Unsere Chance: eine missionarische Kirche
Der Beitrag der christlichen Bewegungen für Kirche und Gesellschaft in Europa
Liebe Brüder und Schwestern!
herzlich danke ich für die Einladung, im Bistum Bozen-Brixen zum Thema Missionarische Kirche sprechen zu dürfen.
Aus dem Tagesspiegel, Berlin
Aus dem Rheinischen Merkur, Koblenz
Vorgeschichte: Rom 1998, München 2001
Ich möchte mit einem kleinen Erlebnis beginnen: Kürzlich fragte mich ein deutscher Journalist aus Rom am Telefon, wie ich die Situation in unserer Kirche sehe und erlebe, und kommt dann im Gespräch dazu, seinen Eindruck von den Geistlichen Gemeinschaften zu schildern. Ich darf wörtlich zitieren:
„Die Vertreter der Geistlichen Gemeinschaften strahlen etwas aus – im ganz guten Sinn. Sie leben, was sie glauben. Sie haben einen erlösteren Gesichtsausdruck als manche andere Christen. Sie vermitteln etwas, wonach sich Nietzsche sehnte, als er sagte, die Christen sollten erlöster aussehen.“
Der Journalist meinte, er lese bei Vertretern der Geistlichen Gemeinschaften ab, dass der Glaube jene Kraft schenken könne, die den Alltag erlöster leben lasse. Er habe erlebt, dass von diesen Menschen Kraft und Glaubensfreude ausgeht. Das habe ihn angesprochen und auf eine bestimmte Spur gebracht. Was dieser Journalist erfahren hat, ist fast eine Antwort auf unsere Frage: Welchen Beitrag können die Geistlichen Gemeinschaften dazu leisten, dass das Volk Gottes missionarisch wird? Ihr Beitrag ist die Hinführung zu echter Glaubensfreude und Glaubenskraft mitten im säkularisierten Leben heute in Westeuropa. Die Chance zur Glaubensweitergabe und damit zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft liegt unmittelbar im Leben der Botschaft des Evangeliums selbst.
Wenn wir als Volk Gottes die Botschaft der unbegrenzten Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus begegnet, glaubwürdig leben, ist das wie von selbst Weitergabe des Glaubens, ja Mission.
Was ist das Neue an den Geistlichen Gemeinschaften?
Kein Geringerer als Johannes Paul II. hat sich im Anschluss an die Theologie von Hans Urs von Balthasar um eine Theologie der Geistlichen Gemeinschaften bemüht. Balthasar unterscheidet zwei Prinzipien in der Kirche, die sich gegenseitig ergänzen: das marianische und das petrinische. Petrus steht für das petrinische Profil. Dieses bezeichnet das Amt in der Kirche, das Petrus- und Bischofsamt und das Priesteramt, und damit all die Sakramente und sakramentalen Zeichen, die die Kirche als Institution ausmachen. Von Maria leitet das marianische oder auch charismatische Profil her. Dieses bezeichnet das Glauben, die Nachfolge Christi, das Streben nach Heiligkeit – alles, was mit Glauben, Hoffen und Lieben zu tun hat. Es ist evident: Beide Prinzipien gehören gleich unmittelbar zur Kirche und sind aufeinander verwiesen.
Der Papst sieht in den Geistlichen Gemeinschaften (in päpstlichen Dokumenten heißen diese seit einiger Zeit Kirchliche Gemeinschaften), die der Kirche heute geschenkt sind, das marianische Profil der Kirche verwirklicht. Diese sind für ihn eine echte existentielle Bereicherung und Ergänzung der petrinisch verfassten Kirche. Genau darauf spielte Johannes Paul II. in seiner Rede am Vorabend des Pfingstfestes 1998 auf dem Petersplatz an:
„Das war die unvergessliche Erfahrung des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils, in dessen Verlauf die Kirche – unter der Führung des Geistes – die charismatische Dimension als wesentliches Element ihrer selbst wieder entdeckt hat: Das Institutionelle und das Charismatische sind für die Konstitution der Kirche gleichermaßen wesentlich und sie tragen beide – wenn auch auf verschiedene Weise – zu ihrem Leben, ihrer Erneuerung und der Heiligung des Gottesvolkes bei." (1)
"Und hier sind sie, die Bewegungen und die neuen kirchlichen Gemeinschaften: Sie sind die vom Heiligen Geist bewirkte Antwort auf diese dramatische Herausforderung gegen Ende des Jahrtausends. Ihr seid diese Antwort der Vorsehung.“ (2)
Der Papst war schon länger auf dieser Spur. Im Jahr 1987 hat Johannes Paul II. eine weithin beachtete Rede an die römische Kurie gehalten. Er sprach vom Platz Mariens in der Kirche. Bei dieser Gelegenheit vollzog der Papst meines Erachtens so etwas wie eine kopernikanische Wende, weil er an die erste Stelle der Kirche nicht das Amt stellte, sondern die Liebe. Auch hier unterschied er zwischen dem Charisma von Maria und dem Charisma des Petrus.
Wörtlich sagte der Papst:
Die Kirche lebt von diesem authentischen marianischen Profil, von dieser marianischen Dimension. Dieses marianische Profil ist mindestens ebenso, wenn nicht noch fundamentaler und charakteristischer für die Kirche wie das petrinische Profil, dem jenes marianische zutiefst verbunden ist. Die Verbindung zwischen diesen beiden Profilen der Kirche, dem marianischen und dem petrinischen, ist eng, tief und komplementär, wenn auch das erste, das marianische dem petrinischen voraus geht, sowohl im Heilsplan als auch in der Realität der Zeit.
Das Marianische und Petrinische dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es handelt sich um unterschiedliche Akzente der Kirche, die zusammen gehören. Sie haben einen gemeinsamen Ursprung, wie Chiara Lubich präzise beschreibt:
„Die erste Ausgießung des Heiligen Geistes ist jene des gekreuzigten Jesus auf Maria und Johannes zu Füßen des Kreuzes. Dort entsteht die marianische Kirche, die Kirche der Liebe. Aber auch die institutionelle Kirche hat ihren Ursprung gerade in dieser Liebe des marianischen Prinzips. Darum fragt Jesus den Petrus: 'Liebst du mich?' (Joh 20,10). Ja, die Kirche als Ganze ist gegründet auf der Liebe.“
Die Geistlichen Gemeinschaften gehören zum marianischen Profil der Kirche. Sie helfen, dass das Hören auf das Wort Gottes und das Umsetzen des Evangeliums zum Heil der Menschen auch heute ganz konkret in der Gesellschaft geschieht.
An dieser Stelle sei angefügt, dass zum marianischen Profil auch die Ordensgemeinschaften gehören und die Ordensgründer, wie z. B. Franziskus, Klara, Ignatius, Teresa von Avila, Vinzenz von Paul, Mutter Teresa von Kalkutta u. a. Es fällt auf, dass die Päpste durch alle Jahrhunderte die Ordensgründer und deren Charismen gefördert und anerkannt haben. Hier liegt meines Erachtens auch eine wichtige Spur, wenn es uns heute um eine misisonarische Kirche geht.
Die aus der charismatischen Gemeindeerneuerung stammende Gemeinschaft Emmanuel hat eine besondere Kraft entwickelt, durch Gebet, öffentliches Zeugnis und durch paarweise durchgeführte Hausbesuche Menschen, die lange nichts mehr von der Kirche gehört hatten, für das Evangelium zu begeistern. Besonderes Aufsehen erregte im Jahr 2004 die Stadtmission in Wien, die demnächst in Lissabon, Madrid, Paris und Brüssel fortgesetzt werden soll. Unter der Schirmherrschaft von Kardinal Schönborn von Wien haben sich über 200 Mitglieder und Freunde der Gemeinschaft Emmanuel 14 Tage für die Stadtmission zur Verfügung gestellt. Sie ließen sich schulen und haben vor allem durch das gemeinsame Gebet jene Kraft von oben erfleht, die es ihnen möglich machte, sowohl Jugendliche als auch Erwachsene in breitem Umfang öffentlich anzusprechen. Ein großes Jugendfestival vor dem Stefansdom brachte 10.000 junge Leute zusammen und zu der sich anschließenden Gebetsnacht im Stefansdom kamen 1000 Jugendliche. Firmenchefs großer Kaufhäuser stellten ganze Etagen zur Verfügung, um während des „Kaufrausches“ auf bestimmten Plattformen Musik und Zeugnis abwechseln zu lassen. Die ganze Stadt Wien ist wachgerüttelt worden durch die Besuche von Haus zu Haus, bei denen Helfer aus den Gemeinden Unterstützung gaben.
Die Gemeinschaften von Jerusalem tun genau das Gegenteil. Auch sie stammen aus der charismatischen Gemeindeerneuerung, gehen jedoch nicht auf die Straße, sondern bieten ihre tägliche untereinander abgestimmte Präsenz in ihren Kirchen an. Männer und Frauen, Priester und Laien, Berufstätige und Freigestellte stellen sich stundenweise in ihren Kirchen Menschen zur Verfügung, die mit Fragen kommen und eben auch durch die besondere geistliche Musik angezogen werden. Während die Gemeinschaft Emmanuel eine starke zentrifugale Missionsmethode entwickelt hat, haben die Jerusalem-Gemeinschaften eher eine zentripetale Richtung.
In der Nähe von Berlin ist das Gut Neuhof. Dort leben zur Zeit 28 drogenabhängige Männer, die sich auf den Weg gemacht haben, um von ihrer Sucht los zu kommen. Begleitet werden sie von Franziskanerinnen des Klosters Sießen und von Priestern und Laien, die im Kontakt mit der Fokolar-Bewegung gelernt haben, mit Jesus in der Mitte zu leben. Der entscheidende Punkt, der dazu führt, die Drogen überwinden zu können und die Sucht in sich selbst zu besiegen, besteht darin, im Kontakt mit dem Evangelium konkret zu lernen, den Nächsten zu lieben, wie Jesus es vorschlägt. Wer sich sozusagen selbst überwindet, wer von sich selbst absehen kann und ganz für den andern lebt, lernt fast automatisch seine Sucht zu überwinden. Natürlich braucht es in solchen Zeiten klare Vorschriften und Techniken (wie Entgiftung) oder Regeln wie Handy-Verbot und Rauchverbot und geschlechtliche Enthaltsamkeit für die Dauer des meist einjährigen Aufenthalts. Die tägliche Meditation und das selber verdiente Brot sind ebenso wichtig.
Eine Jugendgruppe aus dem Bistum Münster, die kürzlich dort war, berichtete, dass sie zutiefst erstaunt waren, wie diese 28 Männer morgens um sechs Uhr aufstanden, um halb sieben zu einer Meditation zusammen kamen und das Tagesevangelium lasen und dann miteinander überlegten, wie sie das Evangelium an diesem Tag konkret leben konnten. Danach frühstückten sie und jeder ging an seine Arbeit. Abends in der Austauschrunde berichteten sie, was aus den vormittäglichen Vorsätzen geworden war. Die Erinnerung an das Wort Gottes beeinflusste sie nicht nur beispielgebend, sondern sie erfuhren durch das Leben mit dem Wort Gottes gerade im Alltag die Gegenwart Gottes, die ihnen gerade hier neue Kraft gab.
Die Zusammenarbeit von mehreren Charismen, in Gut Neuhof das ältere franziskanische Charisma und die Spiritualität des Fokolars, hat hier besondere Früchte gebracht.
Zeugnis einzelner Christen: eine über 60-jährige Apothekenleiterin hat mir ihren Mitarbeiterinnen, die Großteils keiner Kirche angehören, ein solches Betriebsklima entwickelt, dass die Apotheke mitten in der säkularisierten Stadt fast wie eine Pastoralstation wirkt. Die Mitarbeiter haben gelernt, sich ganz auf den Kunden, beziehungsweise auf den Menschen im Kunden einzustellen, und alles für ihn zu tun. Im Verkaufsraum herrscht Offenheit für wesentliche Sinnfragen. Es kommt immer wieder vor, dass Kunden die Apothekerin bitten, einen Kontakt zum katholischen oder evangelischen Pfarrer herzustellen. Den Glauben mitten im Alltag leben, öffnet Tore.
Im Folgenden möchte ich einige Impulse erarbeiten, die im Blick auf die Geistlichen Gemeinschaften ein neues missionarisches Tun in unseren Gemeinden freisetzen.
Erster Impuls: Sich so versammeln, dass Jesus der Auferstandene anwesend wird
Kirchen - kyriaké – bedeutet Versammlung im Namen Jesu Christi. Wo sich Christen und Christinnen im Namen Jesu versammeln, ist der Auferstandenen in ihrer Mitte. Seine Gegenwart ist die Kraft der Christen. Geistliche Gemeinschaften haben diesen Akzent ganz besonders entdeckt, entwickelt und pflegen ihn.
Darum beginnt die Gemeinschaft Emmanuel jede größere Aktivität mit dem Lobpreisgebet. Die Fokolare sehen in der konkreten Einheit und Liebe an diesem Tag und in dieser Gruppe den Grund für die Gegenwart Christi und sprechen sich immer neu darauf an; oft stellen sie sich bei Treffen an die Seite, um den Herrn gemeinsam um seine Gegenwart zu bitten. Bischof Hemmerle hat auch als Bischof gern ein bestimmtes Zeichen mit dem Daumen gemacht, um sich dieser Gegenwart zu versichern.
Im Hintergrund steht: Die Sendung Jesu hat mit seinem Tod am Kreuz nicht aufgehört. Im Gegenteil: Sie hat eine radikal neue, wesentliche Form bekommen, nämlich durch seine Auferstehung. Denn der Auferstandene lebt überall dort, wo sich die an Ihn Glaubenden und die durch Ihn Erlösten versammeln. Immer wieder berichten die Osterevangelien davon, dass Jesus in die Mitte seiner Jünger trat und sie ansprach. Auch dort, wo die Kirche heute die Sendung Jesu weiterführt, kann sie es nur so tun, dass sie sich in Seinem Namen versammelt, damit Er in ihrer Mitte ist. Das unterstreicht das schöne Wort von Mt 18,20: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte.“
Dieses sich Versammeln im Namen Jesu ist ein zentrales Thema heutiger Geistlicher Gemeinschaften. Bei ihnen hat sich eine Entdeckung ereignet, nämlich die Entdeckung der Gegenwart Jesu dort, wo das Wort gelebt wird, wo einer bereit ist für den andern das Leben zu geben, wo sich jene Einheit ereignet, die in Joh 17 beschrieben ist. Hier wird die Kirche verstanden als ein Gefäß, das von sich aus leer ist, aber mit Christus „angefüllt“ wird.
Daraus ergibt sich: Alles Leben der Kirche richtet sich auf diese Präsenz Jesu. Alles, was diese Präsenz Jesu hindert, muss vermieden werden, alles, was die Präsenz Jesu fördert, hat absolute Priorität. So kommt es, dass der auferstandene Jesus selbst sich zu erkennen gibt, dass Er die Menschen anspricht und anzieht und eine Ausstrahlung bewirkt, die auch heute viele Menschen anzieht.
Dann wird der auferstandene Jesus selbst zum eigentlichen Missionar, der die Botschaft der Liebe Gottes vermittelt.
Zweiter Impuls: Unter die Menschen gehen als Bruder oder Schwester für sie
Nach dem bisher Gesagten ist es eine Kirche oder eine Gruppe von Christen, die den Apostel schlechthin, nämlich Jesus den Auferstandenen in ihrer Mitte hat. Eine solche Kirche mit dem Auferstandenen in ihrer Mitte begibt sich unter die Menschen und bemüht sich, allen Bruder und Schwester zu werden. Die Botschaft Jesu drängt dazu, eine Geschwisterlichkeit zu leben, die praktisch universal ist und vor niemandem Halt macht.
Eine missionarische Kirche ist also eine diakonische Kirche, eine diakonische Gemeinde, die mit den Augen Jesu auf die Menschen schaut und entdeckt, wer in Not oder hilfsbedürftig ist, aber auch wer Talente und Gaben hat, die er zum Wohl des Ganzen einbringen kann.
In diese Richtung zielen die ersten Sätze der berühmten Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Gaudium et Spes“ ab:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Rech des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.“ (3)
Der Mut auf den Nächsten zuzugehen, besonders auf die Armen und Bedrängten, oft auch unterfüttert durch eine materielle Gütergemeinschaft innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft, kann von den Geistlichen Gemeinschaften her neu in unsere Gemeinden vermittelt werden.
Damit ergibt sich: Eine diakonische Kirche wirkt missionarisch und führt zu einer universalen Geschwisterlichkeit!
Dritter Impuls: In den Geistlichen Gemeinschaften neue praktische Wege zur Evangelisierung sehen
Hier erinnere ich mich gerne an ein Gespräch mit Erzbischof Rylko anlässlich der diesjährigen Libori-Woche in Paderborn. Erzbischof Rylko ist der Präsident des Päpstlichen Laienrates in Rom. Er fragte mich nach den Geistlichen Gemeinschaften in Deutschland und ihrem Einfluss in der Kirche. Er hob zunächst eine persönliche Beobachtung hervor, dass nämlich die Geistlichen Gemeinschaften ganz unterschiedliche Methoden entwickelt hätten, um das Evangelium neu auf den Punkt zu bringen und es den Zeitgenossen zu erschließen. Die Geistlichen Gemeinschaften neueren Datums hätten praktisch mit ihrem Charisma Missionsmethoden empfangen, die es für die Kirche zu nutzen gälte. Warum also nach neuen Methoden der Glaubensverkündigung suchen, so sagte er, wenn der Heilige Geist diese Methoden längst geschenkt hat?
Sant'Egidio hat ganz spontan angefangen, sich um Arme zu kümmern und das gemeinsame Gebet zu pflegen. Ihre Methode sind – wenn man so sagen will – die Freundschaft mit den Armen und das Gebet. Jedes Mitglied dieser Gemeinschaft kümmert sich um einen konkreten Armen und kommt jeden Tag zum Abendgebet.
Ähnlich ist es in der Arche. Hier leben Menschen im Vollbesitz ihrer Kräfte mit Menschen in bewusster Lebensgemeinschaft, die behindert sind und nicht so viele Talente empfangen haben. Das Miteinander von Behinderten und Nicht-Behinderten strahlt unmittelbar aus.
Der neukatechumenale Weg hat entdeckt, dass der Glaube nicht einfach vom Himmel fällt. Hier wurde eine konsequente Katechese im Rückgriff auf bestimmte Ansätze der frühchristlichen Gemeinden entwickelt, um mit einer klaren Systematik Menschen zu helfen, sich dem Glauben und damit Jesus Christus zu nähern, um sich schließlich und endgültig an Ihn zu binden. Hier wird Glaube nicht verharmlost, sondern wird zu einer ernsthaften Auseinandersetzung und Bindung. Darum dauert die Grundkatechese für Erwachsene bei ihnen drei Jahre.
Ähnlich ist es beim Cursillo. Er hat einen Glaubenskurs entwickelt, der ganz „normale“ Menschen mit dem Evangelium und mit Gott in Berührung bringt. Deren erster Kurs dauert nur vier Tage – mit oft lebenslänglicher Wirkung.
Die Schönstatt-Gemeinschaft hat von ihrem Charisma her verstanden, dass es nicht ausreichend ist, durch Worte zu evangelisieren, sondern dass es auf eine tiefe innere Veränderung der Person ankommt, und dass eine vom Evangelium her geprägte und entwickelte Erziehungsarbeit zu leisten ist. Wenn der Einzelne oder wenn Gruppen Werkzeuge der Verkündigung werden sollen, müssen sie selbst ganze Menschen und ganze Christen sein und auch als Gruppe vom Evangelium durchtränkt sein. Es braucht mehr als den guten Willen, es braucht vom Evangelium geprägte und geformte Personen.
Die GCL bietet ihrerseits einen geistlichen Weg an, der aus dem Charisma des hl. Ignatius den Menschen zu einer tiefen über Jahre erprobten Entscheidung und Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus führt.
Fazit: Ich habe hier Schlaglichter auf einzelne Gemeinschaften geworfen, die anzeigen, dass die Geistlichen Gemeinschaften neueren Datums tatsächlich auf dem Gebiet einer missionarischen Seelsorge etwas anzubieten haben.
Die Situation der Kirche und der Gesellschaft in Deutschland ist ein Schrei nach neuer Aussaat des Evangeliums. Die Frage ist hochaktuell: Wie kann das Volk Gottes missionarisch werden?
Die bisherige Glaubensweitergabe über die Familie und über die Gemeinde und den Religionsunterricht „funktioniert“ nicht mehr. Ich selbst habe noch erlebt, dass ich durch meine Familie konkret in den Glauben und in die Kirche hinein gewachsen bin. Vater, Mutter und meine vier Geschwister gingen selbstverständlich zur Kirche. Auch haben meine Eltern sehr deutlich und klar mit mir über den Glauben gesprochen. Was ich in der Familie sozusagen mit der Muttermilch eingesogen haben, setzte sich dann in der Schule und in der Gemeinde fort. Aber in der nächsten Generation meiner Familie haben fast alle jungen Leute den Bezug zur Kirche praktisch aufgegeben.
Die Familie erweist sich zunehmend als nicht ausreichend für die Glaubensweitergabe, wenn sie nicht Unterstützung findet in Familienkreisen oder Familiengruppen. Auch dann bleibt es schwierig, weil es so viele Miterzieher gibt.
Wenn wir heute unsere Gemeinden betrachten, müssen wir feststellen, dass die normalen Strukturen einfach nicht greifen. Der Gottesdienstbesuch schwindet, auch die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Gemeinde und zur Übernahme von Aufgaben sinkt deutlich. Wenn Papst und Bischöfe heute das Wort ergreifen und verkündigen, wird es bestenfalls wohlwollend angehört, aber es hat keine praktische Auswirkung auf das Leben der Menschen. Damit wird deutlich: die bisherigen Strukturen von Kirche und Gemeinde sind zwar gut, aber sie greifen nicht.
Darum ist es für die Kirche heute lebensnotwendig, die hilfreichen Impulse aus den Geistlichen Gemeinschaften aufzunehmen.
Es braucht eine neue Einheit zwischen den Gemeinden und den Geistlichen Gemeinschaften. Nur mit einer vertieften Einheit im Inneren kann das Volk Gottes aus sich herausgehen und den Menschen die Botschaft des Evangeliums bringen.
Das kirchliche Leben in einer Stadt oder Region muss im Sinn des petrinischen und marianischen Profils neu zusammenfinden. Die Geistlichen Gemeinschaften müssen auf die Gemeinden mit ihren je eigenen Gaben zugehen, ohne die Gemeinden zu erdrücken. Die Gemeinden ihrerseits müssen sich öffnen für die neuen Charismen und sie willkommen heißen. Dann kann eine neue Aussaat des Evangeliums sich auch bei uns ereignen.
Das Schreiben der deutschen Bischofskonferenz „Zeit der Aussaat“ deckt diesen Sachverhalt auf und will Mut machen, unsere deutschen Zeitgenossen einzuladen, mit uns das Evangelium zu leben. Diese Schrift läutet tatsächlich eine neue Zeit ein. Da können die Geistlichen Gemeinschaften helfen, weil sie Gaben mitbringen, die dem Volk Gottes insgesamt helfen können, heute missionarisches Volk Gottes zu werden.
Was können wir heute hier konkret tun?
Wir können in uns selbst und in den Gemeinden eine missionarische Grundhaltung fördern.
Den anderen Menschen neu sehen, gleichsam die göttliche Spur im anderen entdecken
Wir müssen immer mehr üben, den Menschen mit den Augen Gottes zu betrachten, auch die jungen Menschen von heute: die guten Seiten des anderen sehen, seine Talente, seine Sehnsüchte, sein Herz; darüber sollten wir uns austauschen. Genau dies muss heute in den Vordergrund treten.
Untereinander Glaubenserfahrungen austauschen
Es geht darum zu lernen, die eigene Geschichte mit dem Evangelium wahrzunehmen und sie auch anderen mitteilen zu können.
Sich an bestimmten Heiligen zu orientieren
Es könnte interessant sein, wenn Christen sich mitteilen, welche Heilige dem einzelnen besonders viel bedeuten und was er von ihnen lernt.
Mich selbst faszinieren Gestalten wie Marta und Maria von Betanien oder die Lydia von Philippi. Sie haben mit ihrem Haus durch Gastfreundschaft „evangelisiert, indem sie Jesus aufgenommen haben oder – wie Lydia – den Paulus. Durch die konkrete Begegnung konnten die Angestellten der Lydia beispielsweise in Paulus ganz unmittelbar das Evangelium und seine Schönheit erkennen. Durch den Kontakt in der Gastfreundschaft erschloss sich auch den übrigen Bewohnern des Hauses die Größe und Freiheit des Evangeliums.
Mich fasziniert, daß die Gemeinschaft Emmanuel Leute mobilisieren kann. Für die Stadtmission in Wien haben sich etwa 200 Mitglieder aus Europa unbezahlten Urlaub genommen, um als Freiwillige diese Aktion konkret zu unterstützen.
Ähnliches vermag auch die Gemeinschaft Sant`Egidio. Nur so war es möglich, in Angola und an anderen Brennpunkten Frieden zu stiften. Das Beeindruckende ist, das dies normale Leute sind, die aber einen solchen Stand im Glauben gefunden haben, daß sie auch ihren Urlaub dran geben.
In der Fokolar-Bewegung hat Chiara Lubich den Anstoß zu einem Projekt gegeben, das sich „Wirtschaft in Gemeinschaft – economia di communione“ nennt. Es handelt sich um ein Projekt, das inzwischen weltweit von über 500 Firmen unterschiedlicher Größe praktiziert wird und über das inzwischen schon über 200 wissenschaftliche Arbeiten angefertigt wurden.
„Wirtschaft in Gemeinschaft“ ist ein wichtiger Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt. Die beteiligten Firmen versuchen, die Bedürfnisse und Wünsche des Menschen und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Sie streben sie an, aus ihrer ökonomischen Aktivität einen Ort der Begegnung im tiefsten Sinn des Wortes zu machen, einen Ort der Gemeinschaft: zwischen dem, der die Mittel und ökonomischen Möglichkeiten hat und dem, der sie nicht hat. einbezogen sind.
Diese Firmen engagieren sich dafür,
intern gegenüber den Konsumenten, Unternehmern und Konkurrenten Beziehungen der gegenseitigen Offenheit und des Vertrauens zu entwickeln, immer mit dem Blick auf das Gemeinwohl,
eine Kultur des Gebens, des Friedens und der Legalität zu leben und auszubreiten mit einer großen Aufmerksamkeit für das entsprechende Ambiente innerhalb und außerhalb des Betriebes,
einen Teil des Gewinnes einzusetzen für Firmen in schwierigen ökonomischen Verhältnissen in anderen Kontinenten.
In der Katholischen Integrierten Gemeinde leben Familien, Priester und Ehelose in Hausgemeinschaften zusammen, den Integrationshäusern. Bei ihnen sind auch Familien bereit, aus missiionarischen Gründen umzuziehen, etwa um ein Internat oder ein Gymnasium der Gemeinde zu unterstützen oder um gar in Afrika/Tanzania sich für den Aufbau neuer Gemeinden eines Bistums oder in Israel mit einem Kibbuz einen umfassenden Dialog des Lebens und der Theologie des Volkes Gottes zu beginnen.
In all dem zeigt sich ein neuer Geist, der dem Evangelium unmittelbar entspringt und eine große Fruchtbarkeit mit sich bringt. Aus dem Kontakt mit den Geistlichen Gemeinschaften und auf Grund der dort gelebten Spiritualität konnte Johannes Paul II. zu Beginn des neuen Jahrtausends in TERTIO MILLENNIO INEUNTE dazu auffordern, aus der Kirche ein Haus und eine Schule der Gemeinschaft zu machen. Er verweist darauf, dass das kirchliche Leben erstarren kann und dass sogar frommes Tun mechanisch werden kann wie bei einem seelenlosen Apparat. Das Kennzeichen einer lebendigen Kirche, so der Papst, ist die gelebte Gemeinschaft. Diese ist der wichtigste Beitrag zur Erneuerung unserer immer anonymer werdenden Gesellschaft. Darum ruft der Papst, ziemlich provokatorisch, dazu auf, nicht nur Gemeinschaft im kleinen Kreis zu leben, sondern die Kirche als ganze zu einem Haus und damit zu einer Schule der Gemeinschaft zu machen:
„Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft zu machen, darin liegt die große Herausforderung, die in dem beginnenden Jahrtausend vor uns steht, wenn wir dem Plan Gottes treu sein und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen.“
Abschließend stellt der Papst fest und faßt zusammen:
„Machen wir uns keine Illusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, dass diese ausdrücken und wachsen kann.“ (4)
Wenn wir die vielen unterschiedlichen neueren Geistlichen Gemeinschaften betrachten, seien sie klein oder groß, national oder international organisiert, dann sehen wir, dass bei ihnen das gemeinschaftliche Element neu entdeckt und buchstabiert wird. Wie von selbst bilden sich kleine Zellen, in denen genau das passiert, was dem Papst ein Herzensanliegen ist.
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(1) Zitiert nach: Peter Wolf (Hrsg.), Lebensaufbrüche – Geistliche Bewegungen in Deutschland, Vallendar 2000, Seite 19-20
(2) a.a.O., Seite 57-58
(3) Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“, Art. 1
(4) Vgl. Novo Millennio Ineunte, Kap. 43
Referat beim Begegnungstag für Priester, Ordensfrauen und –männer, ständige Diakone und Seminaristen im Patoralzentrum Bozen, November 2004