Laienchristen in Kirche und Welt
Wofür sind eigentlich die Priester da? So fragen zunehmend viele Priester, aber auch viele Laien. Das Profil der Priester lässt nach, nicht nur ihre Zahl. Priester gehen heute leicht unter im Vielerlei ihrer Aufgaben. Viele leiden darunter, dass sie hauptsächlich als religiöse Dienstleister in Anspruch genommen werden. Es fällt ihnen zunehmend schwer, die eigene geistliche Mitte zu finden, weil die Gemeinden im Strudel der Konzentrationsprozesse ihre Ansprüche und Erwartungen glasklar formulieren und einfordern.
Wie soll dann der vielfach Belastete noch leben, eine noch ihn befriedigende menschliche und christliche Existenz aufbauen? Wundert es eigentlich noch, dass nicht wenige Priester vereinsamen oder kulturell verarmen?
Und wo Priester dann fehlen, werden wie selbstverständlich, rein pragmatisch Laienchristen eingesetzt – als Lückenbüßer, fast nur als Ersatz. So nimmt das Profil aller pastoralen Berufe Schaden und schließlich sind dann die kirchlichen Berufe insgesamt nicht mehr interessant, nicht mehr attraktiv, mit der Folge, dass heute die Eingangszahlen an den Theologischen Fakultäten und den Katholischen Fachhochschulen nicht nur für Priesterkandidaten deutlich abnehmen.
Darum bin ich Dr. Kronenberg sehr dankbar, dass er die Frage nach der Mitverantwortung der Laienchristen für Berufungen zum priesterlichen Dienst heute an seinem 70. Geburtstag auf die Tagesordnung gesetzt hat. Wer kümmert sich eigentlich mit Nachdruck um diese Thematik?
Wir Regenten haben uns entschieden, uns öffentlich zu Wort zu melden. Wir möchten das Gespräch mit der kirchlichen Öffentlichkeit und den gesellschaftlichen Gruppen ganz gezielt suchen. Unsere Aktion „Priester für das 21. Jahrhundert“ starten wir am 17./18. Mai 2003 in Mainz mit dem Ersten Deutschen Seminaristentag, der unter der Schirmherrschaft von Kardinal Lehmann steht. Über 600 Priesterkandidaten aus den deutschen Diözesen haben ihre Teilnahme bereits zugesagt. Dort sollen unsere Optionen „Ermutigung zum Priestertum“ offiziell vorgestellt werden. In aller Entschiedenheit starten die Verantwortlichen für die Priesterbildung in Deutschland eine Initiative, welche das Verständnis für das sakramentale Amt fördern, Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten von Priestern sichern und verbessern, die Priesterbildung an die Herausforderungen der Zeit anpassen und die Berufungspastoral profilieren soll. In mehreren Gesprächen zwischen Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und dem Beirat der Deutschen Regentenkonferenz kristallisierte sich ein Aktionsplan für die Jahre 2003 – 2005 heraus. Wenn die Deutsche Regentenkonferenz durchaus zugespitzte und provozierende Optionen formuliert, dann geschieht dies in Wertschätzung anderer pastoraler Berufe, allerdings auch in der Sorge, dass die Besonderheit und unverzichtbare Bedeutung des Priestertums des Dienstes zum Schaden aller Glieder der Kirche verdunkelt werden könnte. Handeln nach dem Grundsatz „Profilierung statt Nivellierung“ kommt allen pastoralen Berufen zugute! Für den priesterlichen Dienst wie für den Entscheidungsprozess von Priesterkandidaten bedarf es einer klaren Ortsbestimmung des priesterlichen Dienstes sowie Rahmenbedingungen, welche die menschliche und geistliche Existenz fördern.
Ich wiederhole die eingangs gestellte Frage: Wozu sind die Priester da? Welche Ziele sollen im Zentrum ihres Tuns stehen?
Das Zweite Vatikanische Konzil gibt darauf eine klare Antwort. Die Priester sind bestellt für das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden, damit die Kirche als Kirche ihren Dienst in der Welt tun kann. In der Kirchenkonstitution hört sich das im Originalton so an: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes sind einander zugeordnet: Das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er inne hat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (Lumen gentium, Nr. 10).
Das Heilshandeln Christi lässt sich nicht auf die Liturgie eingrenzen, das Heilshandeln Christi erschließt sich ebenso im Zeugnis der Christinnen und Christen und in der tätigen Liebe. Das Heilshandeln Christi zielt auf den ganzen Menschen und auf die Gesellschaft in all ihren Aspekten. Die ganze Kirche ist Werkzeug für dieses Heilshandeln Christi heute.
Diese Sichtweise öffnet den Blick für eine neue Art von Berufungspastoral. Es wird Christen geben, die bewusst das gemeinsame königliche Priestertum leben wollen und darum ihren Platz in der Politik sehen, um dort persönlich ihr Zeugnis zu geben und ebenso an einer sachgerechten Ordnung mitzuarbeiten, die der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und dem Frieden dient – also tätige Liebe ermöglichen und freisetzen will. Es gibt eine christliche Berufung zur Politik ebenso wie es eine christliche Berufung zur gesellschaftlichen Diakonie im eigenen Beruf gibt: etwa als Arzt, Lehrer, Vorarbeiter, Abteilungsleiter oder auch als Hausfrau – eine Fülle von Fassetten christlicher Berufung für Frauen und Männer bis hin zu den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verbänden und in der Gemeinde.
Und es wird Christen geben, die sich ausschließlich angezogen wissen vom Dienst am Aufbau der Kirche und des Volkes Gottes. Ihnen ist es aufgegeben, den Hirtendienst Christi zu vollziehen durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Feier der Eucharistie und der übrigen Sakramente – dies ist die Berufung zum besonderen Weihepriestertum. Es zeigt sich unmittelbar: Das Weihepriestertum und das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen sind aufeinander zugeordnet in je eigener Teilhabe am Heilshandeln Christi.
Die Priester sind also bestellt für das Volk Gottes, damit dieses das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden ausüben kann.
Hier stellen sich mir zwei kritische Fragen:
Leben und arbeiten die heutigen Priester ausreichend dafür, dass das gemeinsame Priestertum der Glaubenden praktiziert wird? Kümmern sie sich entschieden genug um die Berufungen von morgen in allen Feldern des gemeinsamen Priestertums?
Was tut eigentlich das Volk Gottes dafür, dass es auch morgen Priester gibt, dass junge Menschen ihre Berufung zum Priester entdecken und annehmen können? Kann man sich heute noch vorstellen, wie es mir kürzlich ein Priester sagte, dass ein hauptamtlicher Jugendreferent einem Jugendlichen sagt: „Du solltest bei deiner Berufungsplanung nicht ausschließen, Priester zu werden.“
Ich kann nicht umhin, einen Blick in die aktuelle kirchliche Statistik zu werfen. Die Statistik des Freiburger Zentrums für Berufungspastoral sieht erschreckend aus. Wurden 1995 noch 186 Neupriester in den Dienst der deutschen Bistümer entsandt, so waren es 6 Jahre später nur 122. Seit 1986 sinkt in Deutschland die Zahl der Priesterkandidaten beständig. Von 3123 Priesterkandidaten im Jahre 1986 sank diese Zahl auf 1880 im Jahre 2000.
Der Priestermangel ist jedoch nicht der einzige Mangel, den wir heute feststellen können. Bedrückend ist auch der Mangel an christlichen Eheleuten. Überlegen Sie einmal, wie wenig Leute heute noch kirchlich heiraten. Die kirchliche Statistik spricht eine unglaublich klare Sprache. Während die Taufzahlen nicht zurückgehen, sondern sich dem Geburtentrend anpassen, ist dies bei der Ehestatistik total anders. Der Quotient der katholisch getauften Kinder in Bezug auf die von katholischen Eltern geborenen Kinder ist seit 1975 praktisch unverändert: 78 von 100 Kindern katholischer Eltern werden heute getauft. Bei den katholischen Trauungen sieht es ganz anders aus. Im Jahre 2000 wurden 64.000 katholische Trauungen gemeldet, 44,7 % weniger als 1990 – damals waren es 120.000 katholisch-kirchliche Trauungen. Während 1960 von 100 Paaren, die standesamtlich heirateten und katholisch sich hätten trauen lassen können, noch 75 die katholische Eheschließung erbeten haben, waren es 1990 noch 47 und 1999 lediglich 34.
Als Ergebnis halte ich fest: Die Berufung zur sakramental gelebten Ehe und die Berufung zum Priestertum nehmen in gleicher Weise rapide ab. Diese Berufungen kommen offensichtlich immer weniger bei den jungen Menschen in den Blick. Ist es nicht ebenso bei der Berufung zum christlichen Politiker oder bei der Berufung, sich in Familie und Beruf vom Evangelium her und zum Evangelium hin zu engagieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus diesem Dilemma nur herauskommen, wenn wir der Formation der Christinnen und Christen, vor allem der jungen Erwachsenen, neue Aufmerksamkeit schenken und eine Berufungsinitiative auf breiter Front starten. Es braucht eine Vertiefung des Christwerdens und es braucht differenzierte Formen der Formation.
An dieser Stelle möchte ich nur aufmerksam machen, dass die Regentenkonferenz an genau diesem Thema im Blick auf die Priesterausbildung arbeitet. Die Regenten sind sich darin einig, dass das heutige Konzept der Priesterausbildung dringend überarbeitet werden muss. Folgende Akzente sind dabei in der Diskussion:
Eine qualifizierte Priesterbildung setzt lebensfähige Seminargemeinschaften voraus – wir brauchen Regionalseminare.
Wir brauchen eine propädeutische Einführung in den christlichen Glauben vor dem Studium der Theologie.
Wir brauchen ein differenziertes Seminarangebot, das Ausbildungsgänge für Abiturienten, für Kandidaten mit einem akademischen Beruf (Postgraduiertenkolleg) und eine praxisorientierte Ausbildung für Kandidaten mit abgeschlossener nichtakademischer Berufsausbildung vorsieht.
An die Stelle von Praktika soll ein kontinuierlicher Praxisbezug zu bestimmten Gemeinden ermöglicht werden.
Lassen Sie mich noch eine besonders kritische Frage stellen: Wie nimmt eigentlich heute die Gemeinde, wie nehmen die katholischen Verbände und wie nehmen katholische Politiker ihre Verantwortung für Berufungen im Volk Gottes wahr? Ich behaupte zunächst einmal: Die Gaben Gottes, auch die Gaben der Berufung zur Ehe und zum Priestertum sind in der Gemeinde da, aber sie werden nicht zur Entfaltung gebracht. Meiner Ansicht nach ist das Volk Gottes unterernährt. Reicht der Sonntagsgottesdienst – wie wir ihn heute feiern - wirklich aus, um eine normale Christin oder einen normalen Christen in Kontakt mit Gott zu bringen und mit seinem Wort und mit der Bibel? Reicht der Sonntagsgottesdienst, so wie er heute Land auf, Land ab gefeiert wird, für die Formung von Christen? Wenn wir maßnehmen an der Emmausgeschichte, dann werden wir schnell merken, dass einige wichtige Etappen dieser Geschichte heute ausfallen.
Ich sehe dabei folgende Etappen:
Die Jünger waren miteinander unterwegs.
Sie tauschen sich aus über ihre Fragen und über ihr Verhältnis zu Gott, so dass Christus der Auferstandene mitgehen kann.
Sie sind offen für seine Gegenwart, so dass er ihnen sein Wort sagen konnte.
Sie sind neu von Christi Wort durchdrungen, der ihnen die Augen öffnet, so dass sie das Evangelium tiefer verstehen und auf ihr eigenes Leben beziehen können.
Erst dann, nachdem sie das Wort verstanden haben und ihn noch einmal zu sich eingeladen haben, wird Eucharistie gefeiert.
Und dann brechen sie auf und gehen von sich aus zu den Brüdern und Schwestern nach Jerusalem.
Unsere heutige Liturgie läuft vielfach einfach ab, aber geschieht hier Wandlung? Kommt der einzelne Mensch wirklich darin vor. Kommen wir im Gottesdienst zu einem echten Miteinander und Füreinander? Erfasst uns die Eucharistie und kommt es hier zur Sendung und zum Aufbruch in die Welt, in die Politik, zu den Armen und Ausländern?
Wenn wir als Gemeinde so leben und in dieser Weise Eucharistie feiern, dann wird es unter uns Personen geben, die sich anrühren lassen und auch tatsächlich angerührt werden.
Wenn wir an diesem Punkt sind, dass Menschen angerührt sind und aufbrechen wollen, dann kann das Gespräch darüber beginnen, welche Berufung einzelne Christen haben, ob zum Diakon, ob zum pastoralen Dienst als Gemeinde- oder Pastoralreferent oder eben auch als Priester.
Vortrag zum 70. Geburtstag von Dr. Friedrich Kronenberg in Bonn-Bad Godesberg, Februar 2003