Missionarische Seelsorge im Offizialatsbezirk Oldenburg
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die im Jahr 2004 erarbeitete Vision für die Pastoral im Offizialatsbezirk Oldenburg:
In dieser Konferenz möchte ich mit Ihnen die Vision auf Ihre Inhalte bedenken und Impulse entwickeln für eine missionarische lebendige Kirche in dieser Region.
Es ist wichtig, dass wir uns über den Begriff Mission verständigen, von dem ja das „Missionarische“ abgeleitet wird. Mission ist heute etwas in Verruf gekommen und wird leicht mit Indoktrination und Vereinnahmung gleichgesetzt. Vom Evangelium her gesehen kann Mission „nur“ ein Angebot sein und sich in der Liebe zum Nächsten und zu dessen Kultur im Dialog vollziehen, wo beide Seiten geben und beide Seiten empfangen. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine missionarische Gemeinde auch eine lernende Gemeinde, weil sie sich ganz neu einlässt auf die Kultur und die Lebensumstände der Menschen, unter denen diese Gemeinde lebt. In diesem Zusammenhang ist die Definition interessant, die im neusten Lexikon für Theologie und Kirche angeboten wird:
Die Kirche ist seit ihren Anfängen und von ihrem Wesen her zu allen Menschen gesandt. Sie hat ihren tiefsten Punkt im Geheimnis der Göttlichen Trinität, die sich in der Sendung des Sohnes durch den Vater und des Heiligen Geistes bekundet. Sie ist im umfassenden Sinn Beteiligung an der in dieser Sendung gründenden universalen Heilsgemeinschaft durch die Verkündigung (Evangelisation) und durch die sakramentale Eingliederung in die Kirche (Taufe).(...) Am Vollzug der Sendung sind alle Teile der Kirche in ihren unterschiedlichsten kulturellen und gesellschaftlichen Situationen weltweit beteiligt.
Mission ist in ihrem Vollzug Grenzüberschreitung. Sie richtet sich an Menschen und Gemeinschaften mit ihren ihr eigenen religiösen Traditionen und Besonderheiten.
Mission ist Epiphanie und Erfüllung des Planes Gottes mit der Welt. (II. Vatikanisches Konzil)
Und etwas später heißt es dann daselbst:
Mission ist bewusstseinserweiternde Evangelisation, die die Menschen in die Lage versetzt, ihre individuelle und gesellschaftliche Wirklichkeit ihm Horizont der Herrschaft Gottes zu deuten und zu gestalten.
In einem beeindruckenden Schreiben „Das missionarische Gesicht der Pfarreien“ (1) haben die italienischen Bischöfe darauf hingewiesen, dass eine Pfarrei heute alle Menschen in den Blick nehmen muss, die auf dem Boden der Pfarrgemeinde leben.- Sie verweisen auf das Gleichnis Jesu über den Hirten, der das verirrte Schaf in der Wüste sucht (vgl. Mt 18,12). Dieses Gleichnis bekomme heute neue Aktualität. Dem Pfarrer und dem Pfarrgemeinderat sind nicht nur die Kirchennahen sondern auch die „Fernen“, die Verirrten, ja auch die Ausgetretenen anvertraut. Der Gemeinde ist die Bewahrung und die Erweiterung der Herde aufgegeben, damit das Evangelium zu allen kommen kann. Darum müsse der Arbeitsauftrag für die Pfarrer und deren Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen in der Pfarrei neu geordnet werden, um diesen Perspektivwechsel möglich werden zu lassen.
Interessant ist für mich in diesem Zusammenhang die Predigt von Benedikt XVI. am Tag seiner Einführung. Es war in jeder Hinsicht eine missionarische Predigt, in der er mit Verweis auf das Gleichnis vom verlorenem Schaf, in dem er sich selbst übrigens wiedererkannte, die Wüstenerfahrung der heutigen Generation und die Notwendigkeit einer missionarischen Verkündigung ansprach:
Ausgehend vom Pallium stellte er fest (Übersetzung von KNA):
Aber die Symbolik des Palliums ist konkreter: Aus der Wolle von Lämmern gewoben will es das verirrte Lamm oder auch das kranke und schwache Lamm darstellen, das der Hirt auf seine Schultern nimmt und zu den Wassern des Lebens trägt. Das Gleichnis vom verlorenen Schaf, dem der Hirte in die Wüste nachgeht, war für die Kirchenväter ein Bild für das Geheimnis Christi und der Kirche. Die Menschheit, wir alle, sind das verlorene Schaf, das in der Wüste keinen Weg mehr findet. Den Sohn Gottes leidet es nicht im Himmel; er kann den Menschen nicht in solcher Not stehen lassen. Er steht selber auf, verlässt des Himmels Herrlichkeit, um das Schaf zu finden und geht ihm nach bis zum Kreuz. Er lädt es auf die Schulter, er trägt unser Menschsein, er trägt uns – er ist der wahre Hirt, der für das Schaf sein eigenes Leben gibt. Das Pallium sagt uns zuallererst, dass wir alle von Christus getragen werden. Aber er fordert uns zugleich auf, einander zu tragen.
Die ersten Worte unserer Vision ist sehr steil: „Wir sind Kirche“.
Hier müssen wir bedenken, dass wir heute „Kirche“ nicht einfach voraussetzen können. Wir haben zwar viele Gemeinden (noch), aber viele dieser Gemeinden verdunsten, veröden und werden teilweise Leer-Räume. Dies sieht man an der abnehmenden Zahl von Gottesdienstbesuchern, von Trauungszahlen und Priester- und Ordensberufen.
Vor 20 Jahren (1984) wurden im Offizialatsbezirk Oldenburg 2917 Kinder getauft. Im Jahre 2003 waren es 2763 Kinder. Vor 20 Jahren gaben sich 1389 Paar das Ja-Wort in der sakramentalen Ehe, im Jahre 2003 waren es 608. Vor 20 Jahren gingen 40,34 % der Katholiken zum Sonntagsgottesdienst, im Jahre 2003 waren es im Oldenburger Land 19,67 %.
Im Hintergrund steht eine weit verbreitete, vor allen Dingen in Westeuropa spürbare, Glaubenskrise, so dass vielen Menschen Gott entschwindet, der Glaube nicht mehr konkret gelebt werden kann und viele auch nicht mehr sagen können, wer Jesus Christus für sie ist.
Angesichts dieser Situation ist es eine ganz zentrale Aufgabe, Kirche neu zu gründen. Und zwar sozusagen in jeder neuen Generation. Darum muss zunächst unser Kirche-Sein zum TÜV, auf den Prüfstand! Es stellen sich dabei folgende kritische Fragen:
- Sind unsere Gemeinden heute wirklich Kirche und wollen sie missionarische Kirche sein?
- Sind unsere Gemeinden Orte neuen Lebens mit dem lebendigen Jesus in ihrer Mitte?
Mit anderen Worten gesagt: Wie erleben Jugendliche unsere Gemeinden? Was nehmen Jugendliche bei unseren Gottesdiensten wahr? Erleben sie das Engagement der Gemeinde für Arme, Asylbewerber, Arbeitslose, Kranke?
Vieles wird nicht sichtbar sein. Manches wird auch fehlen. Ein Jugendlicher fragte neulich, als er zum ersten Mal einen katholischen Gottesdienst erlebte: „Warum gehen die alle nach vorne?“ Er verstand einfach den Kommuniongang nicht.
Manche unserer „guten Werke“ existieren neben der Gemeinde und erscheinen gar nicht als Ausdruck der Gemeinde. Dies gilt manchmal sogar auch für die Kindergärten, noch mehr für die Krankenhäuser und viele Einrichtungen der Caritas.
Darum stellt sich die ganz zentralen Fragen:
- Was ist Kirche?
- Was ist missionarische Kirche?
- Wollen wir missionarische Kirche leben?
- Und: Wie kommen wir dahin?
Der Begriff Kirche hat bis in die Wortgestalt hinein mit Jesus Christus zu tun. Im Hintergrund steht das griechische Wort „kyrios“. Das Wort Kirche ist von kyrios abgeleitet und hieß ursprüngliche im griechischen „kyriake“. Kyriake bezeichnet eine Gemeinschaft oder auch eine Versammlung, die auf den kyrios Jesus Christus bezogen ist.
Noch etwas zum Begriff des kyrios im Alten und Neuen Testament. Bei der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische, dies geschah etwa um das Jahr 100 vor Christus in Alexandrien, standen die Übersetzer vor der Frage, wie sie den Gottesnamen „Jahwe“ übersetzen sollten. Als Juden sprachen sie ja diesen Namen nicht aus und sagten statt dessen „Adonai“, was wir heute mit „HERR“ übersetzen. In Alexandrien setzte man dann tatsächlich in der Schrift, wo Jahwe stand, den Namen „kyrios“ ein, was auf Deutsch „HERR“ bedeutet. kyrios meint also zunächst Gott, der sich im Alten Testament dem Volk Israel, angefangen bei Moses, offenbart hat. Im Neuen Testament finden wir in den Osterberichten die Tatsache, dass Jesus mit dem Namen kyrios/HERR angesprochen wird - ein Hinweis darauf, dass die Gemeinde verstanden hat, dass Jesus von Jahwe kommt und Gottes Sohn ist. Viele Osterberichte enthalten Sätze wie: Es ist der Herr – mein Herr und mein Gott – Herr Jesus - ! (Vgl Joh 21, 7; Joh 20, 28; Apg 7, 59-60).
Ganz beeindruckend die Begegnung der Jünger in Galiläa auf dem See, wo Jesus am Ufer steht und Johannes zu Petrus sagt: „Es ist der Herr“ (Joh 21, 6). Als die Jünger erfahren, dass der Herr am Ufer steht, springt Petrus ins Meer und die anderen folgen ihm mit dem Boot. Auf einmal wird Jesus die Mitte dieser kleinen Gruppe. Dieser Weg Jesu vom Rand in die Mitte kennzeichnet meiner Ansicht nach das Kirche-Sein. Kirche ist eine Gruppe von Menschen, in deren Mitte der Auferstandene Christus lebt, es sind Menschen, die diesen Christus erkannt haben und sich auf Ihn beziehen wollen. Es sind Menschen, die begriffen haben, dass Jesus für sie gestorben und auferstanden ist. Wer Jesus sozusagen annimmt als seinen Erlöser und Herrn – Jesus herrscht also nicht, sondern er dient und ist unten – wer diesen unten seienden Jesus als Herrn annimmt, der ist auf diesen Herrn bezogen und wenn dies mehrere gemeinsam tun, dann sind sie auf diesen Herrn bezogen und werden Kyriake, Kirche.
Kirche ist also gelebte Beziehung
zu Jesus Christus,
zu seiner Person,
zu seinem Wort,
zu seinem Tod
und zu seiner Auferstehung.
Wo diese lebendige Beziehung zu Jesus Christus gelebt wird, passiert etwas, da empfängt der Glaubende und die Gemeinde den Geist Jesu. In diesem Geist kann sie rufen: Abba, Vater (Gal 4, 6) und tritt damit in die Grundorientierung Jesu zum Vater ein. . Und in diesem Geist findet sie eine ganz neue Freiheit und Beziehung zum Bruder und zur Schwester in der Gemeinde.
Wo die Kirche in diesem Sinn sich konstituiert hat, dass Menschen ganz auf Jesus Christus bezogen sind und auf ihn hin leben, sozusagen sich an ihm verlässlich orientieren und wo die Menschen den Geist Jesu empfangen, da erleben diese Menschen eine neue Freiheit. Es ist eine Freiheit, die zum Dienst führt, zur Liebe, ja zum Nächsten hinführt. Menschen, die Kirche sind, lassen sich von Gott in den Dienst nehmen und sie lassen sich zu den Menschen senden.
Man könnte sagen, dass diese Christus-Beziehung, die gleichzeitig eine Kirchen-Beziehung ist, ein neues Menschsein freisetzt - eine absolute Liebe in Freiheit (vgl. 1 Kor 13 – das Hohelied der Liebe).
Es ist also auch menschlich ein großer Gewinn, Jesus Christus kennen zu lernen (Phil. 3).
Dieses Freiheitsempfinden, dieses Neuer-Mensch-Sein, hat der verstorbene Aachener Bischof Dr. Klaus Hemmerle in einem klassischen Text beschrieben:
Frei ist der Mensch,
der den Tod hinter sich
und das Leben vor sich hat,
der nicht zu vergessen braucht,
weil ihm vergeben ist
und er vergeben hat,
der vor nichts zu fliehen braucht,
weil er durch verschlossene Türen kommen
und über Abgründe gehen kann,
der sich nicht zu ängstigen braucht,
weil er immer unterwegs ist
zu einem und mit einem,
der ihn grenzenlos liebt.
frei ist der Mensch, der zu allem offen ist,
weil er alle
in sein Herz geschlossen hat.
frei ist der Mensch,
der jenseits der Wunde lebt:
der österliche Mensch.
Dieses Neuer-Mensch-Sein, diese tiefe Freiheit, die dem Christen geschenkt wird, ist das eigentlich Ausstrahlende an der Kirche. Dieses Ausstrahlende wird Menschen anziehen. Daraus ergibt sich für die Arbeit an einer missionarischen Gemeinde: Wir müssen das Kirche-Sein stärken.Es gilt also, das Kirche-Sein zu entwickeln
Es gilt, einen ganz neuen Blick auf Jesus Christus zu werfen und sich in ihm zu verbünden.
Wer von diesem Christus berührt wird, wird sagen können:
Jesus, Du bist mein Herr,
Dir verdanke ich mein Leben,
Deinen Tod nehme ich an
Deine Auferstehung will ich leben.(Vgl Phil 3, 10-11).
In den großen Heiligen finden wir Vorbilder für diese Christusbeziehung und dieses Kirche-Sein: Franziskus von Assisi (Begegnung mit dem Wort) Charles de Foucauld (Entdeckung der Eucharistie)
5. Missionarisches Kirche-Sein durch eine gute Feier der Eucharistie
Schon Paulus hat sich über die rechte Feier des Herrenmahls, wie er die Eucharistie nennt, Gedanken gemacht. Er geht aus von der Überlieferung:
„Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Tut dies, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11, 23-25).
Im Laufe der Jahre hat die Kirche die Urform erweitert und hat langsam die Form der Messe geschaffen, die wir heute als Eucharistie feiern. Vereinfacht gesagt, könnte man sagen: Die Kirche hat die Eucharistie in einen geistlichen Raum hineingestellt, in den Raum der lebendigen Gegenwart Jesu Christi. Dies können wir an folgenden Punkten erkennen:
Viermal sagt der Priester „der Herr sei mit euch“, und die Gemeinde antwortet „und mit Deinem Geiste“; dieser vierfache Gruß dient der Versammlung im Namen Christi, wodurch die Gegenwart Jesu unter den Feiernden möglich wird. Interessant ist, dass die Brasilianer heute sagen: „Priester: der Herr ist mit euch! Gemeinde: Er ist in unserer Mitte!“
Zur Messe gehört ferner das Ausräumen der inneren Widerstände gegen Gott:
- Die Sünde (Schuldbekenntnis, Lamm Gottes),
- Ausräumen von Streit, Spannungen und Aggressionen, ja auch von Feindschaft ( der Friedensgruß)
Die Versammlung wird in-formiert durch das Wort Gottes:
- Lesung, Evangelium, Predigt
- Das Ziel: das Hören und Aufnehmen des Wortes, um durch das Wort Gottes innerlich angereichert und verwandelt zu werden.
Die Öffnung für die Welt: durch die Fürbitten
In diesen geistlichen Raum wird dann das Gedächtnis/die Anamnese des Todes und der Auferstehung Jesu gestellt.
- Es kommt zur Konsekration von Brot und Wein zum Leib und Blut Christi,
- es kommt zur Austeilung der Gaben an diese Gemeinde,
- wer jetzt den Leib des Herrn empfängt und das Blut trinkt, wird seinerseits in eine neue Lebensform hinein genommen, er wird
nämlich Leib Christi.
Auch darauf weist Paulus im ersten Korintherbrief nämlich hin: Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhaber am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhaber am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir Viele ein Leib; denn wir alle haben Teil an dem einen Brot (1 Kor 10,16-17).
• Erneute Austeilung des Leibes Christi im „Ite – missa est“:
Dieser sozusagen aktuelle Leib Christi, der durch die Kommunionausteilung unter den Gläubigen entstanden ist, wird seinerseits auch wieder ausgeteilt. Dies geschieht am scheinbaren Ende des Gottesdienstes, am Ende der Messe mit den Worten: Geht hin in Frieden. Wenn wir in den lateinischen Text gucken, heißt es dort aber: „Ite missa est“. Dies müsste eigentlich besser übersetzt werden: Geht – jetzt ist Sendung!
Diese Sendung, das Wort „missa“ ist ein mittelalterliches Wort für Mission, hat sogar unserer Messe den Namen gegeben.
Im Klartext heißt dies: Das Ende der Messe ist in Wirklichkeit ihr Höhepunkt. Die Gemeinde wird ausgeteilt. Der aktuelle Leib Christi, die Gläubigen, wird hinaus gesandt in die Welt zu den Menschen.
• Eucharistie werden/sein für andere:
Die Menschen, die die Eucharistie empfangen haben, werden gleichsam ihrerseits selber zur Eucharistie, zum Lebensboten für andere. So kann eine Hausfrau und Mutter Kommunion / Eucharistie sein für ihre Kinder, vor allen Dingen auch für die Jugendlichen, die oft nicht mehr an den Gottesdiensten teilnehmen. Statt sich über das Fehlen ihrer Kinder zu ärgern, könnte die Mutter mit Freude diese empfangene Liebe Gottes in ihre Familie hineinbringen.
Damit ergibt sich: In der Eucharistie steckt also eine missionarische Dynamik. Diese ist so stark , dass jemand sogar bereit werden kann, sich von anderen ganz in Anspruch nehmen zu lassen, wie Jesus es ja auch tut.
An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob unsere Gemeinden, Priester und Laien, heute wirklich eucharistiefähig sind und ob wir uns darauf vorbereiten, sinnvoll und fruchtbar die Eucharistie zu empfangen. Dann nämlich würde sich die Frage stellen, ob der Einzelne empfangsfähig ist für Christus, ob er wandlungsfähig ist für den Leib Christi und ob er dann auch verschenkbar sein will und ist.
Was lernen wir daraus für unser missionarisches Tun?
Die Kraft der Eucharistie hängt an der Entwicklung des Geistlichen Raumes der Kirche, der Versammlung im Namen Christi. Diese Versammlung im Namen Christi müsste durchgehend wesentlich stärker in der Kirche entdeckt und gelernt werden. Die von manchen nicht so hoch bewerteten Wortgottesdienste sind dafür eine starke Hilfe. Dort lernt die Gemeinde, Christus im Wort zu begegnen und ihn im Wort aufzunehmen und sich im Namen Jesu Christi zu versammeln und sich auf Christus hin zu orientieren. Kreuzwegandachten, Bußandachten, Bibel teilen, Gebetsgottesdienste, Eucharistische Anbetung in der Kirche – bis zum Gebet des Rosenkranzes – können bewusst genutzt werden, um diesen geistlichen Raum entstehen zu lassen, um diese Versammlung im Namen Jesu zu erfahren und einzuüben.
Selbst wenn heute weniger Eucharistiefeiern möglich sind, wird die jeweilige Eucharistiefeier, wenn sie in dieser Art Versammlung eingebettet ist, eine Tiefe entfalten, die dann ihrerseits eine missionarische Wirkung haben wird. Die Eucharistie kann tatsächlich seltener gefeiert werden, wenn der geistliche Raum da ist.
So bekommen dann auch die so genannten Grundfunktionen der Kirche eine neue Ausrichtung. Alles, was mit der Liturgie zu tun hat, soll dann helfen, dass der geistliche Raum entwickelt wird, in dem Jesus gegenwärtig ist.
Die Caritas hat dann die Aufgabe in ganzheitlichem Sinne, geistig und leiblich, mit den anderen, vor allen Dingen mit den Notleidenden zu teilen.
In der Katechese, die ebenfalls in diesem geistlichen Raum stattfindet, geht es dann um den Austausch im Glauben, damit die Gnadengaben, die Einzelne empfangen haben, mitgeteilt werden, und dass dabei dann auch in klarer und gültiger Weise der Glaube verkündet werden kann.
Es fällt auf, dass gerade auch neue Geistliche Gemeinschaften das Kirche-Sein entdeckt haben, ausgehend von dem Wort: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20).
Die Jerusalemgemeinschaft versammelt in ihrer Gemeinschaft Priester, gottgeweihte Frauen und die Ehe als Sakrament bewusst lebende Eheleute. Sie bieten in der Stadt Paris etwa in St. Gervais eine kirchliche Präsenz an. Da alle arbeiten gehen, können die einzelnen pro Woche nur einige Stunden für diese Präsenz anbieten, wo sie sich in einer bestimmten Kirche aufhalten, zum Gespräch zur Verfügung stehen und eine wirklich gut gestaltete Liturgie feiern.
Bei der Gemeinschaft Emmanuel haben wir genau das Gegenteil. Sie „schwärmen“ aus und gestalten Stadtmissionen, wie kürzlich in Warendorf (2005) oder in Wien (2004), wo ehrenamtliche Laien aufgrund unbezahlten Urlaubs, den sie sich genommen haben, 14 Tage in der jeweiligen Stadt sehr viele Menschen zuhause besucht haben, diese dann zu Veranstaltungen einluden. Hier konnten viele diese Christus-Präsenz besonders erleben und einer neuen, inneren Freiheit als Mensch und Christ begegnen.
Eine missionarische Kirche/Gemeinde ist zunächst dadurch missionarisch, dass sie für andere da ist: Damit sind einzelne und Gruppen gemeint. Ohne ein Wort zu sagen, dient sie der Gesellschaft, dient sie den Menschen. - etwa im Kindergarten, im Besuchsdienst im Krankenhaus, in der Begleitung von Sterbenden im Hospiz oder auch in der sorgfältigen Begleitung von trauernden Familien und dem Begräbnis der Toten. Dies kann sich auch ausdrücken in Schulen und Bildungshäusern bis hin auch zu Pfarrfesten. Gerade im Krankenhaus und in der Schule waren bisher die Orden gefragt. Sie konnten tatsächlich diesen geistlichen Raum fast von selbst garantieren, in dem dann der konkrete Dienst für Schule und Krankenhaus stattfinden konnte und dadurch christlich, das heißt auch missionarisch geprägt war.
Da die Orden immer mehr abnehmen, kommt die Aufgabe der christlichen Gestaltung unserer Häuser auf die Gemeinden und Ehrenamtlichen zu. Viele unserer Ehrenamtlichen sind in dieser Hinsicht manchmal überfordert weil sie nicht gelernt haben, den geistlichen Raum aufzubauen. Auch hier gilt das ganz einfache Prinzip: Noch vor der Nächstenliebe muss der geistliche Raum stehen.
Umgekehrt gilt aber auch, dass in den Werken der Nächstenliebe viele mitarbeiten können, die vielleicht keine bewussten Christen sind und auch noch nicht in diesem klaren Sinn einen geistlichen Raum in den Blick nehmen können. Manche werden durch Mitarbeit in einem Hospiz oder in einer Krankendienst-Besuchsgruppe den Glauben an Jesus Christus entdecken und die dadurch gegebene Freiheit schätzen, so dass auch sie selber sich auf den Weg der Nachfolge begeben, also ins Erwachsenenkatechumenat gehen.
Ich denke an einen katholischen Lehrer, der mit seiner evangelischen Kollegin, beide waren Religionslehrer an einer Hauptschule, sich verbündeten, gemeinsam in der Schule nach dem Evangelium zu leben. Sie trafen sich jeden Tag zu Beginn der großen Pause. Ein kleines Gebet ließ sie zu einem Raum einer verborgenen Christus-Präsenz werden. Von daher wollten sie zu den Menschen gehen, das heißt zu den Schülern, gerade zu den Schülern, die unbequem, frech und aggressiv waren. So trugen sie dazu bei, dass die Aggressionsbereitschaft unter den Schülern deutlich abnahm. Dies fiel am Jahresende in der Abschlusskonferenz sogar dem Leiter der Schule auf, der sich das nicht erklären konnte – die beiden aber wussten, woran es gelegen hatte. Und dann konnten sie auch ein Wort sagen und das erklären. Wenn unser Wort aus dem Grund des „Für andere Dasein“ erfolgt, dann wird das Wort kräftig und lebendig sein.
Eine missionarische Seelsorge lebt davon, dass es Christen und Christinnen gibt, die gelernt haben, sich im Namen Jesu zu versammeln, und die sich der Freiheit und des beglückend Neuen am Christ-Sein (vgl. Text von Klaus Hemmerle) bewusst geworden sind.
Um dies zu erreichen, braucht es in der Gemeinde heute eine große Erziehungsarbeit.
Die vielen Ehrenamtlichen, die unser eigentlicher Schatz sind, brauchen eine Hinführung zu diesem echten Selbstbewusstsein als Christ, so dass sie sagen können, wer sie als Christ und als Christin sind. Hier kommt auch das neue Paradigma der Freundesgemeinschaft Jesu ins Spiel. Es braucht eine spirituelle Formung der Ehrenamtlichen in Gemeinden und Verbänden, auf die Communio mit Jesus Christus hin und auf die Gemeinschaft untereinander.
Wir brauchen heute einen bestimmten Typ von Christen, der etwa folgendermaßen sich charakterisieren lässt:
Es ist ein Mensch,
- der die Entscheidung für Gott getroffen hat,
- der sich an Jesus Christus in den wesentlichen Bereichen des Lebens orientiert,
- der Kirche wird und mit der Kirche lebt,
- der sich einbinden lässt in kleine Gemeinschaften (Verband, Jugend- oder Familienkreise, geistliche Gemeinschaft),
- oder in festem Kontakt zu einem Kloster oder einem Orden steht.
Bei diesem Erziehungsprozess von Christen ergeben sich Entwicklungsstufen, die in dem Schreiben der deutschen Bischöfe Nr. 68 „Zeit zur Aussaat – Missionarisch Kirche sein“ (Bonn, 26.11.2000) auf den Seiten 15 – 32 beschrieben sind. Hier werden folgende Stufen einer missionarischen Verkündigung beschrieben:
- Zeugnis des Lebens
- Zeugnis des Wortes
- Zustimmung des Herzens
- Eintritt in eine Gemeinschaft von Gläubigen
- Beteiligung am Apostolat – selbst in die Sendung eintreten
Hier werden Schritte aufgenommen, die bereits Papst Paul VI. in seinem Schreiben „Evangelii nuntiandi“ (1975) veröffentlicht hat.
Diese Erziehungsarbeit kann besser in größeren Gemeinderäumen geleistet werden. Darum bietet die Bildung von Pfarreiengemeinschaften oder auch die Fusion für dieses Anliegen eine besondere Chance. Dann können nämlich Kräfte, die an dieser Erziehungsarbeit mitarbeiten, zwischen den Gemeinden ausgetauscht werden. Bei einer Fusion entwickelt sich zudem oft auch ein größeres Team. Falls dieses Team seinerseits die Communio lebt und sich als kleine Gemeinschaft versteht, also als einen Geistlichen Raum, in dem Christus die Mitte bildet, dann liegen beste Voraussetzungen für eine missionarische Seelsorge vor.
Hier ein Zitat aus "Aufbruch mit Vision", Leitfaden zur Zusammenführung von Pfarrgemeinden im Offizialatsbezirk Oldenburg, Vechta 2005,S. 9
Damit eine missionarische Kirche „auf Sendung gehen“ und „ihr Programm“ in die Gesellschaft hinein ausstrahlen kann, braucht es „geistliche Sendestationen“. Dies sind lebendige Gemeinschaften und Gemeinden, die den christlichen Glauben überzeugend vorleben. Unsere Pfarreien werden manchmal als eng, als kaum innovativ und wenig missionarisch erlebt.
Für manche erscheint der Hinweis „und mit Nachwuchs“ etwas abrupt angehängt.
Es ist tatsächlich so, dass wir heute kaum Nachwuchs erwarten. Um so wichtiger ist es, die Sorge um geistlichen Nachwuchs ganz ernst zu nehmen. Andernorts spricht man sogar von einem Bündnis für Berufungen. Der Regens von Münster hat auf einer Konferenz, an der unser Bischof und etwa 65 Kapläne und jüngere Pfarrer teilnahmen, regionale „Rufpunkte“ ins Leben gerufen. Diese sollen jungen Menschen (Jungen und Mädchen ab etwa 16 Jahren) einen Raum anbieten, wo sie ihren Glauben vertiefen und leben und ihre persönliche Berufung als Christin und Christ entdecken und lieben lernen.
In den Gemeinden und in den Gemeinschaften muss es wieder normal werden, für Priesterberufe und Ordensberufe zu beten. Zu regelmäßigen Gebetsstunden oder Fürbitten im Sonntagsgottesdienst muss auch eine vertiefte Wertschätzung des geistlichen Berufes in den Familien und bei den Ehrenamtlichen wachsen.
Die Vision, die wir heute näher betrachtet haben, bietet echtes Potential für eine Erneuerung der Seelsorge im Oldenburger Land. Wenn der persönliche Christusglaube des einzelnen sich in einem verlässlichen geistlichen Raum entfaltet, dann sind wir nicht mehr weit entfernt von einer missionarischen Seelsorge, dann bereiten missionarische Gemeinden eine gute Zukunft für die Kirche in unserem Land.
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(1) In diese Richtung denken beispielsweise die italienischen Bischöfe in ihrem Beschluss „Das missionarische Gesicht der Pfarreien“ vom 17. Mai 2004: "Ein neues Nachdenken ist gefordert, über die Ausübung des priesterlichen Dienstes und des Dienstes des Pfarrers. Die Zeit der autonomen Pfarrei ist zu Ende. Zu Ende ist auch die Zeit des Pfarrers, der seinen Dienst ganz für sich allein tut. Eine Pfarrei, die sich auf die Seelsorge der Gläubigen beschränkt, wird dem Evangelium nicht gerecht. Wenn das richtig ist, dann muss sich auch der Pfarrer den Erwartungen der Nichtglaubenden öffnen und jener Christen, die sich noch an der Schwelle der Kirche befinden“.
Der Priester, der Pfarrer, der Kaplan, der Vicarius Cooperator müssen sich als Teil des Presbyteriums sehen und darüber hinaus noch mehr: mitten in einem „Konzert“ von Diensten und Initiativen von Priestern und Laien in den Pfarreien und in den neuen pastoralen Räumen unserer Diözese. „Der Pfarrer wird weniger ein Mann der Tat oder der direkten pastoralen Intervention sein“ – so die italienischen Bischöfe – „sondern eine Person, die Gemeinschaft anbietet und selber Gemeinschaft lebt – das heißt, es gehört jetzt zu seinen Hauptaufgaben, Charismen, Fähigkeiten und auch Berufungen zu fördern und zur Mitarbeit in der Pastoral anzunehmen."
Auszug aus: „Il volto missionario delle parrocchie“, in: Il Regno, 49. Jahrgang, Nr. 950, 1. Juli 2004, Artikel 12, Seite 408.
Vortrag vor den Pastoralkonferenzen, April 2005