Neue Wege – Ausgetretene Pfade

Gestern stand das Wohin der Priesterbildung im Brennpunkt der Gespräche und Diskussionen: Das Anforderungsprofil des Priesters in einer evangelisierenden Kirche, die Gestalt des Priesters und die vielen Priesterbilder.

Heute ging es bis jetzt um die Standards heutiger Priesterbildung, aber auch um Modelle und Erfahrungen aus anderen Ländern und aus geistlichen Gemeinschaften, die durchaus eine Herausforderung für uns in Deutschland und Mitteleuropa sind.

Zugleich standen die Priesterkandidaten selbst vor uns, unsere eigentliche Zielgruppe, ich wage es zu sagen, unser „Schatz“ oder unsere „Perle“, mit ihren Stärken, Begrenzungen, Begabungen und Bedürfnissen.

Als Regens möchte ich mich zum Anwalt unserer Seminaristen machen! Wir müssen genau hinsehen: Wie nehmen wir die Seminaristen wahr? Was soll geschehen, dass sie in unserer Gesellschaft in einer evangelisierenden Kirche ihren spezifischen priesterlichen Dienst tun? Was müssen sie "können“?

1. Welche Priester braucht die Kirche?

Die Kirche braucht Priester, spirituell kompetente, zeitoffene Gottesmänner (1). Der Priester von heute und erst recht der von morgen wird nicht mehr in genormten Strukturen wie den bisherigen Pfarreien eingesetzt. Er kommt vielmehr in ein pastorales Feld, in dem zeitgleich mehrere Priester und Pastoralreferenten und –referentinnen und viele ehrenamtliche Laien in den Grunddiensten Liturgia, Martyria, Diakonia und im immer mehr an Bedeutung gewinnenden missionarischen Gemeindeaufbau tätig sind. Der Priester muss in der Lage sein, selbständig zu arbeiten und die Gestalt seiner pastoralen Aufgabe in der ihm vorgegebenen gesellschaftlichen Situation zu entwickeln und zu definieren. Er tut dies in wirksamer Tuchfühlung mit dem ganzen Pastoralteam und in Rückbindung an den Bischof und dessen Mitarbeitern im Bistum. Er muss in der Lage sein, Menschen mit unterschiedlichen Glaubensgeschichten und Interessenslagen für das Evangelium zu gewinnen und in je unterschiedlicher Weise, je nachdem wie tief jemand mit dem Mysterium des Glaubens in Berührung kam, zusammenzuführen. Angesichts dieser Situation sind einerseits Pioniere gefragt, die bewusst in Neuland vorstoßen, auf der anderen Seite aber auch Personen, die aus persönlicher, spiritueller Tiefe und ebenso persönlicher Verbundenheit mit der Kirche, mit der Tradition und mit den Garanten der Einheit – Papst und Bischof – zu handeln gelernt haben.

Bischof Wanke hat gestern in seinem Anforderungsprofil für eine evangelisierende Kirche exakt das Profil des priesterlichen Dienstes von morgen getroffen:

Dieses vielleicht etwas holzschnittartige Profil eines Priesters von morgen ist für die heutige Priesterbildung eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, erst recht, wenn die disparaten Biographien der heutigen Kandidaten in den Blick kommen. Es muss nicht jeder ein Pfarrer einer Großpfarrei oder einer Seelsorgeeinheit werden, aber auch wer im Krankenhaus, in der Schule oder in einem Jugendzentrum als Priester eingesetzt wird, muss leiten, geistlich begleiten und mit Laien kooperieren können.

Sind unsere Kandidaten für diese Aufgaben gut gerüstet – oder sind sie nicht manchmal total überfordert? Das sind meine Sorgen! Wenn ich die Weihefotos in der Paderborner Ausstellung „Priesterbilder“ anschaue, etwa die Fotos aus der Zeit meines eigenen Weihejahrgangs 1963, dann muss ich schon feststellen: Das behütete und auf strenge Disziplin aufgebaute Priesterseminar von damals hat uns nur unzureichend vorbereiten können
- auf die Studentenrevolution 1968,
- auf die Turbulenzen der Nachkonzilszeit
- und erst recht auf den Gläubigen- und Priestermangel von heute.

2. Das Priesterseminar

Wir müssen uns kritisch der Frage stellen:

„Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für das Volk“ – diese Leidenschaft, die der Prophet Joel bereits markiert, finde ich auch heute bei unseren Kandidaten. Darum muss wirklich nachgefragt werden:

Das von Bischof Wanke vorgestellte Anforderungsprofil kann für die heute angesagte Gestalt des Priesterseminars entscheidende Impulse geben. Danach kann das Priesterseminar als Ort begriffen werden, wo junge Menschen sich aufschließen lassen für das Evangelium. Dies geht nur, wenn die Verantwortlichen und die Seminaristen – bei aller gebotenen Distanz - zusammen Wir-Raum des Glaubens werden. Das Evangelium als Wort des Lebens wird zum Bindeglied zwischen den oft sehr verschiedenen Personen, die ins Seminar kommen. Sie lernen durch das konkret gelebte Neue Gebot der gegenseitigen Liebe eine Familie neuen Stils zu werden, eben eine Gemeinschaft, die Kirche ist und sich um den lebendigen Herrn sammelt. Dabei finden sie große Unterstützung im regelmäßigen Austausch über ihr Leben mit dem Evangelium, so dass sie eben diese Erfahrung machen, dass aus dem persönlichen Austausch Communio, Gemeinschaft im Herrn erwächst.

Diese Glaubenserfahrung kann die heute schon bestehenden Wohngemeinschaften aus der Enge eines bloßen Nebeneinander-Wohnens und Miteinander-Essens, wo das geistliche Gespräch aus welchen Gründen auch immer unterbleibt, herausführen. Es geht an der Aufgabenstellung auch vorbei, wenn Seminar-Vorstände zu sehr bei der Zusammensetzung darauf achten, wer zu wem in einer Wohngemeinschaft passt. Wenn es für das Presbyterium wichtig ist, wie Zulehner anmahnt, dass zeitlose Kleriker und offene Gottesmänner erst dann richtig Kirche sind, wenn sie sich gegenseitig bewusst ergänzen, kann das Seminar gar nicht anders, als die Seminaristen genau für einen solchen Lernprozess zu gewinnen, das sie von einander so wie sie sind, lernen und sich in ihrer jeweiligen Eigenart wertschätzen lernen.

Wenn es in NOVO MILLENIO INEUNTE in Nr. 43 heißt, dass es bei der Spiritualität der Gemeinschaft darauf ankommt zu lernen, mit dem anderen zu leben, dem anderen Platz zu machen und die gegenseitige Liebe einzuüben, dann wird dies heute ein zentrales Lernziel für das Priesterseminar. Geschieht dieses nicht, werden Individualisten ausgebildet, die notgedrungen eine entsprechende dicke Lederhaut entwickeln, die sie für andere – manchmal auch später in der Gemeinde - unempfindlich macht, und sich abgewöhnen, aufeinander zu achten. Ein Priesterseminar, das ein solches kontraproduktives Potential entwickelt, gibt sich selber auf.

Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, die Zeit im Priesterseminar durch regelmäßige Gemeinde-Kontakte aufzubrechen, was natürlich auch einer wachen Zeitgenossenschaft zugute kommt.

Das Priesterseminar wird so zum bevorzugten Ort, wo junge Menschen erfahren, dass es schön ist, sich um den auferstandenen Herrn als Kirche zu sammeln. Die neue Spiritualität von Kirche-Sein, die Bischof Wanke angeregt hat, hat hier ihren genuinen Platz. So wird das Priesterseminar zu einem anziehenden Ort für Jugendliche, die sich nach einer lebendigen Kirche sehnen.

Genau diese Elemente – die Verbindung von Praxisbezug und miteinander Kirche leben, von persönlicher Frömmigkeit und spirituellem Austausch in Kleingruppen unter kompetenter geistlicher Begleitung - finden sich im Propädeutikum. Hier werden „Diakonisierung und Spiritualisierung“ (Zulehner) von Beginn an eingeübt.

3. Das Propädeutikum

Ein neuer Weg, der in Deutschland zuallererst in Freiburg entwickelt wurde, ist das dem Theologiestudium vorgelagerte sechsmonatige Propädeutikum. Miteinander als Christen leben, das Evangelium Jesu Christi in die Mitte des Tages rücken, füreinander sorgen und einstehen sind neben der Einführung in das Gebet und in die Liturgie die entscheidenden Eckpunkte dieser Zeit: Es sind die Exerzitien im Alltag. Im alten Seminar waren die geistlichen Übungen separat vom Alltag, hier durchdringt sich Leben und Spiritualität und bildet die Brücke zwischen den Kandidaten. Der geistliche Austausch, der im alten Seminar manchmal als Krampf erfahren wurde, wird hier ganz natürlich eingeübt und öffnet für Gott und den Mitmenschen. Im alten Seminar musste der Kontakt zum geistlichen Begleiter manchmal öfters angemahnt werden. Hier wächst beim Kandidaten wie von selbst eine Beziehung zum geistlichen Begleiter während der Exerzitien im Alltag. Wie geht Christsein heute – wie geht es zusammen? Wie kann ich ein Interesse am Anderen entwickeln, ein Co-Interesse? In den Exerzitien im Alltag und später in der sechswöchigen Bibelschule in einem Selbstversorgerhaus außerhalb des eigenen Bistums spielt sich solches fast von selbst ein.

Das Propädeutikum vermittelt wichtige Elemente des Lebens aus dem Glauben und verbindet diese mit einem gezielten Einsatz – drei Tage die Woche – in einer sozialen Einrichtung (Krankenhaus, Altenheim, Sozialstation), auf dem immer wichtiger werdenden Feld kirchlicher Diakonie. Hier vollzieht sich konkret, was Johannes Paul II. in NOVO MILENNIO INEUNTE anregte: „Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft machen, darin liegt die große Herausforderung, ... wenn wir dem Plan Gottes treu und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen“ (Nr. 43) (3)

4. Verstärkung des Praxisbezugs

Ein junger Mann, der sich im Bistum Münster zum Theologiestudium mit dem Ziel Priester zu werden gemeldet hat, hat wie alle Kandidaten dieses Jahres die Einladung zu dem dem Studium vorgelagerten Propädeutikum gerne angenommen. Während er im Collegium Borromaeum mit dem Credo der Kirche, der Liturgie und der Spiritualität in den Exerzitien im Alltag vertraut gemacht wird, geht er an drei Tagen der Woche in ein Krankenhaus zum ganz normalen Pflegedienst, wie es auch sonst Zivildienstleistende tun. Er kommt, ohne dass es vom Collegium Borromaeum so geplant war, auf die Onkologische Station des Clemenshospitals und begegnet in den ersten Wochen seines Weges als Priesterkandidat täglich dem Sterben und dem Tod. Während sich einige sorgen, ob es für ihn nicht eine Überforderung sei, erklärt der Student, dass er gerade in der Begegnung mit dem Schmerz und mit dem Leiden und mit dem Tod fast wie von selbst auf Gott gestoßen sei und dass ihm gerade der Dienst auf dieser Station gut tue.

Die heutigen Kandidaten brauchen originäre Situationen, in denen das Leben selbst sie mit Gott in Verbindung bringt, wo der Geist Jesu Christi sie fast wie von selbst erreicht. Das ist nicht nur im Propädeutikum der Fall, solches erlebe ich auch bei Seminaristen, die das in Münster übliche praktische Gemeindejahr nach dem theologischen Diplom erleben. Vor acht Jahren eingeführt, und damit die pastorale Ausbildung vor der Priesterweihe auf drei Jahre verlängernd, hat das Gemeindejahr ganz wesentlich die Antennen der jungen Kandidaten für den Glauben und für die Fragen der Menschen von heute geöffnet und spirituelle Ressourcen in ihnen freigelegt.

Der Praxisbezug führt zu einer vertieften Identifikation mit der Kirche und mit dem Volk Gottes. Der Praxisbezug ermöglicht, die eigene Rolle als Christ und dann auch als Lehrer und Katechet in der Gemeinde zu lernen und gibt eine neue persönliche Sicherheit. Der Kandidat kann sich ausprobieren. Er erlebt den Pfarrer und das Pastoralteam hautnah. Er begreift unmittelbar, wie wichtig die Kooperation mit den Diakonen und Laiendiensten ist und wie viel Kompetenz die einzelnen nicht-priesterlichen Dienste mitbringen. Der Praxisbezug übt selbständiges Handeln ein, weil in Teilbereichen der Seelsorge schon persönliche Verantwortung übernommen werden kann. Zudem lernt der Kandidat auch unmittelbar die Grenzen heutiger, oft noch volkskirchlicher geprägter Gemeinden kennen und kann ein kritisches Potential entwickeln, das später in die eigene priesterliche und seelsorgliche Praxis einfließen kann. Er lernt hier auch jenen Weltbezug, der nach dem Konzil gerade für künftige Weltpriester unverzichtbar ist, wie Frau Dr. Laurien hier angemahnt hat.

Die positiven, weil die Identifikation mit dem Priesterberuf verstärkenden Erfahrungen mit dem Praxisbezug im Propädeutikum und im Gemeindejahr veranlassen mich, den Praxisbezug für die gesamte Zeit des Theologiestudiums und des Lebens im Konvikt bzw. Priesterseminar vorzusehen. Bisher wurde dem Kandidaten beim Eintritt ins Seminar geraten, den Kontakt zur Heimatgemeinde in praktischer pastoraler Hinsicht abzubrechen und auch am Studienort sich möglichst auf das Studium zu konzentrieren. Wenn wir das Priesterseminar für die heutigen Herausforderungen stark machen wollen, müssen wir den Praxisbezug verstärken. Statt in den Semesterferien Liturgie-, Sozial- und Gemeindepraktika vorzusehen, sollte für jeden Seminaristen, oder besser für jede Gruppe von Seminaristen, in der Nähe des Studienortes eine Bezugsgemeinde gesucht werden, in der die Seminaristen während der Studienzeit regelmäßig an bestimmten Wochenenden mitleben und mitbeten und in ausgesuchten Projekten mitarbeiten. Aufgabe des Seminarvorstandes oder gar eines eigens dafür eingesetzten Praxisbegleiters sollte es sein, diesen Einsatz vorzubereiten, zu leiten und mit den Kandidaten auswerten.

Auf diese Weise bekommen die Studierenden von Anfang an mit, für welche Menschen sie studieren, wie Priester in der Gemeinde heute leben und arbeiten, wie Gemeinden sich verändern und was Kirche im Leben der Menschen heute bedeutet oder eben auch nicht bedeutet. Es leuchtet ein, dass ein solcher regelmäßiger Kontakt mit den Christen in der Gemeinde die Entwicklung der menschlichen Reife und Selbstverwirklichung, wie dies PASTORES DABO VOBIS verlangt, besonders fördert: „Die Kandidaten müssen also erzogen werden: zu Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Achtung vor jedem Menschen, Gerechtigkeitssinn, Einhaltung des gegebenen Wortes, zu echtem Mitgefühl, zu einem konsequenten Lebensstil und besonders zu Ausgewogenheit in Urteil und Verhalten. ... Besonders wichtig ist die Beziehungsfähigkeit zu den anderen Menschen. Sie bildet ein wirklich wesentliches Element für jemanden, der berufen ist, für eine Gemeinde Verantwortung zu tragen und ‚Gemeinschaftsmensch‘ zu sein.“ (4). Der Pastoralpsychologische Grundkurs, der bei uns in der Zeit nach dem Diplom bis zum Ende der vierjährigen Vikariatszeit in 7 Studienwochen und 20 Gruppensupervisionen durchgeführt wird, ist ein wichtiger Beitrag zur menschlichen Reife und zu einer kooperativen Kommunikation.

Viele Diözesen stellen sich darauf ein, das Priesterseminar für den Praxisbezug zu öffnen, indem sie jede einen Praxistag in einer Gemeinde vorsehen.

In New York ist der Donnerstag der obligatorische Gemeindetag, wo in jedem Studienjahr je unterschiedliche Praxisfelder erschlossen werden (Jugend, Religionsunterricht, Krankenhaus, Altenarbeit, Familiengruppen). Ein Priester im Seminarvorstand hat die Aufgabe, diese Praxisfelder zu erschließen und die Studierenden zu begleiten: es ist der „formation advisor“.

In Turin ist der Samstag/Sonntag grundsätzlich ein Gemeindetag. Das Priesterseminar hat seinen Wochenrhythmus daraufhin umgestellt. Der Montag ist ein freier Tag – die Theologische Fakultät trägt dies mit – hier finden auch die Recollectiones und die Arbeitsgemeinschaften des Priesterseminars statt. In den ersten drei Jahren des Studiums arbeiten die Seminaristen des Priesterseminars Turin in der Heimatgemeinde an gezielten Projekten mit, in den späteren Jahren in einer vom Regens zugewiesenen Gemeinde.

In Madrid und Paris wohnen die Seminaristen in kleinen Wohngemeinschaften unter der Leitung eines Priesters in einer Pfarrgemeinde und besuchen von dort aus die Theologische Fakultät.

5. Differenzierte Seminar Ausbildung

Die außerordentlich unterschiedlichen Biografien heutiger Kandidaten und ihr unterschiedliches Lebensalter beim Eintritt ins Priesterseminar stellen mich als Regens vor die Frage, ob wir am Einheitsseminar von heute festhalten sollen, um einer möglichen Verzettelung der Ausbildung entgegenzuwirken, oder ob wir nicht doch mehr differenzieren müssen?

Auch heute gibt es junge Männer, die unmittelbar nach dem Abitur ins Priesterseminar/Konvikt gehen. Von den neun Weihekandidaten unseres Bistums in diesem Jahr waren es drei Kandidaten, die unmittelbar nach dem Abitur das Theologiestudium aufgenommen haben. Aber es kommen heute auch mehr und mehr ältere Kandidaten, die schon einen Beruf und Berufserfahrung mitbringen. Ich denke an einen promovierten Juristen aus dem Sauerland, der sich nicht vorstellen konnte, ins Konvikt zu den wesentlich jüngeren Kandidaten zu gehen. Ich habe ihn zu einem erfahrenen Priester in eine Gemeinde gegeben, wo er in bestimmten Projekten mitarbeitet, an der Theologischen Fakultät der Universität Theologie studiert und sehr gut im Gespräch mit dem Spiritual ist. Erst später wird er in die Kommunität des Konviktes aufgenommen werden.

Ein Neurochirurg hält Kontakt zu einem Benediktinerkloster und studiert von dort aus Philosophie und Theologie.

Ein 40-jähriger lediger Unternehmer, der schon den Würzburger Fernkurs in allen drei Stufen absolviert hat, kam – immer noch aktiv im Beruf, wo er für 14 Mitarbeiter Vorgesetzter war – regelmäßig wochenweise ins Priesterseminar und wurde so auf die Priesterweihe vorbereitet. Erst jetzt, nach einem Kaplansjahr, endet seine berufliche Tätigkeit, so dass er ab 2003 zu 100 % in der Pastoral tätig ist.

Ein 30-jähriger Marketing-Fachmann fand glücklicherweise einen Regens, der ihn auf das Ahlener Modell des Bistums Münster aufmerksam machte!

Meine zugespitzte Frage lautet: Wollen wir auf die unterschiedliche Situation der Kandidaten mit einem differenzierten Angebot von Priesterseminaren antworten und damit Berufungen fördern – oder wollen wir am Einheitsseminar festhalten und evtl. Berufungen, die uns als Kirche geschenkt sind, verlieren? Hier müssen wir neue Wege gehen und Ausbildungswege entwickeln, die dem Einzelnen gerecht werden, die aber auch in das Gesamt des Bistums passen.

Es gibt ja bereits differenzierte Ausbildungswege. Das Bistum Osnabrück schickt z. B. seine Kandidaten ins Collegium Borromaeum nach Münster und nach St. Georgen in Frankfurt, nach Lantershofen und ins Collegium Germanicum nach Rom. Alle genannten Orte sind durchaus angemessene Formen der Priesterbildung, die den unterschiedlichen Kandidaten gerecht werden. Im Pastoralseminar laufen dann diese Ausbildungswege wieder zusammen. Hier bildet sich dann der Priesterkurs im gleichen Jahrgang, und das auch heute immer wichtiger werdende Diözesanbewusstsein kann sich dann verstärkt entwickeln.

Für Spätberufene sind auch heute Kollegs wie das Clemens-Maria-Hofbauer-Kolleg in Paderborn oder das Collegium Marianum in Neuss sehr interessant, weil sie zum Abitur führen und damit den Zugang zum Hochschulstudium für spätberufene Priesterkandidaten ermöglichen.

Das Priesterseminar St. Lambert in Burg Lantershofen bietet Kandidaten ohne Abitur ein Theologiestudium an, das sich über vier Jahre mit je drei Trimestern erstreckt.

Einen besonderen Weg ist das Bistum Münster gegangen mit seiner Priesterausbildung in der Praxis, auch „Ahlener Modell“ genannt, das durch die römische Priesterseminarvisitation ausdrücklich anerkannt worden ist. Seit 1974 bietet das Bistum Münster jungen Männern mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, die kein Abitur haben, einen anderen, praxisbezogenen Ausbildungsweg zum Priestertum an. Leben aus dem Glauben in einer kleinen Kommunität im Pfarrhaus, Mitarbeit in einer Pfarrgemeinde und Theologiestudium nach dem Würzburger theologischen Fernkurs gehören zum Kernbestand dieses Weges. Hinzu kommt der auf zwei Jahre angelegte Pastoralpsychologische Grundkurs, die Vorbereitung auf den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I und regelmäßige theologische Studienwochen zu den einzelnen Disziplinen der Theologie durch die Professoren der Münsteraner Universität. Ausbildungsleiter für diese Priesterausbildung in der Praxis ist der Regens, der durch eine Kommission qualifizierter Theologen, Pädagogen und Pfarrer unterstützt wird. (5)

Ein ebenso sorgfältiger Umgang mit den Priesterkandidaten, die aus einem akademischen Beruf kommen, ist heute angesagt. Ich denke an Ärzte, Lehrer, Juristen, Apotheker, Architekten, höhere Verwaltungsbeamte u.a., die sich heute unter den Kandidaten finden. Darüber kann ich mich nur freuen!

Es passt aber nicht immer zusammen, wenn über 30-jährige mit 20-jährigen in der gleichen Ausbildungskommunität leben. Die Älteren könnten die Jüngeren domestizieren oder sich dagegen wehren, in einem – verzeihen Sie das Wort – „Kindergarten“ zu sein. Die Jüngeren haben doch das Recht, jugendlich zu sein, unbefangen in vielen Fragen sich zu äußern, die Ältere schon für sich geklärt haben. Wir dürfen die Jüngeren nicht um ihre Jugendlichkeit bringen, um ihrer selbst willen, aber auch weil wir sie für unsere junge Kirche brauchen. Darum plädiere ich für ein Postgraduierten-Kolleg, das die Kandidaten fördert, die einen akademischen Beruf mitbringen, indem es gerade deren berufliche Erfahrung als Ressource für das Theologiestudium nutzt. Vielleicht gibt es ja Fakultäten, die bereit sind, das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz etwas zu nutzen und einen Ergänzungsstudiengang Theologie zu entwickeln, mit dem qualifizierten Abschluss des Diploms in Theologie.

In diesem Zusammenhang ist ein theologischer Studiengang zu erwähnen, den niederländische Bistümer entwickelt haben; sie sprechen von einem teilzeit integrierten Modell. Priesterkandidaten, die bereits in einem akademischen Beruf tätig sind, besuchen während der ersten vier Jahre berufsbegleitend an einer kirchlichen Fakultät an jedem zweiten Wochenende die theologischen Vorlesungen. In dieser Zeit können sie ihre Priesterberufung abklären, Theologie studieren und ihre berufliche Arbeit fortsetzen. Dieses Modell existiert z. Z. nur in Bovendonk im Bistum Breda.(6) An dieses Modell in den Niederlanden sind viele Fragen zu stellen, u. a. auch die, ob eine solche Ausbildung nicht dann doch zu schmal angesetzt ist. Das Nachdenken jedoch darüber, wie akademisch gebildete Interessenten heute zum Theologiestudium hingeführt werden können, ohne ein großes berufliches Risiko einzugehen, muss dennoch ernsthaft geprüft werden.

Wenn wir uns die heutige Seminarlandschaft in Deutschland ansehen, dann können wir feststellen, dass fast alle Diözesen ihre Ausbildungshäuser so lange wie möglich festhalten wollen – aus berechtigtem Grund. Denn wer will in die Annalen eingehen mit dem Vermerk, dass er das Priesterseminar der Diözese geschlossen hat! Diese Haltung führt letztlich aber dann doch dazu, dass das Priesterseminar eines Tages wegen Mangels an Masse geschlossen wird. Darum sehe ich die dringende Notwendigkeit, dass wir zu einer Kooperation zwischen den Diözesanseminaren kommen.

In Münster gibt es die Kooperation auf der Ebene des Konviktes mit dem Bistum Osnabrück, im Diakonatskurs des Pastoralseminars seit diesem Herbst 2002 mit dem Bistum Essen.

Etwas provokativ gefragt, wird sich das Bistum Essen bald fragen müssen, ob es in Bochum für zehn Theologiestudenten noch ein Priesterseminar vorhalten soll oder nicht, was evtl. dann die Theologische Fakultät Bochum kippen könnte. Würden wir uns aber für eine Differenzierung in der Ausbildung und für eine Aufgabenverteilung zwischen den bestehenden Priesterseminaren entscheiden, dann ließen sich die jetzigen Standorte, auch der Standort Bochum, mit neuer Aufgabenstellung halten:
- ein Standort für das Propädeutikum
- ein Standort für das Konvikt
- ein Standort für das Postgraduierten-Kolleg
- ein Standort für das Pastoralseminar
- ein Standort für ausländische Priesterkandidaten, die für deutsche Diözesen in Deutschland Theologie studieren wollen.

Das Prinzip, das in einem Arbeitskreis heute vorgestellt wurde, könnte gerade in diesem Zusammenhang hilfreich sein: großräumiger denken, um differenzierter ausbilden zu können.

An einer solchen Fragestellung sollten wir in Deutschland nicht vorbeigehen, sondern ekklesial denken und die Schwächeren nicht einfach durch das Recht des Stärkeren verdrängen.

6. Wer ist der Souverän der Ausbildung?

Wir können die Tatsache nicht hoch genug einschätzen, dass der Kirche im deutschen Sprachraum für die Priesterausbildung zahlreiche wissenschaftlich hochentwickelte theologische Fakultäten zur Verfügung stehen. Dafür müssen wir sehr dankbar sein. Auch im Bereich des Studiums ist die Erschließung neuer Wege angezeigt. Was im Grundstudium und in der philosophischen Propädeutik getan wird, muss meines Erachtens wesentlich verstärkt werden. Bei den Predigtübungen im Priesterseminar, bei der Begutachtung der Jahresarbeiten am Ende der Vikariatszeit der Kapläne kommt immer häufiger ein bestimmtes Defizit zum Vorschein, nämlich selbst denken zu können, einen eigenen Gedankengang sauber entwickeln zu können und das Denken anderer wahrnehmen und würdigen zu können. Ich wünschte mir, dass dem philosophischen Denken eine größere Aufmerksamkeit zuteil wird und dass das Denken und Entwickeln eines Gedankengangs besser eingeübt wird.

Wer ist eigentlich der Souverän der Priesterausbildung? Sind es die Professoren in der Theologischen Fakultät? Nein, es ist der Bischof. Dieser ist auch bei den durch das Konkordat abgesicherten staatlichen Fakultäten der erste Ansprechpartner.

Meines Erachtens gehört der gesamte Diplomstudiengang Theologie heute auf den Prüfstand. Ähnlich wie wir heute ein Symposion für die Priesterbildung durchführen, möchte ich das Symposion „Reform des Theologiestudiums in Deutschland – Priesterbildung für das 21. Jahrhundert“ anregen.

Die heutigen Priesterkandidaten, die alles auf eine Karte setzen, wollen eigentlich mehr als das, was heute geschieht. Sie klagen gelegentlich darüber, dass in das Studium der systematischen Theologie zu wenig pastorale Erfahrungen eingebettet sind. Als Regens möchte ich die jungen Leute ernst nehmen und ihnen sagen: „Ihr wollt Priester werden, wir wollen sehen, wie ihr euer Studium am besten realisieren könnt.“ Wir Regenten nehmen den Dienst der Fakultät gern in Anspruch und wissen, dass hier unter den heutigen Bedingungen wirklich sehr gut gearbeitet wird. Statt zu klagen, dass dennoch bestimmte Fakultäten dieses oder jenes nicht leisten können, sollten wir es selbst in die Hand nehmen, bestimmte inhaltliche und manchmal auch ekklesiale Defizite auszugleichen.(7) Wir graben einer qualifizierten Auseinadersetzung mit dem heutigen Denken, den Strömungen der Gesellschaft und der Gegenwartskultur das Wasser ab, wenn wir am theologischen „Level“ drehen. Mehr denn je ist heute Theologie vonnöten, um bei allen Fragen kompetent unterscheiden und handeln zu können.

Es stellen sich weitere Fragen: Muss die heutige Semesterordnung an der Fakultät so bleiben? Sollen wir es einfach hinnehmen, dass die Studienzeit in der Regel sieben Monate im Jahr umfasst, und dass fünf Monate frei bleiben?

Das Priesterseminar könnte auch stärker die Arbeit der Theologischen Fakultät unterstützen:

Und noch eine kritische Frage: Müssen Vorlesungen im heutigen Stil unbedingt sein, wenn die Texte ohnehin vorliegen? Könnte man nicht bei dem einen oder anderen Stoff das Gelesenhaben beim Studierenden voraussetzen und sich mehr darauf konzentrieren, was dieser Stoff für die Kirche, für die Gemeinde und für den Glauben bedeutet?

7. Berufungspastoral

Ich freue mich, dass dem Anliegen der Berufungspastoral ein eigener Tag gewidmet wird. Die Verzahnung von Berufungspastoral und Priesterbildung ergibt sich aus folgender Fragestellung: Was ist die Voraussetzung, dass jemand in unseren Häusern als Priesterkandidat ankommen kann?

Heute ist im Vorfeld des Priesterseminars/Konvikts und des Theologiestudiums eine Glaubensgrundlegung nötig. Dies geschieht in der Regel im Propädeutikum. Es kann aber auch in einem Bewerberkreis geschehen, wie es das Münsteraner Ahlener Modell – ich meine die zweijährige berufsbegleitende Vorstufe – tut. Warum sollte es nicht die Regel sein, dass es an den Hochschulstandorten Bewerberkreise für Priesterkandidaten gibt? Wenn wir unsere Häuser qualifizieren wollen, braucht es einen guten Vorlauf. Hier ist der verantwortliche Leiter für „Berufe der Kirche“ oder der Theologenreferent eines Bistums gefordert. Dieser sollte nicht in der Letztverantwortung eines Ausbildungshauses stehen, damit er mit dem möglichen Kandidaten frei überlegen kann, was für diesen jeweils besser ist: das Clemens-Maria-Hofbauer-Kolleg oder das Collegium Marianum und eine anschließende Hochschulausbildung, Lantershofen oder das Ahlener Modell, das Konvikt oder das Postgraduierten-Kolleg? In Dallas/USA heißt dieser Verantwortliche „Vocational Director“, weil dieser mit den Kandidaten überlegt, in welches Haus, in welchem Zeitrahmen dieser seinen Weg zum Priestertum geht. In Dallas bleibt der Vocational Director mit dem Kandidaten in Kontakt während der gesamten Ausbildungszeit, während der Leiter des jeweiligen Ausbildungshauses dem Bischof gegenüber für die Zulassung zu den Weihen zuständig ist.

8. Aus- und Weiterbildung der Ausbilder

Überlegen Sie - ich spreche jetzt die Regenten, die Direktoren und die Spirituale an, vielleicht könnten aber auch die Generalvikare und Personaldezernenten zuhören - überlegen Sie mal: Wie wurden Sie für Ihr jetziges Amt ausgebildet und vorbereitet? Wurde bei Ihnen nicht hauptsächlich auf Ihr persönliches Charisma gesetzt? Es spricht für unsere Bischöfe, dass diese bei der Auswahl der Regenten eine so glückliche Hand hatten!

Wenn schon die Wirtschaft oder die Bundeswehr sich Führungsakademien leisten, warum sollte das dann nicht auch die Kirche in Deutschland tun?

Wir brauchen eine gezielte Personalentwicklung. Wir müssen Leute finden, die Charisma haben, Kompetenz entwickeln und Kompetenz ausbilden. Woher sollen Regenten die neuen Aufbrüche in der Kirche kennen, in denen sich wichtige neue Elemente für die Spiritualität und Gemeindeentwicklung finden? Woher sollen die Regenten Kriterien nehmen, wenn sich Kandidaten aus neueren geistlichen Gemeinschaften melden? Wie sollen wir mit frisch konvertierten Kandidaten oder mit evangelischen Vikaren umgehen, die katholisch werden wollen und die Priesterweihe erbitten? Wie wollen wir angesichts der rasanten Entwicklung in den ökumenischen Beziehungen zwischen den Kirchen und ebenso in den Dialogen mit den Weltreligionen unsere Seminaristen für diese wichtigen Akzente heutiger ekklesialer Spiritualität aufschließen?

Der alle zwei Jahre stattfindende „Essener Kurs“ zur Weiterbildung der Ausbilder in Priesterseminaren reicht nicht aus. Die römischen Studienwochen für Regenten im Sommer können naturgemäß nicht für die deutsche eklatant vom romanischen Sprachraum unterschiedene Situation aufschließen.

Erfreulich ist, dass sowohl in Bayern als auch in Norddeutschland sich Regenten zu regelmäßigen Supervisionsgruppen zusammengeschlossen haben. Auch auf diese Weise können bisherige Ansätze der Priesterausbildung überprüft und, wenn nötig, verändert werden. In diesen Gruppen wächst auch ein gegenseitiges Vertrauen, das nicht zuletzt auch die Bereitschaft fördert, zur Bildung von größeren Lerngruppen die bisherigen Priesterseminare auf regionaler Ebene zusammenzuführen und Regionalseminare zu entwickeln.

Ich komme zum Schluss. Es ist auch heute eine sehr schöne und ausfüllende Aufgabe, mit den heutigen Kandidaten auf dem Weg zu sein!
Packen wir es an!

Wir dürfen es im Vertrauen auf Gott tun: Seine Gnade wird uns nicht fehlen, denn ER – der lebendige Gott – ist auch heute der erste Priesterausbilder.

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(1) vgl. Zulehner, Priester im Modernisierungsstress. Forschungsbericht der Studie PRIESTER 2000, Ostfildern 2001

(2) vgl. W. Hagemann, Plädoyer für eine ganzheitliche Priesterbildung. Vor der Bischofssynode 1990. in: Das Prisma, 2 (1990), S. 20-26; W. Hagemann, Zeugnis geben im Dialog. Priesterausbildung im Bistum Münster, in: DAS PRISMA 10 (1998), S. 60-64

(3) Johannes Paul II., NOVO MILLENNIO INEUNTE, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 150 (6.1.2001), S. 39

(4) Johannes Paul II., PASTORES DABO VOBIS, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 105 (25.3.1992), S. 79-80

(5) vgl. Die von der Diözesanstelle Berufe der Kirche im Juli 2002 herausgegebene Schrift „Priesterausbildung in der Praxis im Bistum Münster“, S. 4

(6) so der Bericht von Regens Dr. Huub Flohr vor der deutschsprachigen Regentenkonferenz 1999 in Speyer, Unveröffentlichter Konferenzbericht, S. 8

(7) vgl. Hermann Josef Pottmeyer, Theologische Aspekte der Priesterausbildung im Kontext der Gegenwart, Vortrag beim 450-jährigen Jubiläum des Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom 2002, unveröffentlichtes Manuskript S. 13

Referat beim Internationalen Symposion in Paderborn „Leidenschaft für Gott und sein Volk“, am 17. 12. 2002

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