in unserem täglichen Leben; dieser geistliche Gottesdienst, der Gott gefällt, wird in der Eucharistie genährt, in der wir in Liebe geheiligt und versöhnt werden, um Diener der Versöhnung in der Welt zu sein.
11. Vereint mit unserem Herrn und in Gemeinschaft mit allen Heiligen und Märtyrern werden wir in dem Bund erneuert, der durch das Blut Christi besiegelt worden ist. (a.a.O., S.21).
Es geschieht aber nicht nur die Kommunion des Einzelnen, sondern es geschieht die Kommunion aller, die den Leib des Herrn und das Blut des Herrn empfangen. Aus der Gemeinde wird, wie es schon im ersten Korintherbrief heißt und von den Kirchenvätern immer wieder betont wird, der aktuelle Leib Christi.
Im Gotteslob steht das schöne Wort von Augustinus:
"Empfangt was ihr seid, Leib Christi,
und werdet, was ihr seid, Leib Christi" (vgl.GL 374,1).
Hier entwickelt sich für mich jetzt eine ganz wichtige, entscheidende Dynamik, die leider oft heute vergessen ist. Wenn in der – wenn ich so sagen darf – ersten Konsekration Brot und Wein zu Leib und Blut Christi konsekriert werden, dann gibt es auch eine zweite Konsekration, dann nämlich, wenn die Glaubenden Leib und Blut Christi empfangen und so aktuell Leib Christi werden.
Und so wie es eine erste Kommunionausteilung im Gottesdienst gibt, gibt es auch eine zweite Kommunionausteilung. Dann nämlich, wenn die Gläubigen entlassen werden. Dieser neue aktualisierte Leib Christi wird hinaus gegeben in die Welt.
Im ursprünglichen lateinischen Ritus heißt es heute noch "Ite missa est". Bei uns auf Deutsch sagen wir heute "Geht hin in Frieden". Da wird eigentlich das Wort "missa" unterschlagen.
"Missa" ist ein mittelalterliches Wort und ist dem Wort "Mission" gleichzusetzen. Eigentlich müsste es heißen: Geht hin! Jetzt ist Sendung. Die Messe hat also nicht nur eine Mitte, sie hat auch einen absoluten Höhepunkt, der genau am Ende liegt.
Jetzt ist Sendung des Leibes Christi, Austeilung des aktualisierten Leibes Christi in die Welt. Damit verstehen wir, dass wir als Christen die Berufung haben, Eucharistie zu sein für die Welt und für die Menschen.
Wenn jeder Einzelne und wenn wir gemeinsam, angereichert mit der Gegenwart Jesu in uns, hinausgehen in die Welt, dann kann durch unseren Leib, durch unsere Freude und tätige Liebe, durch unser Verständnis und durch unsere Verzeihung, aber auch durch unsere Aktivität und durch mutige Worte von uns mitten in der Gesellschaft Christus präsent werden. Damit zielt die Eucharistie nicht nur auf das Kirche-Sein, sondern auf das Kirche-in-der-Welt-Sein. Die Kirche möchte, dass wir als Eucharistie hinein gegeben werden in die Welt.
Chiara Lubich hat diesen Gedanken noch weiter ausgedehnt und davon gesprochen, dass ein Christ, der häufig die Eucharistie empfangen hat in seinem Tod Eucharistie für die Erde wird und dass er dadurch gleichsam einen Beitrag leistet zur endgültigen Verklärung und Verherrlichung dieser Erde, auf der wir leben.
Ein praktisches Beispiel aus der Bildungsarbeit soll dies beleuchten. Immer wieder beklagen Eltern, dass ihre Kinder sonntags nicht den Gottesdienst besuchen. Manche Mütter sind versucht oder waren früher versucht, dann, zuhause angekommen, ihre Kinder zu ermahnen, manchmal auch zu beschimpfen. So dass die Kinder praktisch lernten: Wenn Mutter in der Kirche war, schimpft sie. Da kann natürlich kein eucharistisches Geschehen in der Familie weitergehen. Die Mutter könnte auch denken, dass sie den Leib des Herrn empfangen hat, zusammen mit ihrem Mann und dass die beiden zusammen Eucharistie für die Familie sind und den Kindern ganz konkret die Liebe Gottes nach Hause bringen und sie sozusagen indirekt in das eucharistische Geschehen einbeziehen. So kann die Eucharistie fruchtbar werden für ein gutes Klima in der Familie. Mir scheint, dass wir in diesem Sinn die Eucharistie gar nicht genug ausgenutzt und verstanden haben.
Die Eucharistie ist also keineswegs ein Sakrament bloßer Erinnerung, es ist das Sakrament einer großen Wirksamkeit und Stärke. Es ist ein Sakrament, in dem Christus selbst handelt:
Er macht sich eins mit uns und gibt sich uns. Christus verschenkt sich an uns.
Er macht aus uns ein neues Wir, seinen Leib. Er bewirkt, dass die Gläubigen ein Leib und eine Seele werden.
Er sendet uns aus, er teilt uns aus, er verschenkt uns an die Menschen.
Er gibt sich durch uns weiter an die Menschen.
Damit stellt sich die Frage, die wir schon am Anfang stellten:
Was können wir tun, um wirksam Eucharistie zu feiern?
Folgende Fragen könnten uns dabei helfen:
• Bin ich empfangsfähig für den Herrn?
• Und wie mache ich mich zu Beginn des Gottesdienstes empfangsfähig für ihn?
• Bin ich wandlungsfähig, einheitsfähig, kann ich sein Leib werden und wie kann ich sein Leib werden?
• Bin ich weggabe-bereit, will ich überhaupt verschenkt werden?
• Lasse ich mich los auf ihn hin, dass er sich an die Menschen geben kann?
Damit stellt sich die Frage: Auf welchen Aspekt muss ich als Einzelner im Gottesdienst näher acht geben?
- Auf das Sich-Versammeln im Namen Jesu?
- Auf das Achten der Gegenwart des Herrn?
- Auf das Eucharistiewerden für die Anderen?
- Auf die Erfahrung, dass der Herr wirklich bei mir ist?
- Und ich muss mich fragen, ob ich mich wirklich verschenken lassen will.
Damit zeigt sich, dass die Messe wesentlich mehr ist, als eine Tankstelle, es ist eine Sendestation, hier geschieht Sendung, Aussendung, hier geht Kirche weiter, hier wird die Kirche missionarisch, hier wird die Kirche aufbauend für die Welt.
Wenn das so ist, müssten wir uns auch fragen: Wie feiern wir als Gemeinschaft hier in Solingen Eucharistie?
Vortrag im Zentrum Frieden in Solingen, April 2005