Klaus Hemmerle und das Wort Gottes
Klaus Hemmerle hat seine Wirkung auf viele, auch heute. Das bezeugen Briefe, die ich immer wieder empfange, in denen Menschen mitteilen, dass sie durch Klaus Hemmerle Gott gefunden haben. Jugendliche der Fokolar-Bewegung Köln haben kürzlich zwei DVD veröffentlicht, eine von der EU mitfinanzierte Spurensuche zu Klaus Hemmerle „Mensch, Klaus“. Der Klaus Hemmerle-Hemmerle-Werk e.V. hat auf der Internetseite www.klaus-hemmerle.de seit 2009 alle gedruckten Werke von Klaus Hemmerle, seine Aquarelle und seine Predigten im Aachener Dom als Audio-Dateien veröffentlicht. Der Klaus Hemmerle-Hemmerle-Preis, alle zwei Jahre von der Fokolar-Bewegung vergeben, hält durch die Ehrung der Preisträger die Erinnerung an den „Brückenbauer“ Hemmerle wach.
An den Anfang stelle ich eine steile Aussage:
Jesus ist für Klaus Hemmerle das Wort Gottes schlechthin. Was dieses für ihn konkret bedeutet, drückt er präzise mit diesen Worten aus:
Jesu Leben ist von Anfang an Antwort, ist von Anfang an „Ja“. In ihm fallen Ursprung-Sein und Antwort-Sein absolut zusammen. Er ist gefragt worden, ob er Mensch werden will. Und er hat gesagt: „Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Hebr 10,9). „So sind wir von Anfang an hinein genommen in diese Wirklichkeit der Beziehung zwischen Vater und Sohn. Dieses Ja zwischen Vater und Sohn ist der Raum, in dem auch wir bejaht, gemeint, ermöglicht, geschaffen und erlöst sind. Das Ja zwischen Vater und Sohn gründet und umschließt in Freiheit mich und alle und alles. (1)
Klaus Hemmerle hatte seine Theologie ebenso gut wie seine Philosophie studiert. Durch seine theologischen Lehrer, die Freiburger Theologieprofessoren Anton Vögtle (NT) und Alfons Deissler (AT), war er sehr tief vertraut mit der historisch-kritischen Methode der Exegese und mit einer vom Glauben der Kirche gespeisten Bibeltheologie. Aber erst durch Chiara Lubich, der Gründerin der Fokolar-Bewegung ging ihm auf, dass das Wort Gottes dann wirklich seine Kraft entbirgt, wenn es gelebt wird. Durch Chiara Lubich wurde ihm klar, dass das Leben nach dem Wort, mit dem Wort und aus dem Wort dieses selbst erschließt und auch eine neue Exegese und Erkenntnis freisetzt. Das Wort, das in das Leben des Menschen hinein agiert und ihn dadurch verändert, erschließt in diesem Prozess des Lebens seinen tiefsten Sinn. Das Leben nach dem Wort wurde für Klaus Hemmerle dadurch zum hermeneutischen Schlüssel des Alten und Neuen Testamentes.
1958, auf einem der großen frühen internationalen Sommertreffen des Fokolars, der Mariapoli in den Dolomiten, lernte er das Charisma der Einheit kennen. Er machte dabei eine fundamentale Entdeckung: Das von Jesus angekündigte Reich ist jetzt schon da, im Hier und Jetzt, weil das neue Gebot, die gegenseitige Liebe gelebt wird. Hören wir seine Worte:
Bei der Ankunft wurde man sofort mit einer so herzlichen Liebe empfangen, dass ich einen Moment lang irritiert war. Ich gewann bald den Eindruck, als ob mir in diesem großen offenen Talkessel und unter diesem offenen Himmel alles sagt: Gott ist Liebe! Liebe war nicht nur ein Gebot, sondern in erster Linie ein Geschenk: Gott ist Liebe, Gott liebt dich unendlich. In diesem Geschenk war Gott selbst anders geworden, als ich ihn zuvor kannte. (2)
Durch das Charisma trat offensichtlich eine neue Dimension in sein Leben: Das Wort leben, vivere la Parola – er sprach das Wort „Parola“ mit ganz tiefer Ehrfurcht, ja mit Ergriffenheit aus. Er machte seine Erfahrungen mit dem Wort und gab sie weiter, wie es damals zu Anfang der 60-er Jahre vielleicht noch stärker üblich war als heute. Jeden Monat schrieb er seine Erfahrungen mit dem Wort auf. Der damalige Verantwortlicher vom Züricher Männerfokolar, Carl Antonio Tomassin (+ 2002) – Freiburg gehörte damals zum Züricher Fokolar erinnert sich deutlich:
Und wie lebte er mit uns? Regelmäßig schickte er mir einen Brief, handgeschrieben, und teilte mir mit, wie er gelebt hatte, ganz konkret, in allen Einzelheiten. Dass er sich in dieser Weise preis- gab im Leben der Einheit, dieses Sich-selbst-ausliefern an den anderen im Wissen, dass dieser kein Theologe war, sondern ein junger Mann, den er aber ernst nahm als seinen Fokolar-Verantwortlichen. (3)
Was das Wort mit ihm machte, wie das Wort als eigentliches Subjekt seines Lebens ihn veränderte, das berichtete er mit tiefer Freude und großem Ernst, sowohl im Priesterfokolar, als auch später bei den Bischöfen. Das Wort war die Grundlage seiner Predigten, die wegen ihrer Gelehrsamkeit und intellektuellen Klarheit und ihrer Nähe zum Leben sich dem Leben nach dem Wort verdankten. Es war am Ende der 80-er Jahre, dass Chiara Lubich ihn noch einmal besonders herausforderte. Im Blick auf die angedachte theologische Arbeit an ihren mystischen Texten, was in der Scuola Abba in Zusammenarbeit mit Bischof Hemmerle geschehen sollte, bat sie ihn, noch intensiver als bis dahin das Wort zu leben und darüber ganz unmittelbar mit ihr in Verbindung zu bleiben und ihr auch zu berichten, was in seinem Leben, durch das gelebte Wort veranlasst, passiere. So wie sie Chiara Lubich von 1943 bis 1949 „nur“ das Wort gelebt habe und dann mit ihren mystischen Erfahrungen, die sie „Paradisi“ nannte, beschenkt worden sei, solle er es auch tun. Klaus Hemmerle begab sich daraufhin erneut auf einen geistlichen Weg unter ihrer Anleitung und schrieb Tag für Tag auf, was ihm im Leben mit dem Wort begegnete. Jeden zweiten Tag gab er nach dem Frühstück in einem Telefongespräch Chiara Lubich weiter, was passiert war. Er schrieb es jeden Tag auf. Und Chiara Lubich gab ihm dann weitere Orientierung. Ich habe die Hefte gesehen, in denen er dieses eintrug und habe immer wieder erlebt, wie er sich daran machte, ihr alles vorzulegen. Er ging ganz konkret in ihre Schule, so wie es Kardinal Lehmann beim Begräbnisgottesdienst in Aachen 1994 gesagt hat:
So hat der Bischof von Aachen vor allem durch die Weitergabe seiner geistlichen Erfahrung im Zeugnis des Wortes gewirkt, nicht zuerst durch geistliche Vollmacht und Gesetz. (4)
Ich möchte einfach sechs Schrift-Worte vorstellen, die Bischof Hemmerle besonders ans Herz gewachsen sind.
Zwei Worte der Schrift waren ihm besonders wichtig, weil sie ihm von Chiara Lubich geschenkt wurden. 1969 hatte er Chiara Lubich, wie es damals viele taten, um ein Lebenswort gebeten, um ein Wort, in dem sich das eigene disegno sozusagen kristallisiert. Ich erinnere mich noch genau an seine Freude über den Brief, in dem sie ihm sein Wort mitteilte: Joh 14,20, ein Wort aus den Abschiedsreden, in der das gegenseitige inne-sein von Vater und Sohn und von Jesus und seinen Jüngern beschrieben wird:
„An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (Joh 14,20). Dieses Wort erschloss ihm das wechselseitige Einer – im – anderen – Sein, das er bei Jesus in dessen Verhältnis zum Vater und zu den Jüngern deutlich sehen konnte. Von diesem Wort her bekam für ihn die Nachfolge Jesu den besonderen Akzent, im anderen zu sein. Er bemühte sich ganz konkret für den anderen bei sich Raum zu schaffen, so dass der andere in ihm sein konnte. Entscheidend war für Klaus Hemmerle Hemmerle die Begegnung mit Gott im Nächsten, dann aber auch mit jedem Menschen selbst.(5)
Als die Erwählung zum Bischof von Aachen ihn erreichte, war eine seiner ersten Überlegungen, unter welches Wort er seinen bischöflichen Dienst stellen sollte. Er fragte Chiara Lubich, und sie gab ihm das Wort: Joh 17,21. Klaus Hemmerle goss dieses Wort in die Formulierung: Omnes unum, ut mundus credat. Die bei der Bischofsweihe ausgesprochene Einladung an das Bistum, mit ihm dieses Wort zu leben, hat er persönlich ganz buchstäblich eingelöst. Dieses Wort bedeutete für ihn, dass es Gott um alle ging, und dass er als Bischof darum nicht anders konnte, als sich allen zuzuwenden. Dies hatte Folgen bis in seinen Arbeitsstil im Alltag. Er beantwortete alle Briefe. Er war bereit mit jedem zu sprechen. Er war telefonisch erreichbar, noch bis spät am Abend. Die ungeheure Last, die er damit auf sich nahm, war ihm durchaus bewusst. Er hat auch daran gearbeitet, den Tag einzuteilen, Aufgaben zu delegieren, für Ruhezeiten zu sorgen. Aber er achtete sehr darauf, dass für solche Maßnahmen nicht andere abgeschnitten oder sich selbst überlassen wurden.(6)
Bei der Bischofsweihe erklärte er seinem Bistum dieses Wort aus dem Johannesevangelium, alle eins – damit die Welt glaubt. Ihm war nur eines wichtig: Er will Wort sein, Wort Gottes, zusammen mit den Gläubigen der Diözese. Darum spricht er so „direkt“:
Geben wir Raum Jesus Christus. Er hat nicht sich gebracht, er hat nicht sich gepredigt. Er war von einer einzigen Leidenschaft ergriffen, davon, den Willen des Vaters zu tun. Er ist sein Ausdruck, sein Wort. Und indem er das ist, ist er unser Wort, unser Ausdruck. Alles, was in der Welt drinnen ist, spiegelt sich auf dem Antlitz des gehorsamen Gottesknechtes Jesus. Er hat unsere Last getragen. Er ist der einzige Sohn, er ist das Wort des Vaters und ist so unser Wort.
So verstehe ich meine Aufgabe zunächst: nicht mich zu bringen, nicht mich zu sagen, sondern Wort zu sein, lebendiges, inkarniertes Wort des Evangeliums, Wort Gottes, und liebend – hörend – annehmend Wort der Gemeinden, Wort eines jeden einzelnen, der mir begegnet. Ich muss ein leeres Herz haben für Gott, ich muss ein leeres Herz haben für jede und jeden, der mir begegnet. Ich weiß, dass das ein Risiko ist, es zu sagen. Aber es ist das Maß Jesu, und wehe mir, wenn ich dieses Maß nicht zu meinem mache. Wir alle wollen Wort werden für das Evangelium und Wort füreinander. (7)
Und dann kommt immer wieder dieses Jesus-Wort über seine Lippen: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 13,34). Dieses Wort faszinierte ihn ganz besonders, das Wort Jesu zum neuen Gebot Jesu. Dabei war es ihm wichtig zwei Wörter richtig zu deuten, das Wort Neu und das Wort Wie. Neu heißt hier kainos, nicht neos. Nicht der Gegensatz alt - neu ist angepeilt, sondern die Kraft zum Echten, zum neuen Anfang, der sich denen erschließt, die sich gemeinsam auf das neue Gebot der gegenseitigen Liebe einlassen. Und dann das Wort „Wie“: Liebt einander wie ich euch geliebt habe. Das Wort Jesu ist eine Zusage. Dieses Wort gibt die Kraft, wie Jesus lieben zu können. Es ist schöpferisch, kreativ wie das Wort im Schöpfungsbericht (Gen 1): „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht“. Davon war er durch seine eigene Erfahrung zutiefst überzeugt:
Es war auch eine tiefe persönliche, innere Erfahrung auf meinem geistlichen Glaubensweg; es geht nicht, wenn wir nicht in einer ganz tiefen Weise Beziehung neu miteinander leben …. Durchaus so, dass eben dieses ganz andersartige Zusammengehören als nur durch eine kulturelle Tradition oder durch eine Ideologie, dass jenes Zusammengehören, das wirklich durch die Hingabe Jesu begründet ist, eigentlich eine Alternative wäre …, und dass dieses Auseinanderdriften von Gruppen, Generationen, von Kirchen, von oben und unten, von verschiedenen Ideologien, dass dies von innen her eine Alternative finden könnte, wenn wir so umgehen, wie Jesus eben uns das in seinem neuen Gebot geschenkt und geoffenbart hat. (8)
Die „Spitze“ aller Worte Jesu, die Summe dessen, was Jesus schenkt, war für ihn Jesus der Verlassene mit seinem Wort „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mt 27,45). In Jesus dem Verlassenen sah er die höchste Offenbarung des Gottes, der die Liebe ist. (9)
Vielfach hat er berichtet, wie Chiara Lubich ihm diese Realität geschenkt hat. Jesus der Verlassene ist die größte Entdeckung des 20. Jahrhunderts, so sagt er zusammen mit Reinhard Pünder, den er in den „Wegmarken der Einheit“ indirekt zitiert. In diesem Buch liefert er eine theologische Exegese des Textes von Chiara Lubich „Ich habe nur einen Bräutigam hier auf Erden“. Er erklärt, wie Jesus der Verlassene das Wort Gottes schlechthin ist. Es ist deutlich zu erkennen, dass er selbst aus der Gemeinschaft mit Jesus in seiner Verlassenheit lebte, und darum auch zu einer eigenen Sprache fand:
Bis hin zu unserer Ferne von Gott und Verlassenheit von Gott, kommt Gott uns entgegen in der Hingabe seines Sohnes – in der Situation unserer Trennung von Gott und unserer Verlassenheit von Gott, die Jesus liebend auf sich nimmt, ruft er zum Vater, ruft er sich und uns in den Vater hinein. Er sagt hier gerade sein äußerstes, betendes Ja zum Vater. Das Ja Gottes zum Menschen und das Ja des Menschen zu Gott ereignen sich im Ja des Vaters zum Sohn und im Ja des Sohnes zum Vater. Die innigste Verbindung Gottes und des Menschen über den Abgrund der Ferne, ja der Trennung hinweg geschieht im Innersten Gottes, im Ereignis der dreifaltigen Liebe zwischen Vater und Sohn im einen Geist. (10)
Das Bild des zwischen Himmel und Erde ausgespannten, sich von den Menschen und von seinem Vater verlassen erfahrenden Jesus ist das „Ecce homo“ schlechthin für den Menschen von heute, ist sein Spiegel. Aber eben ein Spiegel, in dem dieser Mensch nicht nur sich selbst, sondern ebenso das ihn unendlich Übersteigende anschauen kann, den Gott, der aus Liebe sich hinein begibt in seine Situation. Die eigene Einsamkeit und Verlassenheit selbst wird zum Ort, an dem die Liebe Gottes ihm begegnet. (11)
Das Wort „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) durchzieht das gesamte Handeln und Leben von Klaus Hemmerle. Man könnte sagen, in diesem Wort erfüllte sich für ihn alles, was er für die Kirche und mit der Kirche lebte. Durch dieses Wort wusste er sich mit allen Bischöfen, Priestern und Laien auf einer Ebene. Dieses Wort eröffnete ihm den Raum, in dem sich Christus immer neu, Tag für Tag, schenkt. Das war für ihn einerseits ein hoher Anspruch:
Sich in seinem Namen versammeln, das heißt in ganzer Konsequenz: seinen österlichen Weg durch den Tod in das Leben, in seine Gegenwart als Lebendiger gehen. Wir können diesen selben Weg nochmals in einer neuen Perspektive sehen und gehen: in der Perspektive der Menschwerdung. Hier wird Jesus in der Mitte sichtbar als Erfüllung der Geschichte Gottes mit dem Menschen innerhalb der Geschichte. (12)
Dieses Wort zeigte sich für ihn noch mehr durch den Blick auf Maria. Ihm ist klar geworden: Menschen, die das „Wo zwei oder drei“ leben, nehmen teil an der Mutterschaft Mariens für Jesus:
Sicherlich ist Maria in dieser Würde der Gottesgebärerin die eine und einmalige Spitze menschheitlicher Geschichte, die sich mit der Geschichte Gottes vermählt, die von Gott in seine Geschichte mit den Menschen konstitutiv aufgenommen wird. Und doch ist Maria nicht nur Vollendung, sondern auch Typus, Modell, Anfang. Im Leben von Kirche geschieht, was an ihr und durch sie geschah. Auch in der Kirche lebt die Mutterschaft des Herrn, lebt Gottes Wirken, das durch menschliches Mitwirken den Herrn selber hervorgehen lässt in die Geschichte hinein. Durch Verkündigung und Zeugnis wird das Wort Menschen weitergegeben, damit es in ihnen Leben gewinne, und die Menschen so lebendiges Wort, „anderer Christus“ werden. (13)
Abschließend erwähne ich ein weiteres Lieblingswort, diesmal aus dem Alten Testament, aus dem Buch Exodus:
„Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören“. (14)
Er kommentiert dieses Wort so:
Israel wird zu Gottes besonderem Eigentum unter den Völkern, zu seinem priesterlichen Volk. Die Aufgabe Israels ist es, den Namen Gottes unter den Völker bekannt zu machen, Repräsentant Gottes unter den Völkern zu sein. Wenn dieses Volk eins ist mit Gott und darin seine völkische Einheit wahrt, lebt in der Welt das Zeugnis für die Macht, Treue und Größe dieses Gottes. (15)
Zusammenfassend möchte ich feststellen:
In nuce steht in diesen Lieblingsworten von Klaus Hemmerle, das Gebirge einer Theologie des Wortes vor uns, an der er zeit seines Lebens gearbeitet hat. Ich zitiere nur einige Sätze aus den „Wegmarken der Einheit“:
Gott offenbart uns in Jesus sein Wort, damit es unser Leben werde. So soll das Wort, das in Jesus substantiell Fleisch wurde, auch in seinem Leib, der die Kirche ist, Fleisch und Leben werden. (16)
Der Vater spricht sich ewig aus, teilt sich ewig mit in seinem Wort als die rein sich verschenkende Liebe. Und dieses Wort ergeht nun in die Welt durch die Hingabe seines Sohnes in unsere Verlorenheit und Verlassenheit hinein. Der Sohn ist das ewige Wort des Vaters, das ihn ungeschmälert und rein aufgehen lässt in sich selbst, ihn verherrlicht als die ewige, gleichwesentliche Antwort auf den Vater. (17)
Klaus Hemmerle hatte immer das griechische Neue Testament in der Ausgabe von Nestle auf dem Tisch oder bei sich, wenn er auf Reisen ging. Wenn es ging, las er die Bibelstelle im Original auf Griechisch. In den Ferien, z.B. mit Toni Weber in Zermatt 1978, lasen wir einmal das Markus-Evangelium gemeinsam.
Das monatliche Wort des Lebens samt Kommentar von Chiara Lubich gehörte ebenfalls zum Reisegepäck. Wenn wir uns bei Tagungen oder Veranstaltungen trafen, erinnerte er zuerst das Wort des Lebens, das gerade im Fokolar gelebt wurde. Es ist bei ihm in Fleisch und Blut übergangen, das Wort zu hören, es zu leben und sich dann darüber auszutauschen. Der Austausch am Abend über das Wort des Lebens war ihm ganz selbstverständlich wie das Beten der Komplet.
Ohne Übertreibung kann man sagen, dass die Pastoral, auch seine bischöfliche Pastoral, im Wort Gottes gründete. Das gab er in seiner ersten Predigt als Bischof zu erkennen. Sein erstes Hirtenwort – in Deutschland wird in allen Diözesen zu Beginn der Fastenzeit in den Gemeinden das bischöfliche Hirtenwort verlesen – lud er eindringlich ein, das Wort Gottes zu leben. Er schlug vor, aus der Lesung des jeweiligen Sonntags ein Wort zu nehmen und es gemeinsam zu leben. Er gab kein Wort vor, sondern verwies auf die Schriftworte, die die Kirche durch ihre Leseordnung vor gibt: Er schloss den Brief an sein Bistum mit dem einfachen Satz: „Ich würde mich sehr freuen, gelegentlich von solchen Erfahrungen zu hören“. Dieser Hirtenbrief löste eine Kettenreaktion aus. Acht Wochen später schrieb er an jene, die ihm ihre Erfahrung mit dem Wort geschrieben hatten den fast berühmten Brief „Liebe Freunde im Wort“. Darin schlug er ganz konkrete Schritte vor, die er jedem und jeder ans Herz zu legen wagte:
Ich meine, es ist gut, sich auf längere Zeit hin, mindestens etwa auf eine Woche hin ein Wort zu nehmen, um es durch das Leben „durchzudeklinieren“. Und ich meine, es ist gut, wenigstens einen Menschen zu suchen, der mit einem dieses Wort lebt, sodass man sich mit ihm darüber austauschen kann.
Und später, als sein Brief angekommen war und viele geantwortet hatten, bekennt er in einem Brief seine besondere Freude:
Liebe Freunde im Wort! Der Austausch des Lebens aus dem Wort des Evangeliums zwischen so vielen im Bistum - das war für mich eine der kostbarsten Erfahrungen dieses Jahres. (18)
Das Wort „arbeitete“ im Bistum, indem es Gemeinschaft stiftete unter den Gläubigen im Bistum und mit dem Bischof. Es entwickelte sich die spirituell geprägte Gemeinschaft „der Freunde im Wort“, denen er brieflich seine eigenen Erfahrungen und Erklärungen regelmäßig mitteilte und die er einmal im Jahr nach Aachen einlud zu einem großen Treffen und Erfahrungsaustausch.
Durch dieses Leben nach dem Wort in seinem Bistum ging ihm noch mehr auf, dass dem Wort Gottes eine starke Bindekraft innewohnt, die den Auferstandenen gegenwärtig setzt unter denen, die in seinem Namen versammelt sind. Die Verknüpfung dieser pastoralen Erfahrung mit den Nöten des Bistums, wie Priestermangel und auch Gläubigenmangel (viele verließen damals die Sonntagsgottesdienstgemeinde), schenkte ihm die Einsicht, dass das Wort Gottes, gelebt in den Gemeinden und zwischen den Gemeinden, eine ganz besondere Art von Communio ermöglicht, die er Weggemeinschaft nannte. Eine solche „Weggemeinschaft unter dem Wort“ verwandelt menschliche Beziehungen von Grund auf und hat eine besondere Chance in einer Gott-leeren-Zeit, von der heutzutage auch die Kirche selbst nicht verschont bleibt. (19)
In einem späteren Hirtenwort beschreibt, was sich entwickeln kann:
Lassen wir uns auf dieses Leben ein, dann wird uns aufgehen, dass da noch ein anderer ist als der Vater und der Sohn. Wir tauchen in eine Lebensatmosphäre ein, die nicht von uns hergestellt werden oder nachträglich sich bilden kann. Wir tauchen ein in den Heiligen Geist und verstehen plötzlich die Schrift: „Und keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“. (1 Kor 12,3) „Und niemand kann zu Gott „Vater“ sagen außer in dem Geist, der in uns wohnt „Abba, Vater!“ (Röm 8,15). (20)
Ihm wurde immer klarer, dass sich die Weggemeinschaft unter dem Wort in viele Richtungen weiter entwickeln kann. Das Leben nach dem Wort bekam für ihn eine immer deutlicher werdende ökumenische Dimension. Er hatte dabei sowohl die evangelischen Superintendenten im Aachener Revier als auch die evangelischen Bischöfe in Deutschland im Blick. Dies war, so darf man wohl sagen, ein wichtiger pastoraler Schwerpunkt seiner bischöflichen Pastoral.
Eine besondere Bezugsperson war für ihn der damalige Bischof Martin Kruse von Berlin. Immer wieder hat Klaus Hemmerle erzählt, dass er 1980 in Mainz beim Treffen von Johannes Paul II. mit den deutschen evangelischen Bischöfen anwesend war. 30 Minuten nach dieser Begegnung wurde er von Bischof Kruse gebeten seinen eigenen Namen in dessen Bibel zu schreiben. Jahre später berichtet er:
Er hat aus seiner Hosentasche eine kleine Bibel gezogen, die er immer bei sich hat, und hat mir gesagt: „Nun schreiben Sie ihren Namen auf die erste Seite dieser Bibel“.
Auf diese Unterschrift bezugnehmend hatte Klaus Hemmerle schon bald an Bischof Kruse Folgendes geschrieben:
Ich habe an keine Unterschrift, an keinen Namenszug, den ich dieses Jahr setzte, soviel gedacht und so gerne gedacht wie an meinen Namen in ihrer Bibel. (21)
Dies war für ihn eine tiefe Erfahrung jener Einheit, die im Wort Gottes gründet. Jahre später kommentiert er dieses Ereignis noch einmal bei einem Treffen von 200 evangelischen und katholischen Pfarrern im Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring:
Dein Name steht in meiner Bibel. Dein Name ist eingeschrieben in das Wort, aus dem ich lebe, das ich lebe, jenem Wort, das ganz Er ist und das ganz ich bin, und da bist du mit dabei, dass alle eins werden. Ist das nicht sozusagen auch das, was heute zwischen uns geschieht? (21)
Wir können tatsächlich feststellen:. Das Wort Gottes ist für Klaus Hemmerle die Achse des Lebens. Das Wort Gottes ist für ihn ein unergründliches Thema. Ich kann wirklich nur sagen: Er war verliebt in Gottes Wort.
____________________________________________________________________
(1) Vgl. Wilfried Hagemann, Verliebt in Gottes Wort, Würzburg 2008, S. 165
(2) Vgl. Ebd., S. 308
(3) Vgl. Ebd., S. 50
(4) Vgl. Ebd., S. 293
(5) Vgl. Ebd., S. 98-99
(6) Vgl. Ebd., S. 99
(7) Vgl. Ebd., S. 258
(8) Vgl. Ebd., S. 163
(9) Vgl. Klaus Hemmerle, Wegmarken der Einheit, München 1982, S. 28
(10) Vgl. Ebd., S. 42-43
(11) Vgl. Ebd., S. 37-38
(12) Vgl. Ebd., S. 64
(13) Vgl. Ebd., S. 66
(14) Vgl. Ex 19,4-6
(15) Vgl. Klaus Hemmerle, Wegmarken der Einheit, S. 16
(16) Vgl. Ebd., S. 82
(17) Vgl. Ebd., S. 44
(18) Vgl. Wilfried Hagemann, Verliebt in Gottes Wort, S. 106
(19) Vgl. Ebd., S. 166
(20) Vgl. Ebd., S. 166
(21) Vgl. Ebd., S. 203
(22) Vgl. Ebd., S. 204
Vortrag in Trient (Italien) für Bischöfe, Freunde der Fokolar-Bewegung, am 12. August 2011