Wie das II. Vatikanische Konzil den Menschen sieht
--> Die Kirche erlebt in diesen Monaten 2013 einen Moment Gottes. Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. ließ aufhorchen. Ein Papst gibt den Raum frei für Neues. Er geht zurück ins Glied, ins Volk Gottes. Alle Welt schaut nach Rom. Es kommt Papst Franziskus.
--> So war es auch 1959, als Johannes XXIII. das Zweite Vat. Konzil ankündigte. Es war ein Moment Gottes.
Papst Johannes nimmt das Wort des Evangeliums ernst: Geht hinaus in die ganze Welt. Verkündet allen Völkern das Evangelium. Er hört intensiv: Geht zu den Menschen!
--> Was tut Papst Johannes?
Er beruft eine weltweite Versammlung ein, ein Konzil, er ruft alle katholischen Bischöfe nach Rom für 4 Jahre. Über 2500 Bischöfe kamen nach Rom, dazu lädt er Vertreter der evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirche ein, Menschen, die bis dahin als Ketzer und Schismatiker galten.
--> Papst Johannes geht auf volles Risiko.
Er öffnet den Raum für Beratung, für den Hl. Geist. Er will nichts weniger als ein neues Pfingsten: Gemeinsam beraten - Neu nach dem Willen Gottes fragen - Wie soll Kirche sein?
--> Blick auf das Konzil - mein persönliches Erleben
Am 11.10.1962 ziehen 2500 Bischöfe ein, es agieren 2 Päpste (Joh. XXIII., Paul VI.), Kardinal Karol Wojtyla ist als junger Erzbischof von Krakau beim Konzil dabei, es finden 4 Sitzungsperioden bis 1965 (jeweils Oktober bis Dezember) statt, 20 Texte werden verabschiedet.
--> Das Konzil ist noch gar nicht ganz angekommen.
Es lohnt sich eine relecture. 50 Jahre nach dem Konzil stehen wir immer noch am Anfang.
--> Aber es hat sich damals ein Pfingsten ereignet.
In den Beschlüssen des Konzils schlummert Neues. Es will geweckt werden.
Der Schlüssel zum Konzil: die Freiheit
2. Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1, 9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2, 18; 2 Petr 1, 4).
In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1, 15; 1 Tim 1, 17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33, 11; Joh 15, 14 - 15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3, 38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.
13. In der Heiligen Schrift also offenbart sich, unbeschadet der Wahrheit und Heiligkeit Gottes, eine wunderbare Herablassung der ewigen Weisheit, "damit wir die unsagbare Menschenfreundlichkeit Gottes kennenlernen und erfahren, wie sehr er sich aus Sorge für unser Geschlecht in seinem Wort herabgelassen hat" (11). Denn Gottes Worte, durch Menschenzunge formuliert, sind menschlicher Rede ähnlich geworden, wie einst des ewigen Vaters Wort durch die Annahme menschlich-schwachen Fleisches den Menschen ähnlich geworden ist.
21. Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht.
22. Der Zugang zur Heiligen Schrift muss für die an Christus Glaubenden weit offenstehen.
Die Kirche ist da für alle Menschen, den einzelnen Menschen und für alle
1. Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15).
Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.
Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären. Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, dass nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen.
4. So erscheint die ganze Kirche als "das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk" (4).
Das neue Gottesvolk in allen Völkern
13. Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muss dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten.
In allen Völkern der Erde wohnt also dieses eine Gottesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, Bürger eines Reiches freilich nicht irdischer, sondern himmlischer Natur. Alle über den Erdkreis hin verstreuten Gläubigen stehen mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemeinschaft, und so weiß "der, welcher zu Rom wohnt, dass die Inder seine Glieder sind" (23).
Alle sind berufen zu diesem Gottesvolk
Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind.
Zunächst alle Christen
Man beachte: diese Texte stehen schon in Lumen Gentium, nicht nur im Ökumenismus-Dekret oder im Dekret für die nichtchristlichen Religionen
15. Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind, den vollen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde verbunden.
Viele nämlich halten die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott, den allmächtigen Vater, und an Christus, den Sohn Gottes und Erlöser, empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften. Mehrere unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die heilige Eucharistie und pflegen die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter.
16. Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das Gottesvolk auf verschiedene Weise hin geordnet.
Die Juden
In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (vgl. Röm 9, 4-5), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk: die Gaben und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (vgl. Röm 11, 28-29).
Die Muslime
Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.
Die Naturreligionen
Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und Atem und alles gibt (vgl. Apg 17, 25-28) und als Erlöser will, dass alle Menschen gerettet werden (vgl. 1 Tim 2, 4). Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen (33).
Wer guten Willens ist, kann das Heil erlangen, weil hingeordnet auf die Kirche. Durch diese Ausweitung des Begriffs Kirche kann der Satz "Extra ecclesiam nulla salus - außerhalb der Kirche kein Heil" seine Gültigkeit behalten.
1. Die engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie
Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.
3. (…) Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen.
Die Heilige Synode bekennt darum die hohe Berufung des Menschen, sie erklärt, dass etwas wie ein göttlicher Same in ihn eingesenkt ist, und bietet der Menschheit die aufrichtige Mitarbeit der Kirche an zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft aller, die dieser Berufung entspricht.
Zentrale Grundfragen
11. (…) Dennoch wächst angesichts der heutigen Weltentwicklung die Zahl derer, die die Grundfragen stellen oder mit neuer Schärfe spüren:
Was ist der Mensch?
Was ist der Sinn des Schmerzes, des Bösen, des Todes - alles Dinge, die trotz solchen Fortschritts noch immer weiterbestehen?
Wozu diese Siege, wenn sie so teuer erkauft werden mussten?
Was kann der Mensch der Gesellschaft geben, was von ihr erwarten?
Was kommt nach diesem irdischen Leben?
Die Kirche aber glaubt: Christus, der für alle starb und auferstand (4), schenkt dem Menschen Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung nachkommen kann; es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem sie gerettet werden sollen (5).
Sie glaubt ferner, dass in ihrem Herrn und Meister der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte gegeben ist. Die Kirche bekennt überdies, dass allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrunde liegt, was seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit (6).
Im Licht Christi also, des Bildes des unsichtbaren Gottes, des Erstgeborenen vor aller Schöpfung (7), will das Konzil alle Menschen ansprechen, um das Geheimnis des Menschen zu erhellen und mitzuwirken dabei, dass für die dringlichsten Fragen unserer Zeit eine Lösung gefunden wird.
Mensch und Gott
Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, dass alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hinzuordnen ist.
Was ist aber der Mensch?
Viele verschiedene und auch gegensätzliche Auffassungen über sich selbst hat er vorgetragen und trägt er vor, in denen er sich oft entweder selbst zum höchsten Maßstab macht oder bis zur Hoffnungslosigkeit abwertet, und ist so unschlüssig und voll Angst.
In eigener Erfahrung dieser Nöte kann die Kirche doch, von der Offenbarung Gottes unterwiesen, für sie eine Antwort geben, um so die wahre Verfassung des Menschen zu umreißen und seine Schwäche zu erklären, zugleich aber auch die richtige Anerkennung seiner Würde und Berufung zu ermöglichen.
Die Heilige Schrift lehrt nämlich, dass der Mensch "nach dem Bild Gottes" geschaffen ist, fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben, von ihm zum Herrn über alle irdischen Geschöpfe gesetzt (1), um sie in Verherrlichung Gottes zu beherrschen und zu nutzen (2).
"Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Oder des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Wenig geringer als Engel hast du ihn gemacht, mit Ehre und Herrlichkeit ihn gekrönt und ihn über die Werke deiner Hände gesetzt. Alles hast du ihm unter die Füße gelegt" (Ps 8, 5-7).
Aber Gott hat den Menschen nicht allein geschaffen: denn von Anfang an hat er ihn "als Mann und Frau geschaffen" (Gen 1, 27); ihre Verbindung schafft die erste Form personaler Gemeinschaft.
Den Menschen macht aus, dass er in Beziehung stehen kann. Die Beziehungsfähigkeit ist der zentrale Entwicklungspunkt.
Der Mensch ist nämlich aus seiner innersten Natur ein gesellschaftliches Wesen; ohne Beziehung zu den anderen kann er weder leben noch seine Anlagen zur Entfaltung bringen.
Gott sah also, wie wir wiederum in der Heiligen Schrift lesen, "alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut" (Gen
Das Gewissen verbindet den Christen mit allen Menschen.
16. Die Würde des sittlichen Gewissens
Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muss und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes.
Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird (9). Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist (10).
Im Gewissen erkennt man in wunderbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat (11). Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen. Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten. Nicht selten jedoch geschieht es, dass das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne dass es dadurch seine Würde verliert.
Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zu wenig darum müht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird.
Die Freiheit und die freie Wahl Gottes
17. Die hohe Bedeutung der Freiheit
Aber nur frei kann der Mensch sich zum Guten hinwenden.
Und diese Freiheit schätzen unsere Zeitgenossen hoch und erstreben sie leidenschaftlich. Mit Recht. Oft jedoch vertreten sie sie in verkehrter Weise, als Berechtigung, alles zu tun, wenn es nur gefällt, auch das Böse.
Die wahre Freiheit aber ist ein erhabenes Kennzeichen des Bildes Gottes im Menschen: Gott wollte nämlich den Menschen "in der Hand seines Entschlusses lassen" (12), so dass er seinen Schöpfer aus eigenem Entscheid suche und frei zur vollen und seligen Vollendung in Einheit mit Gott gelange.
Die Würde des Menschen verlangt daher, dass er in bewusster und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft. Die Freiheit des Menschen, die durch die Sünde verwundet ist, kann nur mit Hilfe der Gnade Gottes die Hinordnung auf Gott zur vollen Wirksamkeit bringen.
Der Tod, das Sterben gehören zum Menschen: hier spüren wir den Keim der Ewigkeit.
18. Das Geheimnis des Todes
Angesichts des Todes wird das Rätsel des menschlichen Daseins am größten. Der Mensch erfahrt nicht nur den Schmerz und den fortschreitenden Abbau des Leibes, sondern auch, ja noch mehr die Furcht vor immerwährendem Verlöschen.
Er urteilt aber im Instinkt seines Herzens richtig, wenn er die völlige Zerstörung und den endgültigen Untergang seiner Person mit Entsetzen ablehnt.
Der Keim der Ewigkeit im Menschen lässt sich nicht auf die bloße Materie zurückführen und wehrt sich gegen den Tod.
So wird auch der Atheismus kein Hindernis sein, mit den Menschen ins Gespräch über die Zukunft zu kommen.
Jedem also, der ernsthaft nachdenkt, bietet daher der Glaube, mit stichhaltiger Begründung vorgelegt, eine Antwort auf seine Angst vor der Zukunft an; und zugleich zeigt er die Möglichkeit, mit den geliebten Brüdern, die schon gestorben sind, in Christus Gemeinschaft zu haben in der Hoffnung, dass sie das wahre Leben bei Gott erlangt haben.
Eine demütige Feststellung:
(19) Deshalb können an dieser Entstehung des Atheismus die Gläubigen einen erheblichen Anteil haben, insofern man sagen muss, dass sie durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch missverständliche Darstellung der Lehre oder auch durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren.
(21) Wenn die Kirche auch den Atheismus eindeutig verwirft, so bekennt sie doch aufrichtig, dass alle Menschen, Glaubende und Nichtglaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen. Das kann gewiss nicht geschehen ohne einen aufrichtigen und klugen Dialog. Deshalb beklagt sie die Diskriminierung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, die gewisse Staatslenker in Nichtachtung der Grundrechte der menschlichen Person ungerechterweise durchführen. Für die Glaubenden verlangt die Kirche Handlungsfreiheit, damit sie in dieser Welt auch den Tempel Gottes errichten können. Die Atheisten aber lädt sie schlicht ein, das Evangelium Christi unbefangen zu würdigen.
Hier kommt der Spitzensatz, den Johannes Paul II. hundertmal wiederholt hat. DENN ER, DER SOHN GOTTES, HAT SICH IN SEINER MENSCHWERDUNG MIT JEDEM MENSCHEN VEREINIGT.
22. Christus, der neue Mensch
Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. (…)
Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. (…)
Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt.
Jesus der Mensch: ausführliche Beschreibung des Menschseins Jesu
Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt (23), mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich außer der Sünde (24). Als unschuldiges Opferlamm hat er freiwillig sein Blut vergossen und uns Leben erworben. In ihm hat Gott uns mit sich und untereinander versöhnt (25) und der Knechtschaft des Teufels und der Sünde entrissen. So kann jeder von uns mit dem Apostel sagen: Der Sohn Gottes "hat mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben" (Gal 2,20). Durch sein Leiden für uns hat er uns nicht nur das Beispiel gegeben, dass wir seinen Spuren folgen (26), sondern er hat uns auch den Weg gebahnt, dem wir folgen müssen, damit Leben und Tod geheiligt werden und neue Bedeutung erhalten. Der christliche Mensch empfängt, gleichförmig geworden dem Bild des Sohnes, der der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist (27), "die Erstlingsgaben des Geistes" (Röm 8, 23), durch die er fähig wird, das neue Gesetz der Liebe zu erfüllen (28).
Die Erneuerung in Christus betrifft alle
Durch diesen Geist, der das "Unterpfand der Erbschaft" (Eph 1, 14) ist, wird der ganze Mensch innerlich erneuert bis zur "Erlösung des Leibes" (Röm 8, 23): "Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten erweckt hat, in euch wohnt, wird er, der Jesus Christus von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen des in euch wohnenden Geistes" (Röm 8, 11) (29).
(…)
Das gilt nicht nur für die Christgläubigen, sondern für alle Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt (31). Da nämlich Christus für alle gestorben ist (32) und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.
Solcher Art und so groß ist das Geheimnis des Menschen, das durch die christliche Offenbarung den Glaubenden aufleuchtet. Durch Christus und in Christus also wird das Rätsel von Schmerz und Tod hell, das außerhalb seines Evangeliums uns überwältigt. Christus ist auferstanden, hat durch seinen Tod den Tod vernichtet und uns das Leben geschenkt (33), auf dass wir, Söhne im Sohn, im Geist rufen: Abba, Vater! (34)
Alle Menschen, wirklich alle, bilden eine Familie
24. Der Gemeinschaftscharakter der menschlichen Berufung im Ratschluss Gottes Gott, der väterlich für alle sorgt, wollte, dass alle Menschen eine Familie bilden und einander in brüderlicher Gesinnung begegnen. Alle sind ja geschaffen nach dem Bild Gottes, der "aus einem alle Völker hervorgehen ließ, die das Antlitz der Erde bewohnen" (Apg 17, 26), und alle sind zu einem und demselben Ziel, d.h. zu Gott selbst, berufen. Daher ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten das erste und größte Gebot. (...)
Ja, wenn der Herr Jesus zum Vater betet, "dass alle eins seien ... wie auch wir eins sind" (Joh 17, 20-22), und damit Horizonte aufreißt, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind, legt er eine gewisse Ähnlichkeit nahe zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe.
Dieser Vergleich macht offenbar, dass der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann (2).
Eine Steigerung: uns zum Nächsten machen für Jesus
(27) Heute ganz besonders sind wir dringend verpflichtet, uns zum Nächsten schlechthin eines jeden Menschen zu machen und ihm, wo immer er uns begegnet, tatkräftig zu helfen, ob es sich nun um alte, von allen verlassene Leute handelt oder um einen Fremdarbeiter, der ungerechter Geringschätzung begegnet, um einen Heimatvertriebenen oder um ein uneheliches Kind, das unverdienterweise für eine von ihm nicht begangene Sünde leidet, oder um einen Hungernden, der unser Gewissen aufrüttelt durch die Erinnerung an das Wort des Herrn: "Was ihr einem der Geringsten von diesen meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Was ferner zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers.
28. Die Achtung und die Liebe gegenüber dem Gegner (...) Achtung und Liebe sind auch denen zu gewähren, die in gesellschaftlichen, politischen oder auch religiösen Fragen anders denken oder handeln als wir. Je mehr wir in Menschlichkeit und Liebe inneres Verständnis für ihr Denken aufbringen, desto leichter wird es für uns, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Eine Kehre: die Kirche kann, ja muss von der Welt lernen
44. Die Hilfe, welche die Kirche von der heutigen Welt erfährt (….) so ist sich die Kirche auch darüber im Klaren, wie viel sie selbst der Geschichte und Entwicklung der Menschheit verdankt. Die Erfahrung der geschichtlichen Vergangenheit, der Fortschritt der Wissenschaften, die Reichtümer, die in den verschiedenen Formen der menschlichen Kultur liegen, durch die die Menschennatur immer klarer zur Erscheinung kommt und neue Wege zur Wahrheit aufgetan werden, gereichen auch der Kirche zum Vorteil. (…)Zur Steigerung dieses Austauschs bedarf die Kirche vor allem in unserer Zeit mit ihrem schnellen Wandel der Verhältnisse und der Vielfalt ihrer Denkweisen der besonderen Hilfe der in der Welt Stehenden, die eine wirkliche Kenntnis der verschiedenen Institutionen und Fachgebiete haben und die Mentalität, die in diesen am Werk ist, wirklich verstehen, gleichgültig, ob es sich um Gläubige oder Ungläubige handelt. (…)
Wer nämlich die menschliche Gemeinschaft auf der Ebene der Familie, der Kultur, des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, der nationalen und internationalen Politik voranbringt, leistet nach dem Plan Gottes auch der kirchlichen Gemeinschaft, soweit diese von äußeren Bedingungen abhängt, eine nicht unbedeutende Hilfe.
Ja selbst die Feindschaft ihrer Gegner und Verfolger, so gesteht die Kirche, war für sie sehr nützlich und wird es bleiben (23).
Ein Gruß an Teilhard de Chardin:
45. Christus, Alpha und Omega
Während sie selbst der Welt hilft oder von dieser vieles empfängt, strebt die Kirche nach dem einen Ziel, nach der Ankunft des Reiches Gottes und der Verwirklichung des Heiles der ganzen Menschheit. Alles aber, was das Volk Gottes in der Zeit seiner irdischen Pilgerschaft der Menschenfamilie an Gutem mitteilen kann, kommt letztlich daher, dass die Kirche das "allumfassende Sakrament des Heiles" (24) ist, welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht. Gottes Wort, durch das alles geschaffen ist, ist selbst Fleisch geworden, um in vollkommenem Menschsein alle zu retten und das All zusammenzufassen. Der Herr ist das Ziel der menschlichen Geschichte, der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und der Kultur konvergieren, der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte (25). Ihn hat der Vater von den Toten auferweckt, erhöht und zu seiner Rechten gesetzt; ihn hat er zum Richter der Lebendigen und Toten bestellt. Von seinem Geist belebt und geeint, schreiten wir der Vollendung der menschlichen Geschichte entgegen, die mit dem Plan seiner Liebe zusammenfällt: "alles in Christus dem Haupt zusammenzufassen, was im Himmel und was auf Erden ist" (Eph 1,10). Der Herr selbst spricht: " Sieh, ich komme bald, und mein Lohn ist mit mir, einem jeden zu vergelten nach seinen Werken. Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, Anfang und Ende" (Offb 22,12-13).
Karl Rahner
Albino Luciani (Papst Johannes Paul I.)
Benedikt XVI.
Piero Coda
Papst Franziskus am 16. April 2013
Dieses Gebet sprachen die Konzilsväter vor den täglichen Beratungen im Petersdom gemeinsam:
"Adsumus - hier sind wir, Herr, Heiliger Geist.
Hier sind wir, mit großen Sünden beladen, doch in deinem Namen ausdrücklich versammelt.
Komm in unsere Mitte, sei uns zugegen, ergieße dich mit deiner Gnade in unsere Herzen!
Lehre uns, was wir tun sollen, weise uns, wohin wir gehen sollen, zeige uns, was wir wirken müssen, damit wir durch deine Hilfe dir in allem wohlgefallen!
Du allein sollst unsere Urteile wollen und vollbringen, denn du allein trägst mit dem Vater und dem Sohne den Namen der Herrlichkeit.
Der du die Wahrheit über alles andere liebst, lass nicht zu, dass wir durcheinanderbringen, was du geordnet hast!
Unwissenheit soll uns nicht irreleiten, Beifall der Menschen nicht verführen, Bestechlichkeit und falsche Rücksichten sollen uns nicht verderben. Deine Gnade allein möge uns binden an dich.
Lass uns eins sein in dir und nicht abweichen von der Wahrheit.
Wie wir in deinem Namen versammelt sind, so lass uns auch in allem, vom Geist der Kindschaft geführt, festhalten an der Gerechtigkeit des Glaubens, dass unser Denken hier nie uneins werde mit dir, und dass wir in der kommenden Welt für rechtes Handeln ewigen Lohn empfangen. Amen."
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(1) K. Rahner, Allgemeine Einleitung, in K. Rahner / H. Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg, Basel, Wien, 1966, SS. 27- 28
(2) Manfred Plate, Weltereignis Konzil: Darstellung - Sinn - Ergebnis, Freiburg im Breisgau 1966, S. 104f
Vortrag vor Ordenschristen im Ökumenischen Begegnungszentrum in Ottmaring, 2. Juli 2013