Die Kunst der Predigt in der katholischen Eucharistiefeier –
Grundzüge homiletischer Didaktik in einem Priesterseminar
Meine sehr verehrten Schwestern und Brüder,
herzlich danke ich für die Einladung zu dieser Fachtagung, zu der ich gerne gekommen bin. Es ist für mich eine große Freude, vor Kollegen aus der evangelischen Pfarrerausbildung zur homiletischen Ausbildung innerhalb der katholischen Priesterausbildung sprechen zu dürfen.
Gestatten Sie mir, dass ich mich kurz vorstelle und meinen Werdegang schildere: Ich bin gebürtig aus Duderstadt, also ganz aus der Nähe, Jahrgang 1938; das Abitur habe ich in Wilhelmshaven gemacht. Ich habe dort erste ökumenische Kontakte sowohl in der Schule als auch in der Stadt bekommen, ohne dass man dies damals schon so benannte. Nach dem Abitur 1957 habe ich zunächst ein Semester in Münster studiert und bin dann für 10 Jahre nach Rom an die Päpstliche Universität Gregoriana gegangen und habe so das ganze Zweite Vatikanische Konzil miterleben können. Dieser Aufbruch hat meine Vorbereitung auf den priesterlichen Dienst ganz besonders bis heute geprägt. Hier im Germanikum erhielt ich meine erste homiletische Unterweisung, hauptsächlich durch jährliche „Kartoffelpredigten“, die jedoch nicht fachlich begleitet noch in irgendeiner Weise nachbesprochen wurden; dies wurde lediglich ergänzt durch eine knappe sprecherzieherische Ausbildung in einem zweiwöchigen Ferienkurs. Wenn ich mich frage, wer meine Lehrer für die Predigt waren, dann denke ich zuerst an den Spiritual Wilhelm Klein SJ im Germanikum, der uns ganz direkt an die Bibel und an Jesus Christus herangeführt hat. Durch ihn wurde weiterhin Augustinus mein Lehrer, dessen Schriftnähe und dessen unglaubliche Treue zum fast täglichen Predigtwort in seiner kleinen Gemeinde in Hippo mich bis heute beeindrucken. Schließlich muss ich auch den Theologen und Bischof Klaus Hemmerle nennen, dessen phänomenologische Durchdringung des Bibeltextes und gleichzeitiger frischer Glaube an Jesus Christus mich bis heute prägen.
Meine Promotionsarbeit habe ich über den Kirchenvater Hieronymus und über dessen Schriftverständnis geschrieben. Sie ist unter dem Titel "Wort als Begegnung mit Christus – Die christozentrische Schriftauslegung des Hieronymus" 1970 in Trier erschienen. Nach einer kurzen 5-monatigen Kaplanszeit in Oldenburg, Hl. Geist kam ich 1968 mit 29 Jahren als Spiritual an das Bischöfliche Theologenkonvikt nach Münster, ging dann 1974 nach Cloppenburg-Stapelfeld, um dort eine katholische Erwachsenenbildungsakademie aufzubauen, die heutige Heimvolkshochschule Kardinal-von-Galen. 1987 wurde ich dann nach Bonn berufen als Rektor im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), wo ich als eines meiner wichtigsten Aufgabenfelder die Vorbereitung von Katholikentagen und auch die Mitarbeit bei Evangelischen Kirchentagen hatte. Aus dieser Zeit kenne ich auch sehr gut die evangelische Bischöfin Käßmann und den Landesbischof i. R. Christian Krause.
1996 bestellte mich Bischof Dr. Reinhard Lettmann zum Regens des Priesterseminars Münster und Verantwortlichen für die Priesterfort- und -weiterbildung. Erst vor vier Wochen bin ich in dieser Aufgabe verabschiedet worden.
Zu meiner Biografie gehört auch meine Mitarbeit in der Fokolar-Bewegung, die ich seit 1965 kenne und in der ich wesentliche Impulse für mein Christsein und auch für mein ökumenisches Bemühen empfangen habe. Auf diesem Wege bin ich auch in besonders tiefer Weise dem bereits 1994 verstorbenen Bischof Klaus Hemmerle verbunden.
Meine neue Aufgabe im Bistum Münster bezieht sich auf das Thema Spiritualität. Ich soll helfen, dass die vielen ehrenamtlichen Laien, die in unterschiedlichsten Diensten in den Gemeinden mittun, einen vertieften Zugang zu Jesus Christus erhalten. Diese neu vom Bischof von Münster eingerichtete Aufgabe soll von mir entwickelt und gestaltet werden.
Gestatten Sie mir noch eine zweite Vorbemerkung. Ich möchte Ihnen den Aufbau der Priesterausbildung im Bistum Münster kurz vorstellen.
Da wir es vermehrt mit Kandidaten zu tun haben – auch wenn die Zahl der Kandidaten insgesamt deutlich abnimmt –, die ohne eine ausdrückliche kirchliche Sozialisation auf das Theologiestudium zugehen, haben wir seit einem Jahr ein sog. Propädeutikum eingerichtet, das 6 Monate umfasst und dem Theologiestudium vorangeht. Die Kosten für diese Zeit trägt das Bistum Münster. In dieser Zeit lernen die Kandidaten die Grundzüge des Betens, der Spiritualität und der Liturgie kennen, üben das Leben in Gemeinschaft ein und werden in einem mehrmonatigen Praktikum in karitativen Einrichtungen (u. a. Krankenhaus, Altenheim, Sozialstation), durch Bibelschule und Exerzitien im Alltag von Anfang an auf eine vom Glauben geprägte Begegnung mit den Menschen vorbereitet. In diesen Monaten bekommt der Einzelne auch die Gelegenheit, seine Berufung zu prüfen; wir gehen in der katholischen Kirche davon aus, dass der Dienst des Priesters nicht nur eine Aufgabe und ein Dienst ist, sondern dass dahinter auch ein Angesprochensein vor Gott, eben eine Berufung von Gott steht. Diese Berufung zu erkennen und sie dann auch zu begleiten und zu fördern ist das erste Anliegen des Propädeutikums.
Nach einem positiven Ausgang des Propädeutikums beginnt dann das 5-jährige bzw. 10-semestrige Theologiestudium. In dieser Zeit wohnen die Kandidaten im Theologenkonvikt Collegium Borromaeum. In den ersten vier Semestern geht es auf das Vordiplom zu. Danach ist es Pflicht, das Konvikt und den Studienort Münster zu verlassen zu den sog. Außensemestern, auch Freisemester genannt. Beliebte Ziele sind dabei Tübingen, Freiburg, München, Wien, aber auch Rio de Janeiro, Berkeley, Buenos Aires, Paris, Madrid, Manila (um nur einige Orte, die in den letzten Jahren gewählt wurden, zu nennen). Nach den Außensemestern kommen die Theologiestudenten nach Münster zurück und können entweder direkt ins Konvikt zurückkehren oder aber eine gemeinsame Wohnung in der Stadt nehmen. Das 9. und 10. Semester sind die Studenten regulär im Theologenkonvikt. Hier geht es vor allen Dingen noch einmal um die Frage ihrer eigenen Berufung und der Berufung zur Ehelosigkeit, die intensiv geprüft und begleitet wird. In dieser Zeit erfolgt die offizielle kirchliche Annahme als Priesterkandidaten in der sogenannten Admissio.
Nach der zweistufigen Diplomprüfung und der etwa 100 Seiten umfassenden Diplomarbeit beginnt dann die praktische Ausbildung. Zunächst folgt ein ganzes gemeindepraktisches Jahr, wo der Kandidat bei einem Pfarrer in der Gemeinde wohnt und in den Religionsunterricht, in die Katechese und in die Jugendarbeit eingeführt wird. Hier wird er auch bereits aufgefordert, kleinere Gottesdienste zu halten mit Ausnahme der Eucharistie. Wir legen wert auf dieses gemeindepraktische Jahr, weil in dieser Zeit die Kandidaten noch keine Priesterweihe oder Diakonenweihe haben, sondern allein auf ihre eigene Person gestellt sind und prüfen müssen, ob sie als Person, als der Mensch, der sie sind, den Menschen in der Gemeinde positiv und fruchtbar begegnen können, so dass daraus Pastoral und Seelsorge wird. An das gemeindepraktische Jahr, das wir Gemeindejahr nennen, schließt sich der 5-monatige sog. Diakonatskurs an. Dieser dient der Vorbereitung auf die Diakonenweihe. Jene geistlichen Funktionen, die mit der Diakonenweihe zusammenhängen, werden eingeübt: Predigt, Taufe, Eheschließung, Beerdigung, Hausbesuch, Sitzungsleitung in Jugendleiterrunden, Caritas. Am Ende des Diakonatskurses steht die Diakonenweihe, die im Dom zu Münster gespendet wird. An diesem Gottesdienst nehmen in der Regel 2000 Personen teil. Der Bischof bezeichnet diese Weihe als den größten Jugendgottesdienst des Bistums, weil hauptsächlich junge Leute denDom dann bevölkern. Es kommen aber auch Bekannte aus den vorangegangenen Gemeindepraktika und aus der Heimatgemeinde.
Im Anschluss an die Diakonenweihe folgt wiederum ein gemeindepraktisches Jahr, diesmal als Diakon. Dieses Diakonatsjahr findet in der gleichen Gemeinde statt, in der das gemeindepraktische Jahr stattgefunden hat. Wiederum wohnt der Diakon beim Pfarrer im Haus. Wir legen Wert darauf, dass die beiden Gebetsgemeinschaft und Tischgemeinschaft haben.
Auf das Diakonatsjahr folgt dann der sog. Presbyteratskurs, in dem die Kandidaten auf die Priesterweihe und die damit gegebenen Dienste vorbereitet werden: Feier der hl. Messe, Spendung des Bußsakramentes, Spendung der Krankensalbung, Krankenkommunion, Krankenbesuche, geistliche Begleitung von Jugendlichen, praktische Bibelarbeit.
Am Ende des Presbyteratskurses steht die Priesterweihe, die im Bistum Münster immer am Pfingstsonntag gespendet wird. Dieser Gottesdienst wird in der Regel von weit über 2000 Personen besucht, u. a. von 100 Priestern, die nach dem Bischof den Kandidaten ebenfalls die Hände auflegen. Mit der Priesterweihe wird der Priester endgültig in das Presbyterium des Bistums Münster aufgenommen, das sich als eine Art geistliche Bruderschaft versteht. Wichtig ist bei der Priesterweihe auch das Gehorsamsversprechen dem Bischof gegenüber. Die Zölibatsverpflichtung wird bereits bei der Diakonenweihe übernommen.
Die Priesterausbildung ist damit noch nicht am Ende. Es folgt die Vikariatszeit, die vier Jahre umfasst und mit dem Pfarrexamen endet. Die neu geweihten Priester kommen nach 8-wöchigen Praktika in unterschiedlichen Gemeinden zum Schuljahrsbeginn an ihre erste feste Stelle, die in der Regel vier Jahre umfasst. In dieser Zeit bekommen sie eine eigene Wohnung, können aber auch auf Wunsch in Vita communis mit ihrem Pfarrer leben. Das Stichwort Vita communis nimmt heute unter den jüngeren Priestern einen wesentlich höheren Stellenwert ein als bisher, weil sie spüren, dass in unserer Zeit geistliches Leben fast nur in Gemeinschaft eine verlässliche Grundlage hat.
Während der Vikariatszeit gibt es weitere Fortbildungsangebote des Priesterseminars für die Neupriester. Der Regens ist die ersten vier Jahre auch der Personalverantwortliche für die Kapläne. In dieser Zeit geht es vor allem um Konfliktberatung, Vertiefung der Katechese, Familienpastoral, geistliche Begleitung und eine mehrwöchige Einführung in das selbständige Führen einer Pfarrei mit all den verschiedenen Verwaltungsaufgaben, die damit gegeben sind. Ein einwöchiges exegetisches Seminar, meistens in Israel durchgeführt, schließt sich an. Das am Ende der Vikariatszeit stehende Pfarrexamen umfasst die Prüfung in einem theologischen Sachgebiet, die Erstellung einer pastoraltheologischen Arbeit, die an die eigene Praxis anknüpft, und ein Kolloquium. Mit dem Ende der Vikariatszeit endet offiziell die Priesterausbildung im Bistum Münster. Sie umfasst also einen Zeitraum von 12 Jahren.
Während der gesamten Konviktzeit nehmen die Studierenden am im Haus angebotenen Kurs "Sprecherziehung und Rhetorik" teil; in regelmäßigen kleinen Kurzansprachen in der täglichen Eucharistiefeier des Konviktes finden sie ein hilfreiches Übungsfeld.
Im 9. Semester bietet die Theologische Fakultät ein praktisches Seminar Homiletik an, das vom Spiritual des Priesterseminars, Dr. Paul Deselaers, aufgrund eines speziellen Lehrauftrages durchgeführt wird. Neben einer ausführlichen Einführung in die Homiletik werden in diesem Seminar begleitete Übungsgruppen angeboten zur gemeinsamen Vorbereitung einer Predigt, die dann der betreffende Priesterkandidat und der/die zukünftige PastoralreferentIn in einer Werktagsabendmesse in einer Pfarrkirche in der Innenstadt von Münster hält, an die sich ein Predigtnachgespräch mit der Gemeinde und dann auch innerhalb der Gruppe anschließt.Im gemeindepraktischen Jahr hält der Priesterkandidat eine Predigt in seiner Ausbildungsgemeinde, die von Verantwortlichen des Konviktes und des Priesterseminars begleitet wird. Dazu gehören: die begleitete Predigtvorbereitung, die Predigt selbst, das Predigtnachgespräch in der Gemeinde und das Predigtnachgespräch in der Gruppe.
Während des Diakonatskurses im Priesterseminar in Münster predigt der Kandidat in einer der Stadtgemeinden Münsters. Auch hier gibt es folgende Arbeitsschritte: gemeinsame/individuelle Vorbereitung der Predigt, die Predigt selbst mit Video-Aufnahme, das Predigtnachgespräch mit der Gemeinde, das Predigtnachgespräch in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Priesterseminars. In einer Bibelstudienwoche mit dem Regens wird in Absprache mit Kurs ein Buch aus dem AT oder NT nicht nur exegetisch erarbeitet, sondern auch dessen Darstellung in der Malerei, in der Musik und eventuell im Film untersucht. Dieser „multimediale“ Umgang mit der Bibel wird von den Seminaristen mit großer Begeisterung und persönlichem Engagement erarbeitet. Ein weiteres Highlight sind die Tage der Schreibwerkstatt mit Frau Petra Fietzek, einer Schriftstellerin, die die Gabe hat, unsere Seminaristen zu eigener literarischer Produktion anzuregen (Kurzgeschichten, Gedichte, kleine Dramen).
Im Diakonatsjahr gibt es wiederum eine begleitete Sonntagspredigt der Diakone in einer Ausbildungsgemeinde, mit Video-Aufzeichnung, Predigtnachgespräch mit der Gemeinde, Predigtnachgespräch in der Ad-hoc-Gruppe. Im Diakonatsjahr bietet das Priesterseminar den Kandidaten die Studienwoche "Kasualpredigten" (Taufe, Trauung, Beerdigung) an. Diese Studienwoche findet im Priesterseminar statt. Mehrmals haben wir diese Studienwoche auch mit Vikarinnen und Vikaren des Evangelischen Predigerseminars der Westfälischen Landkirche durchgeführt – mit großem Erfolg!
Zum Ende des Diakonatsjahres werden in einer Studienwoche in Münster mit Medienfachleuten in einem Ton- und TV-Studio Radiopredigt, Fernsehansprache und
„Wort zum Sonntag“ in einer Tageszeitung praktisch eingeübt. In das dritte Jahr der Vikariatszeit (3. Kaplansjahr) fällt der Studientag "Bisherige
Erfahrungen mit der Sonntagspredigt". Die Kapläne bringen zu diesem Studientag Video-Aufzeichnungen einer eigenen Sonntagspredigt mit, die dann in der Gruppe ausführlich besprochen und bearbeitet wird.
Die Verantwortung für diese Predigtausbildung vor Ort in der Gemeinde liegt beim Regens/ Subregens und bei der Dozentin für Sprecherziehung un Rhetorik Frau Heike Appel, die auch einen Lehrauftrag im Fachbereich Germanistik an der Universität Münster hat.
Das Predigtnachgespräch mit der Gemeinde leitet jeweils ein Seminarist mit folgenden drei Schritten und Fragen an die Gemeindemitglieder:
1. Welchen Eindruck hatten Sie von der Predigt?
2. Was war der wichtigste Satz für Sie?
3. Was möchten Sie dem Prediger mitgeben, das er bei zukünftigen Predigten beachten sollte?
Im anschließenden Rundgespräch in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe (dieses Gespräch sollte 45 Minuten nicht übersteigen) gehen wir in folgenden Schritten vor:
1.Der Prediger sagt, nachdem er auf Video seine Predigt noch einmal gesehen hat, was sein eigener Eindruck ist.
2. Es folgen in einem freien Austausch Rückmeldungen aus der Gruppe zu folgenden Fragen:
- Wie habe ich zuhören können?
- Konnte ich dem Gedankengang gut folgen? der bin ich ausgestiegen?
- Was hat mich angesprochen?
- Ist das Ziel klar?
- Ist es wichtig, realistisch nützlich?
- Und: an welchen konkreten Beobachtungen mache ich das fest?
3. Schließlich nennt jeder den Zielsatz, den er aus der Predigt herausgehört hat. Am Ende formuliert jeder in einem prägnanten Satz, was er dem Prediger für zukünftige Predigten mitgeben möchte.
4. Der Prediger formuliert für sich selbst Arbeitsziele, an denen er in der nächsten Zeit arbeiten möchte. Dieses formulierte Ziel wird schriftlich gefasst und vom Regens/Subregens und der Sprecherzieherin schriftlich festgehalten.
Zu den Beobachtungskriterien zählen Fragen zum Aufbau und Inhalt, aber auch, ob die Einleitung Interesse und Neugier weckend war. War der Hauptteil folgerichtig und verständlich? War der Schluss befriedigend? Wie war es mit dem Spannungsbogen, mit der Überzeugungskraft und der Glaubwürdigkeit? Gab es einen echten Hörerbezug, in dem die Gottesdienstbesucher einbezogen und angesprochen wurden? Und: hat der Prediger zugewandt gesprochen? Wie war der Blickkontakt? Wie war die Sprache: War sie konkret? Waren es kurze Sätze? Waren die Begriffe präzise und die Bilder genau? War die Körpersprache stimmig? Passte der Grundklang der Stimme und der Sprechweise in Tempodynamik, Artikulation und Melodie zur überbrachten Botschaft?
Besonderes Augenmerk richten wir auf den theologischen Hintergrund der Predigt: War die Predigt exegetisch durchgearbeitet? War der biblische Text durchmeditiert? Enthält die Predigt eine klare theologische Botschaft, und ist diese Botschaft auch theologisch zu verantworten? Diente die Predigt dem Gemeindeaufbau?
Besonderen Wert legen wir auch auf das freie Sprechen, weil so der Bezug zu den Hörerinnen und den Hörern wesentlich leichter wird; darum möchten wir ein Ablesen der Predigt vermeiden. Wir schlagen vor, dass es einen Stichwortzettel gibt.
In diesen Nachgesprächen wird oft deutlich, dass der Zielsatz nicht ausformuliert war, dass sich der Prediger für die Vorbereitung nicht immer ausreichend Zeit genommen hat, dass der Prediger am Text klebte, zu formelhafter Sprache, besonders auch dogmatisierenden Ausdrücken neigte oder gar in übertriebener Weise mit Schuldgefühlen arbeitete.
Zu einem solchen Predigtsonntag haben wir einmal auch unsere Kirchenzeitung eingeladen, weil es Klagen über die Predigten bestimmter Kapläne gegeben hatte und wir zeigen wollten, wie heute die konkrete Vorbereitung auf die Predigt im Priesterseminar aussieht. Im Bericht des Redakteurs Markus Nolte ("Kirche und Leben" 02. 12. 2001) war zu lesen: "Nach der Messe können Mitfeiernde ihren Eindruck sagen und was sie behalten haben und was sie dem Diakonatskandidaten mit auf den Weg geben wollen. Im Großen und Ganzen ist man persönlich angetan gewesen. ‚Sehr persönlich’, ist zu hören und ‚glaubwürdig!’ und ‚sehr locker’. Mit der Wiedergabe des Inhalts hingegen tut man sich schwerer. Aber schön sei es gewesen. Na, das ist doch was. Der Kandidat freut sich und lächelt. Später, nach dem Abendessen, geht’s im Priesterseminar dann doch etwas mehr zur Sache. Die Sprecherzieherin sagt: ‚Zu lang, sehr rational, zu viele Gedankengänge, Gestik gut, insgesamt frisch, aber so recht habe sie die Kernaussage nicht gefunden.’ Und schon sind alle mitten drin in der Diskussion über das Verhältnis von Prediger-Befindlichkeit und Gemeinde-Erwartung sowie von Verkündigungsauftrag und sprachlichem Anspruch."
Ich muss sagen, dass ich gerade bei den Predigtübungen die Seminaristen gut kennenlernte. Ich erlebte sie als Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, vor allem aber bei ihrer Suchbewegung auf Gott und die Menschen hin. Bei diesen Suchbewegungen jungen Leuten beizustehen, hat mich ganz besonders motiviert und in meinem eigenen Glauben gestärkt. Ein besonderes Erlebnis war es dann, wenn sich immer mehr das Predigtprofil der einzelnen zeigte.
Das gute Echo in den Gemeinden bei solchen Predigtnachgesprächen lässt bei den beteiligten Laien fast spontan den Wunsch aufkommen, dass auch die langgedienten Pfarrer solche Arbeit an ihrem Predigtstil gut gebrauchen könnten. Zum Teil kam auch versteckte Not der Gemeinden an den Predigten ihrer Seelsorger zum Vorschein. Ich möchte den Vorschlag unterstützen, Priestern nach jeweils zehn Jahren Dienst der Verkündigung ein „refreshing“ in einem geschützten Rahmen anzubieten, sozusagen einen Predigt-TÜV, bei dem dann auch das Angebot gemacht wird, an speziellen Predigt-Fortbildungskursen teilzunehmen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat Impulse in die Kirche gegeben, die trotz mancher Rückschläge bis heute kräftig fortwirken. Einen besonders starken Akzent hat dieses Konzil auf die Verkündigung innerhalb der Eucharistiefeier und auf einen klaren Bezug zur Heiligen Schrift gelegt. So heißt es in Art. 35 der Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium (abgek. SC):
Damit deutlich hervortrete, dass in der Liturgie Ritus und Wort aufs engste miteinander verbunden sind, ist zu beachten:
1) Bei den heiligen Feiern soll die Schriftlesung reicher, mannigfaltiger und passender ausgestaltet werden.
2) Da die Predigt ein Teil der liturgischen Handlung ist, sollen auch die Rubriken ihr je nach der Eigenart des einzelnen Ritus einen passenden Ort zuweisen.
Der Dienst der Predigt soll getreulich und recht erfüllt werden. Schöpfen soll sie vor allem aus dem Quell der Heiligen Schrift und der Liturgie,
ist sie doch die Botschaft von den Wundertaten Gottes in der Geschichte des Heils, das heißt im Mysterium Christi, das allezeit in uns zugegen und
am Werk ist, vor allem bei der liturgischen Feier.
Und im Art. 52 wird festgelegt:
Die Homilie, in der im Laufe des liturgischen Jahres aus dem heiligen Text die Geheimnisse des Glaubens und die Richtlinien für das christliche Leben dargelegt werden, wird als Teil der Liturgie selbst sehr empfohlen. Ganz besonders in den Messen, die an Sonntagen und gebotenen Feiertagen mit dem Volk gefeiert werden, darf man sie nicht ausfallen lassen, ....
Aus diesem Grund wurde die überlieferte altkirchliche Leseordnung der Sonntage von Grund auf überarbeitet und in die drei Lesejahre A, B und C eingeteilt. Für die Wochentage ist die erste Lesung aus zwei Reihen vorgesehen.(1) Für die Sonntage stehen sogar drei Lesungen mit einer ersten Lesung aus dem Alten Testament.(2) zur Verfügung.
In Art. 51 heißt es da:
Auf dass den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes reicher bereitet werde, soll die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan werden, so dass innerhalb einer bestimmten Anzahl von Jahren die wichtigsten Teile der Heiligen Schrift dem Volk vorgetragen werden.
Im Hintergrund stehen wichtige Erkenntnisse, die sich in Artikel 21 der Konstitution "Dei Verbum" (Über die göttliche Offenbarung, abgek. DV) niedergeschlagen haben:
Die Kirche hat die Heilige Schrift immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie vom Tisch des Wortes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht.
Diese beiden Brennpunkte in der Eucharistiefeier werden seit dem auch in den Rubriken der Messfeier in solcher Weise zum Ausdruck gebracht, dass es neben dem Altar unbedingt auch einen Ambo für die Wortverkündigung geben muss. Es heißt dann weiter in Artikel 21f:
Wie die christliche Religion selbst, so muss auch jede kirchliche Verkündigung sich von der Heiligen Schrift nähren und sich an ihr orientieren. In den Heiligen Büchern kommt ja der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf.
Der Zugang zur Heiligen Schrift muss für die an Christus Glaubenden weit offen stehen.
Es verwundert nicht, dass sich daraus besondere Konsequenzen für den Prediger ergeben (DV 25):
Nur im Licht des Glaubens und in der betenden Versenkung in Gottes Wort wird es möglich, immer und überall Gott zu erkennen, in dem "wir leben, uns bewegen und sind" (Apg 17, 28), in allem Geschehen seinen Willen zu suchen, in allen Menschen, ob sie uns nun nahe- oder fernstehen, Christus zu sehen und richtig zu beurteilen, welche Bedeutung und welchen Wert die zeitlichen Dinge in sich selbst und in Hinordnung auf das Ziel des Menschen haben.
Bevor ich hier fortfahre, muss ich deutlich sagen, dass ich hier nicht als Homiletiker spreche, sondern als ehemaliger Regens. Ich spreche hier also als Praktiker, der selber sehr gern predigt und der nach besten Kräften junge Leute bei deren ersten Schritten zur selbständigen und selbstverantworteten Predigt begleitet hat. Nur unter dieser Prämisse kann ich jetzt etwas Grundsätzliches zur Homilie, zur Predigt und zur Verkündigung innerhalb der hl. Eucharistie sagen.
In seiner "Homiletik – Ein Handbuch für kritische Zeiten" macht Prof. Klaus Müller, Münster, darauf aufmerksam, dass der Predigtinhalt, also der Kern der Homilie theologisch "Kerygma" heißen müsse und zitiert dabei die von Karl Rahner im 6. Band der 2. Auflage des Lexikons für Theologie und Kirche (Freiburg 1961, Sp 125 – 126) vorgelegte Definition:
"K(erygma) ist … die aktuelle Verkündigung des Wortes Gottes in der Kirche durch den von Gott in der Kirche legitimierten, bezeugenden Verkünder, derart, dass dieses Wort, in der Kraft des Geistes vom Verkünder in Glaube, Hoffnung und Liebe gesagt, als evangelisches Angebot des Heils und als verpflichtende und richtende Macht das Gesagte (in dem sich Gott selbst dem Menschen zusagt) selbst anwesen lässt in jener Aktualität, die die Heilsgeschichte in Christo Jesu nach Anfang und Ende je in ihrer Weise ‚jetzt’ Gegenwart sein lässt, und dass vom Hörer im selben Geist das Gesagte und Gehörte als im Wort Ereignis geworden glaubend und liebend angenommen werden kann."
In diesem für Karl Rahner typischen Definitionsgeflecht können wir feststellen, dass das Kerygma etwas zu tun hat mit dem, was Kierkegaard Gleichzeitigkeit nannte: "Das Wort alter Überlieferung vergegenwärtigt durch seine je neue Verlautbarung als Wirklichkeit hier und jetzt, was es seiner Bedeutung nach meint. Kerygma besteht im Weitersagen und Auslegen des Evangeliums so, dass die Hörerschaft heute eben das erfährt, was lt. Mk 1,22 diejenigen empfanden, die Jesus zuhörten: "… sie waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat… " und was lt. Auskunft von Apg 2,37 auch durch die apostolische Missionspredigt geschah: "Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz… " (3)
Klaus Müller sieht in der Predigt eine Parallele zur Inkarnation und nennt diesen Vorgang "Inverbation", zu deutsch "Einwortung" oder "Wortwerdung": "Predigt als Inverbation der in Jesus Christus unüberbietbar und irreversibel gewordenen Selbstmitteilung Gottes ist Vergegenwärtigung und also Fortsetzung des Inkarnationsgeschehens. Predigt heißt ‚Wort Gottes’ wegen ihrer Absicht, durch Sprachhandlungen der aussagenden Rede Gott in seinem Uns-Zugewandt-Sein je und je Ereignis sein zu lassen." (4)
Nach Müller hat die Möglichkeit, dass sich der transzendente, unbegreifliche Gott als Mensch mitteilt, ihre notwendige Bedingung in der Kenosis, in der Entleerung seines Wesens, der Selbstpreisgabe Gottes. Dieser kenotischen Struktur unterstehe auch das Inverbationsgeschehen der Predigt. Obwohl vom Wesen Gottes Wort, tritt die Predigt armselig auf; ihre Mittel reichen nicht für mehr, gemessen an dem, wovon sie zu sprechen hat. Predigende erlebten dies oft und oft bei der Predigterarbeitung und manchmal auch bei der Predigt selbst, dass ihnen das Wort stocke. Das sei – immer vorausgesetzt, sie hätten das ihnen Mögliche getan – eine Form der Kenosis.
Dieter Emeis, em. Professor für Praktische Theologie an der Universität Münster, beschreibt in seinem Grundriss der Gemeinde- und Sakramentenkatechese das Geschehen der Predigt und Homilie in ähnlicher Weise: "In der Gemeinschaft des Volkes Israel und in den christlichen Gemeinden tauschten die Glaubenden ihre Erfahrungen aus und dachten darüber nach. Sie hielten als Tradition fest, wie sich ihnen ihr Gott mitteilte und sie in das wahre Leben führte. So wurden Geschichten gesammelt und Glaubensbezeugungen formuliert. Das Ziel der Traditionsbildung besteht darin, dass Menschen durch die überlieferten Geschichten und Überzeugungen in ihre heutige Geschichte mit Gott hineingerufen werden und Anteil bekommen an den tragenden und sich weiter bewährenden Überzeugungen des Glaubens. Das Zeugnis der Erfahrungen von Christen (in der Schrift) eröffnet uns den Raum, in dem heutige Lebensgeschichten zu Glaubensgeschichten werden können … Andererseits will die Überlieferung nicht in die Geschichte von Gestern zurückrufen; vielmehr sollen heute die Christen ihre je eigenen und miteinander geteilten Erfahrungen mit Gott in Jesus Christus machen, und zwar im Zusammenhang mit ihren Lebenserfahrungen. So soll die Geschichte Gottes mit den Menschen weitergehen." (5)
Den Vorgang, in dem überlieferte Erfahrungen und heutige Erfahrungen in eine wechselseitige Beziehung gebracht werden, nennt Emeis "Korrelation". In der
wechselseitigen Beziehung geschehe nicht nur etwas mit den Erfahrungen der Lernenden, es werden auch die überlieferten Erfahrungen neu gelesen und aufgenommen.
In eine ähnliche Richtung hat auch P. Franz Richardt OFM gearbeitet, bisher Dozent
für Homiletik und Leiter des Priesterseminars der Orden in Münster. Er favorisiert das
sog. heilsgeschichtliche Modell der Predigt. Dabei stellt er eine Beziehung zum
gehörten Text her, ordnet das im Bibeltext Erzählte oder Dargelegte in die Heilsgeschichte
und Glaubenswirklichkeit der Kirche ein und erläutert dann die Konsequenzen
dieses Textes für das heutige Leben der Christen in Kirche und Gesellschaft, so
dass sein Modell in drei Schritten voranschreitet:
- Beschreibung des Heilsereignisses,
- Deutung des Heilsgeheimnisses,
- Entwicklung des Heilsangebotes für die Gemeinde.
Dr. Paul Deselaers, Dozent für Homiletik an der Kath. Theol. Fakultät der Universität
Münster, hebt besonders hervor, dass die Homilie ein wesentlicher Teil der katholischen
Eucharistiefeier ist:
"Kommt dann noch dazu, dass es einen Wechselbezug zwischen der Predigt und
dem Beziehungsgefüge des Gottesdienstes gibt, der sich im Eröffnungsteil, in Liedern,
Fürbitten und Gebeten sichtlich niederschlagen kann, dann werden Früchte der
geduldigen Arbeit nicht ausbleiben." (6)
Deselaers nennt diese Art der Predigterarbeitung kontextuell und intertextuell. So habe er etwa im Gottesdienst zum 19. Sonntag im Jahreskreis B zu 1 Kön 19,4-8 die Predigt gehalten und vom Kontext der Perikope her die Auseinandersetzung "Gott gegen Gott" konturiert. Um die emotionale Aufmerksamkeit auf die Stunde des Engels mitten im Todesschlaf der Erschöpfung nach der Auseinandersetzung auf dem Karmel lenken zu können, habe er eine Linie bis zu Jesus in Gethsemani gezogen, bis hin zum Osterlicht und zum Mahl der besonderen Speise in der Eucharistie. Konsequenterweise habe er - wie am Karfreitag – die Eucharistiefeier dieses Sonntags mit einer Prostratio eröffnet.
In diesem Zusammenhang muss noch einmal unterstrichen werden, dass durch das Konzil die Homilie ein wesentlicher Teil der sonntäglichen Eucharistiefeier geworden ist. Ihr Platz ist genau in der Mitte der Eucharistiefeier. Das Glaubensbekenntnis der Gemeinde folgt auf die Predigt, gleichsam als Antwort auf das in der Predigt neu verkündete Wort. Die Wortverkündigung und die Mahlfeier sind zwei aufeinander bezogene Brennpunkte, die sich gegenseitig bedingen und vertiefen. Für den katholischen Prediger ist klar, dass die Homilie im Dienste des Evangeliums stehen muss und gleichzeitig den Bezug zum Kern der Eucharistiefeier, nämlich zum Geheimnis des Glaubens, zur Gegenwart Jesu in dieser Feier, herstellen soll. Es geht um die Vergegenwärtigung des Herrn im Wort und im Sakrament. Aus diesem Grunde legt das Kirchenrecht fest, dass der Vorsitz in der Eucharistiefeier und die Verkündigung nicht auseinander gerissen werden dürfen, sondern in der Regel durch ein und dieselbe Person des geweihten Amtsträgers zu geschehen hat. Außerhalb der Eucharistiefeier ist die Predigt von theologisch gebildeten Laien nicht nur möglich, sondern geradezu erwünscht. Spezielle Wortgottesdienste in den geprägten Zeiten des Advent und der österlichen Bußzeit mit ihren Bußandachten und Fastenpredigten geben dazu reichlich Gelegenheit.
Es geht in diesem Punkt nicht um den Zielsatz, dessen klare und knappe Formulierung in unserer Ausbildung den Kandidaten besonders ans Herz gelegt wird. Es geht hier darum herauszuarbeiten, auf welches Ziel hin das Wort verkündet wird.
Ich verstehe die Homilie als einen Sammlungsvorgang, in dem das Wort Gottes so dargeboten wird, dass der Predigende und die Hörenden vom Wort Gottes berührt werden und sich daraufhin um diesen im Wort und in der Gemeinschaft gegenwärtigen Christus versammeln. Dies schließt ein, dass die Predigt als dialogischer Vorgang großen Wert darauf legen muss, mit den Zuhörenden ins Gespräch zu kommen, sie abzuholen und sie dann zum Wort Gottes so hinzuführen, dass sie sich um den auferstandenen Christus sammeln können, und zwar so, dass sie zum Volk Gottes werden gerade jetzt aktuell in diesem Gottesdienst.
Somit hat die Homilie mit dem Gemeindeaufbau zu tun und auch mit der konkreten Sendung des neu sozusagen zu sich gekommenen Volkes Gottes, in die Welt und zu den Menschen. Zum Ziel einer solchen Predigt muss also gehören, dass Raum da ist, dass der Einzelne auf das Gehörte antworten kann. Von daher ist gut zu verstehen, dass, wie Klaus Müller formuliert (7), "die Hörerin, der Hörer im Predigtereignis eine theologische Dignität eigenen Ranges hat. Erst durch das Hören kann das in der Predigt ausgerichtete Wort von der Gnade werden, was es ist." Somit sei der oder die Hörende ein Konstitutivum des Predigtvorgangs und die Zuhörenden seien am Auffinden und Erschließen dieser Wahrheit mitbeteiligt. Somit besäßen nicht nur die Predigenden , sondern auch die Predigthörerinnen und –hörer Predigtkompetenz.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das Einholen der Hörenden, sozusagen das Eingehen auf den Hörerhorizont, ein wesentliches Ziel der Predigt ist, an das sich dann das Sammeln des Volkes Gottes und das Aussenden des Volkes Gottes anschließt. Paul Deselaers (8) macht darauf aufmerksam, dass aus der Predigt unerlässlich unteilbare Lebensvollzüge resultieren, die sowohl die diakonale Geschwisterlichkeit, die Gottesdienstfeier als auch die ausdrückliche Verkündigung umgreifen. Eine solche Predigt, so wiederum Klaus Müller, öffne Zukunft für die Menschen und gebe Kraft zu einem neuen Leben, das unter die Psalmworte gestellt werden könne: "Er führte mich hinaus ins Weite" und "mit meinem Gott überspringe ich Mauern" (Ps 19,20; 30) (9)
Der Predigende und seine Predigt lassen sich einfach nicht trennen. Die Predigt ist ein lebendiger Vorgang. Die Predigt muss durch das Medium der Person, durch das Medium der Subjektivität hindurchgegangen sein. Damit sind wir sehr nahe dran an dem Thema Spiritualität des Predigenden. Ohne einen Aufbruch ins Existentielle und das Übernehmen des in diesem Aufbruch mitgegebenen Risikos (so Paul Deselaers)(10) kann die Botschaft des Evangeliums einfach nicht überkommen. "Wer im Sinne der biblischen Predigt predigt, gerät immer wieder vor ein Bündel von Fragen: Was lasse ich mir selbst predigen? Was löst das allsonntägliche Predigen in mir aus? Wie begegne ich der Gefahr der inflationären Worte? … Solche Fragen führen in Überlegungen zur Kompetenz des Predigers ein – in die institutionelle und personale, in die fachliche und methodische Dimension der Kompetenz, hinter der schlicht als Kernfrage steht: Inwieweit verwirklicht der Verkündiger den Inhalt seiner Verkündigung selbst in seinem Leben, so dass die Verkündigung als glaubwürdig erfahren werden kann?"(11) Denn es gehe dem Prediger darum, eine Stimme zu werden, auch wenn sie an die Grenze der Sprache gerate angesichts dessen, was zu sagen ist, auch wenn dieses Stimmesein zur Ohnmacht führe, wo andere Hab-bares und Rezeptartiges fordern. Es gehe, so Deselaers, darum, Wort zu werden, das in Tränen gereinigt werde und in sich berge, was denn uns im Wort Gottes geschenkt sei.
Wer sich in dieser Weise auf die Predigt einlässt, entwickelt, fast wie von selbst, eine
ungemeine Ehrfurcht vor dem Wort Gottes und vor dem Hörer. Er bemüht sich
darum, durchlässig für dieses Wort Gottes zu werden. Die Bereitschaft eines Predigenden,
ohne durchgestylten Text vor die Gemeinde zu treten, vielleicht nur mit einem
kleinen Stichwortzettel, also frei zu predigen, ermöglicht gerade beim Vorgang
des Predigens diese Freiheit, gleichzeitig beim Hörenden und beim Wort
Gottes zu sein. So kann Thomas v. Aquin in Anspielung auf Gen 28,12 (die Jakobsleiter mit den auf- und absteigenden Engeln) den Prediger etwa so charakterisieren:
"Die Prediger werden durch die Engel auf der Jakobsleiter dargestellt, indem sie
durch die Kontemplation hinaufsteigen, durch die Sorge, die sie um das Heil des
Nächsten tragen, aber herabsteigen."(12) Selbstverständlich ist es wichtig, wie der
Predigende vor der Gemeinde steht, wie er mit Körper, Seele, Geist und Wille dabei
ist und wie seine Gestik den Menschen anspricht. Ebenso wichtig ist aber auch seine
Glaubenskompetenz, ob er nämlich selber dem Wort Gottes glaubt und ob er dem
Wort zutraut, sich durchzusetzen, wie es Jesaja in einem treffenden Bild so eindringlich
vor Augen führt:
"Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt,
sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem
Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen
Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und
erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe" (Jes 55,10-11).
In diesem Sinn formuliert Johannes Paul II. in seinem Schreiben Novo millennio
ineunte zu Beginn des neuen Jahrtausends eine zentrale Priorität für den Predigenden:
"Uns vom Wort nähren, um im Bemühen um die Evangelisierung Diener
des Wortes zu sein: Das ist mit Sicherheit eine Priorität für die Kirche am Beginn
des neuen Jahrtausends" (13)
Ein erstes Ziel besteht darin, den Kandidaten zu helfen, die persönliche Vorbereitung auf die Predigt einzuüben und dabei das Vorfeld der Predigt ernst zu nehmen. Es geht dabei um eine gute exegetische Durchdringung des gewählten Predigttextes, an das sich ein persönliches, vertrautes Umgehen mit dem biblischen Wort anschließt, an dem sich die persönlichen Kräfte der „memoria“, des „intellectus“ und der „voluntas“ beteiligen – so im Sinne von Ignatius von Loyola. Die Bedeutung einer solchen Predigtmeditation kann nicht genügend unterstrichen werden.
Dabei geht es darum, was die geistlichen Autoren "ruminatio", also wiederkäuen
nennen. Es ist ein absichtsloser, von intellektueller Anstrengung freier Umgang mit
dem biblischen Wort. "Durch das Wiederkäuen im Mund des Herzens", so Klaus
Müller (14), wird aus der „lectio“ ein ständiges Hinhören auf Gott, ein liebendes
Aufmerken auf seine Selbstmitteilung.
Dabei kommt es darauf an, dass der Predigende sich zunächst einmal selbst unter
das Wort Gottes stellt, so wie es ganz drastisch zu Beginn des Konzils Johannes
XXIII. tat, als er sich bei der Eröffnung die aufgeschlagene Bibel auf das Haupt legen
ließ. Schon an dieser Stelle ist es wichtig zu unterstreichen, das Alte und Neue Testament
gleichermaßen ernsthaft als Wort Gottes aufzunehmen, und zwar in einen
gegenseitigen Dialogprozess. Dann kann sich in der Predigt ereignen, was schon
Thomas von Aquin auf die Formel brachte: "Praedicatio est contemplari et contemplata
aliis tradere" – Predigen heißt meditieren und Meditiertes anderen weitergeben. (15)
Wer in dieser Weise sich auf das Predigen jeweils neu einlässt, wird fast von selbst den richtigen Rat beherzigen, mit der Vorbereitung der Sonntagspredigt rechtzeitig zu beginnen. Er wird auch verstehen, warum Paul Deselaers als absolutes Minimum vorsieht, dass der Predigende jedes Jahr mindestens ein exegetisches Werk liest.
Ein zweites didaktisches Ziel ist die Einübung in die Predigtvorbereitung, konkret in
die notwendigen Arbeitschritte zur Erarbeitung einer einzelnen Predigt. Franz
Kamphaus, früher Regens in Münster, jetzt Bischof von Limburg, hat in einer bisher
unveröffentlichten Schrift für unser Priesterseminar eine "Einführung in die Predigtpraxis"
geschrieben. Dort nennt er folgende Arbeitsschritte:
I. Sammeln des Materials
II. Inkubation
III. Zielbestimmung
IV. Erarbeitung des Predigtkonzepts
V. Aneignung.
Abraham Roelofsen (16) hat ein Modell vorgelegt, das durch die Wiederentdeckung der Rhetorik und durch das Verständnis der Predigt als kooperatives Geschehen zwischen Prediger und Hörer geprägt ist. Mit diesem Modell kann ich persönlich am meisten anfangen. Er gliedert die Predigtvorbereitung in vier Phasen:
Stoffsammlung durch Assoziation
Alle Einfälle sammeln, die zum Schrifttext, der der Predigt zugrunde liegen
soll, in den Sinn kommen
Erster Sprech-Denk-Versuch aufgrund dieser Stoffsammlung;
es entwickelt sich das Predigtziel, der Zielsatz, die Predigtbotschaft.
Ergebnis: Erster Predigtentwurf
Bisher standen nur die Gedanken, Bilder und Gefühle des Predigers, nicht
der potentiellen Hörerinnen und Hörer im Blickfeld.
Stoffsammlung durch Bisoziation
Im Sinne eines Perspektivwechsels identifiziert sich der Prediger mit einem
konkreten Hörer, einer konkreten Hörerin und gibt neuen Einfällen
Raum.
Es kommt zum zweiten Sprech-Denk-Versuch.
Ergebnis: Zweiter Predigtentwurf
Zusammenführung der bisherigen Entwürfe:
Klären, ob das eigene Predigtziel, die eigene Botschaft den Hörer/die Hörerin
erreichen
Evtl. Widerstände des Hörers/der Hörerin erkennen, auf die der Prediger
eingehen soll
Dritter Sprech-Denk-Versuch
Ergebnis: Dritter Predigtentwurf
Jetzt kommt dann auch die theologische Fachliteratur ins Spiel.
Es
muss geprüft werden, ob die eigene Auslegung dem exegetischen Befund
gerecht wird.
Falls der Prediger doch bei seiner Auslegung bleibt, muss er sie begründen.
Vierter Sprech-Denk-Versuch. Die Ergebnisse der Theologie und Exegese
werden eingearbeitet
Ergebnis: Vierter Predigtentwurf
Interessant ist auch die Predigtvorbereitung in einem Priesterfokolar.
Eine Gruppe von Fokolarpriestern trifft sich, um eine Predigt über das Sonntagsevangelium
vorzubereiten. Dieses Treffen kann im Rahmen des normalen wöchentlichen
Priestertreffens stattfinden. Es kann auch ein Konferenzgespräch am Telefon
sein – z. B. vor Weihnachten.
Bei dieser Predigtvorbereitung werden zunächst nur Einfälle assoziiert und ausgetauscht.
Dann wird gefragt, wie der einzelne Priester ein bestimmtes Wort des Evangeliums
in sein eigenes Leben übernommen hat, wie er das Wort gelebt hat und
welche Erfahrungen von Gläubigen in der eigenen Gemeinde ihm bekannt geworden
sind. Dabei geht es schon um die Frage, wie dieses konkrete Schriftwort auch heute
gelebt werden kann und welche Vorschläge der Prediger seiner Gemeinde diesbezüglich
machen kann.
Im Hintergrund steht weiterhin der Gedanke: Erst das Wort leben, dann darüber
sprechen.
Nach solchem Aufnehmen von Gedanken und Erfahrungen kann dann ein erster Sprech-Denk-Versuch gestartet werden. Dann kann im Predigtgespräch darüber geredet werden, welche Widerstände und Fragen und auch Erwartungen bei den potentiellen Hörern und Hörerinnen bestehen. Es kommt zu einem zweiten Sprech- Denk-Versuch.
Schließlich wird jener Priester, der schon vorher mit der Exegese dieses Textes beauftragt worden war, gebeten, den theologischen Befund einzubringen, woraufhin die Gruppe noch einmal den Predigtentwurf bearbeitet und überarbeitet.
Im Hintergrund ist dann auch die Vorstellung da, dass der Prediger nicht einfach nur das Wort sagt, sondern dass er sich selbst, nachdem er alles getan hat, um das Wort zu verstehen, sich zurücknimmt, damit der im Wort gegenwärtige HERR selber zur Gemeinde sprechen kann. Denn Jesus Christus ist selbst das Wort. Uns kommt es zu, sozusagen der schweigende Hintergrund zu sein – so wie etwa auch die Mutter Jesu, Maria, schweigend unter dem Kreuze stand, aber den, der das Wort ist und gerade auch als Gekreuzigter das Wort ist, in ihren Schoß aufnahm und weiterschenkte.
Dies kommt auch in vielen sogenannten Vesperbildern deutlich zum Ausdruck, weil
es hier Maria ist, sozusagen die Kirche ist, die diesen Herrenleib, diesen Christusleib
dem Betenden darreicht.
So kann auch der Prediger und auch die Gemeinde, die das Wort in sich aufgenommen
hat, in diesem marianischen Sinn Zeugin des Wortes werden und den in der
Predigt und im Wort empfangenen Herrn an andere weitergeben.
Ich möchte abschließen mit einem Gebet von Matthias Grünewald, das Klaus Müller in seiner Homiletik angeboten hat:
"Jesus, Herr, ich bitte dich, dass du mich annimmst zum Docht auf der Lampe, zu der du das Öl gibst. Es geht mir nicht darum, ob mein Leib verdorrt wie Gras und mein Name verweht wie Rauch. Aber um dein Bild in mir geht es, das die Welt schauen soll. Zünd dein Licht an und lass mich sein wie ein heiliges Feuer am Rande der finstern Öde, damit die im Dunkeln wissen, wo Du zu finden bist." (17)
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(1) vgl. A. Adam, Das Kirchenjahr mitfeiern – Seine Geschichte und seine Bedeutung nach der Liturgieerneuerung, Freiburg 1979, 5. Aufl., 1991, S. 132-137
(2) vgl. auch die interessanten Arbeiten von Thomas Söding zu den Sonntagsperikopen der Lesejahre A, B u. C, die bei Echter in Würzburg erschienen sind, und zu den einzelnen Evangelien vom exegetischen Befund her Zielsätze anbieten.
(3) vgl. K. Müller, a. a. O., S. 222-223
(4) vgl. K. Müller, a. a. O., S. 249-251
(5) vgl. D. Emeis, Grundriss der Gemeinde- und Sakramentenkatechese, München 2001, S. 120-123
(6) vgl. P. Deselaers, Biblisch predigen – ein Risiko, in: Georg Steins (Hrsg.),Leseordnung. Altes und Neues Testament in der Liturgie. Sonderheft in der Reihe Gottes Volk. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1997, S. 171-179
(7) vgl. K. Müller, a. a. O., S. 235
(8) vgl. P. Deselaers, a. a. O., S. 176
(9) a. a. O., S. 241
(10) vgl. P. Deselaers, a. a. O., S 178-179
(11) a. a. O., S. 178
(12) zitiert b. K. Müller, a. a. O., S 25
(13) Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 150, Art. 40, S. 36
(14) vgl. K. Müller, a. a. O., S 141
(15) a. a. O., S. 22
(16) vgl. A. Roelofsen, Homiletik zwischen Tradition und Innovation, in: Sprache und Sprechen, Bd. 36, München 1999, S. 162ff
(17) vgl. K. Müller, a. a. O., S 158
Vortrag im Evangelischen Predigerseminar Braunschweig, Oktober 2004