Das gemeinsame Leben –
Voraussetzung und Frucht christlicher Verkündigung nach Dietrich Bonhoeffer
Die Bekennende Kirche (nach 1933) trat ganz klar und bewusst an gegen die „Deutschen Christen“, die dem Rassismus verfallen waren und die evangelische Kirche mit braunen Kräften unterwandert und sich die kirchlichen Ämter gefügig gemacht hatten.
Allen Kräften, die in diesem geistlichen Widerstand lebten, ging es ganz bewusst darum, einen guten theologischen Nachwuchs zu formen und zu bilden. Dafür wurde eine neue Form des Predigerseminars entwickelt. Diese Aufgabe wurde unter anderem dem gescheiten und von tiefer Spiritualität und Theologie geprägten damals in London als Auslandsdeutschen-Pfarrer lebenden Pastor Dr. Dr. Dietrich Bonhoeffer anvertraut.
Am 4. Juli 1934 tagt der alte preußische Bruderrat der Bekennenden Kirche. Auf der Tagesordnung steht die Einrichtung und Leitung von Predigerseminaren. Es wird der Beschluss gefasst, Dietrich Bonhoeffer mit der Leitung einer solchen Einrichtung zur Ausbildung des Theologischen Nachwuchses zu beauftragen. Er nahm diese Aufgabe in großer Verantwortung an und machte sich sogleich Gedanken über die Lebensform seiner künftigen Seminaristen. Geistliches Leben und theologisch verantwortete Pastoral gehörten für ihn zusammen. Überraschend für mich: Seine Gedanken gingen sofort zum Mönchtum, weil er sich eine Predigerausbildung nur in Gemeinschaft vorstellen konnte. Und ebenso überraschend: Das alte Mönchtum studierte er in England in seiner anglikanischen Form.
Interessant ist für mich: Nicht nur das Erlernen der Gemeinde-Praxis stand für ihn im Vordergrund, sondern ein durch den Glauben geprägtes gemeinsames Leben.
Bonhoeffer´s Grundidee und Grunderkenntnis für ein Predigerseminar war die Theologie des Bruders. Er sah im Bruder, „der mit mir im gleichen Predigerseminar“ lebt, ein Geschenk. Es ging ihm dabei um eine christliche Beziehung, die in Christus selbst gründet, nicht in Emotionen. Es lohnt sich einige Texte zum christlichen Bruder sein zur Kenntnis zu nehmen.
Um diese Bruderschaft zu lernen und zu ermöglichen, gab Bonhoeffer seinem Predigerseminar ein ganz bestimmtes Fundament und eine ganze klare Tagesordnung: Miteinander leben, miteinander studieren, miteinander glauben, die Freizeit gemeinsam zu verbringen und dies alles unter einer klaren Gebetsordnung. Das Gebet, das Hören auf das Wort Gottes und die Meditation waren für ihn wesentliche Akzente dieser Ausbildung. Ergreifend sind für mich auch seine Ausführungen zum Thema Beichte und Abendmahl.
Das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Zingst und Finkenwalde bestand nur kurze Zeit (1935 – 1937). 112 Kandidaten kamen hierher zur Ausbildung und später noch einmal in den Sammelvikariaten in Ostpreußen weitere 22 Seminaristen.. Aus den Erfahrungen dieses Predigerseminars entstand dann das Buch „Das gemeinsame Leben“ (Chr. Kaiser-Verlag, München 1939; jetzt im gleichen Verlag als fünfter Band von Dietrich Bonhoeffer Werke, München 2002).
Einige zentrale Gedanken aus diesem Buch möchte ich nun zitieren:
„Es ist Gottes Gnade, dass sich eine Gemeinde in dieser Welt sichtbar um Gottes Wort und Sakrament versammeln darf. Nicht alle Christen haben an dieser Gnade teil. Die Gefangenen, die Kranken, die Einsamen in der Zerstreuung, die Verkündiger des Evangeliums im Heitmischen Lande stehen allein. Sie wissen, dass sichtbare Gemeinschaft Gnade ist.“
„Die leibliche Gegenwart anderer Christen ist dem Gläubigen eine Quelle unvergleichlicher Freude und Stärkung. Im großen Verlagen ruft der Gefangene Apostel Paulus „Seinen lieben Sohn im Glauben“ Timotheus in den letzten Tagen seines Lebens zu sich ins Gefängnis. Er will ihn wieder sehen und bei sich haben…. „
„Der Gefangene, der Kranke, der Christ in der Zerstreuung erkennt in der Nähe des christlichen Bruders ein leibliches Gnadenzeichen der Gegenwart des Dreieinigen Gottes. Besucher und Besuchter erkennen in der Einsamkeit aneinander den Christus, der im Leibe gegenwärtig ist, sie empfangen und begegnen einander, wie man dem Herren begegnet. … Liegt aber schon so viel Seligkeit in einer einzigen Begegnung des Bruders mit dem Bruder, welch unerschöpflicher Reichtum muss sich dann für die auftun, die nach Gottes Willen in täglicher Gemeinschaft des Lebens mit anderen Christen zu leben gewürdigt sind!“
Er sieht auch die möglichen Gefahren:
„Freilich, was für den Einsamen unaussprechliche Gnade Gottes ist, wird von dem täglich Beschenkten leicht missachtet und zertreten. Es wird leicht vergessen, dass die Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann, das ist nur eine kurze Zeit sein mag, die uns noch von der tiefsten Einsamkeit trennt. Darum, wer bis zur Stunde ein gemeinsames christliches Leben mit anderen Christen führen darf, der Preise Gottes Gnade aus tiefstem Herzen, der danke Gott auf Knien und erkenne: Es ist Gnade, nichts als Gnade, dass wir heute noch in der Gemeinschaft christlicher Brüder leben dürfen“.
„Das Maß, in dem Gott die Gabe der sichtbaren Gemeinschaft schenkt, ist verschieden. Den Christen in der Zerstreuung tröstet ein kurzer Besuch des christlichen Bruders, ein gemeinsames Gebet und der brüderlicher Segen, ja ihn stärkt der Brief, den die Hand eines Christen schrieb. Der eigenhändige geschriebene Gruß des Paulus in seinen Brief war doch wohl auch ein Zeichen solcher Gemeinschaft. Anderen ist die sonntägliche Gemeinschaft des Gottesdienstes geschenkt. Wieder andere dürfen ein christliches Leben in der Gemeinschaft ihrer Familie leben“.
Das Leben im Prediger-Serminar als Geschenk:
„Junge Theologen empfangen vor ihrer Ordination das Geschenk gemeinsamen Lebens mit ihren Brüdern für eine bestimmte Zeit. Unter ernsten Christen der Gemeinde erwacht heute das Verlangen, sich in den Ruhepausen ihrer Arbeit für einige Zeit mit anderen Christen zu gemeinsamen Leben unter dem Wort zusammen zu finden. Gemeinsames Leben wird von den heutigen Christen wieder als die Gnade begriffen, die es ist, als das „Außerordentliche, als die Rosen und Lilien des christlichen Lebens“ (Zitat nach Luther)“.
Was macht christliche Gemeinschaft aus?
„Christliche Gemeinschaft heißt Gemeinschaft durch Jesus Christus und in Jesus Christus. Es gibt keine christliche Gemeinschaft, die mehr, und keine, die weniger wäre als dieses. …Wir gehören einander allein durch und in Jesus. Was heißt das? Es heißt 1., dass ein Christ den Anderen braucht, um Jesus Christi Willen. Es heißt 2., dass ein Christ zum Anderen nur durch Jesus Christus kommt. Es heißt 3., dass wir in Jesus Christus von Ewigkeit her erwählt, in der Zeit angenommen, und für die Ewigkeit vereinigt sind.“
Bei diesem Thema argumentiert er ganz christologisch:
„Christus ist der Mittler geworden und hat Frieden gebracht mit Gott unter den Menschen. Ohne Christus kennten wir Gott nicht, könnten wir ihn nicht anrufen, nicht zu ihm kommen. Ohne Christus aber kennten wir aber auch den Bruder nicht und könnten nicht zu ihm kommen. Der Weg ist verstperrt durch das eigene Ich. Christus hat den Weg zu Gott und zum Bruder frei gemacht. Nun können Christen miteinander in Frieden leben. Sie können einander lieben und dienen, sie können eins werden. …Nur in Jesus Christus sind wir eins, nur durch ihn sind wir miteinander verbunden. Er bleibt in Ewigkeit der einzige Mittler. …Wir gehören zu ihm, weil wir in ihm sind. Darum lehrt uns die Schrift den Leib Christi. Sind wir aber, eh wir es wissen und wollen konnten, mit der ganzen Gemeinde in Jesus Christus erwählt und angenommen, so gehören wir auch miteinander in Ewigkeit zu ihm. Die wir hier in seiner Gemeinschaft leben, werden einst in ewiger Gemeinschaft bei ihm sein. Wer seinen Bruder ansieht, soll wissen, dass er ewig mit ihm vereinigt sein wird in Jesus Christus. Christliche Gemeinschaft heißt Gemeinschaft durch und in Jesus Christus“.
„Bruder ist einer dem Anderen allein durch Jesus Christus. Ich bin dem Anderen ein Bruder durch das, was Jesus Christus für mich und an mir getan hat; der Andere ist mir zum Bruder geworden durch das, was Jesus Christus für ihn und an ihm getan hat. Dass wir allein durch Jesus Christus Brüder sind, dass ist eine Tatsache von unermesslicher Bedeutung. Also nicht der ernste, nach Bruderschaft verlangende, fromme Andere, der uns gegenüber tritt, ist der Bruder, mit dem ich es in der Gemeinschaft zu tun bekomme; sondern Bruder ist der von Christus erlöste, von seiner Sünde Freigesprochene, zum Glauben und zum ewigen Leben berufene Andere“.
„Dass einer als Christ in sich ist, in aller Innerlichkeit und Frömmigkeit, vermag unsere Gemeinschaft nicht zu begründen, sondern dass einer von Christus her ist, ist für unsere Bruderschaft bestimmend. Unsere Gemeinschaft besteht allein in dem, was Christus an uns beiden getan hat.“
„Gemeinschaft mit den Anderen habe ich und werde ich haben, allein durch Jesus Christus. Je echter und tiefer unsere Gemeinschaft wird, desto mehr wird alles andere zwischen uns zurück getreten, desto klarer und reiner wird zwischen uns einzig und allein Jesus Christus und sein Werk lebendig werden.…“
„Das geht einem trüben Verlangen nach Mehr von vorne herein dem Abschied. Wer mehr haben will, als das, was Christus zwischen uns gestiftet hat, der will nicht christliche Bruderschaft, er sucht irgendwelche außerordentlichen Gemeinschaftserlebnisse, die ihm anderswo versagt blieben, der trägt in die christliche Bruderschaft unklare und unreine Wünsche hinein. An eben dieser Stelle droht der christlichen Bruderschaft meist schon ganz am Anfang die allerschwerste Gefahr, die innerste Vergiftung: Verwechslung von christlicher Bruderschaft mit einem Wunschbild, Gemeinschaft durch Vermischung des natürlichen Verlangens des frommen Herzens nach Gemeinschaft mit der geistlichen Wirklichkeit der christlichen Bruderschaft.“
„Es liegt für die christliche Bruderschaft alles daran, dass es vom ersten Anfang an deutlich werde: 1. Christliche Bruderschaft ist kein Ideal, sondern eine göttliche Wirklichkeit. 2. Christliche Bruderschaft ist eine pneumatische und nicht eine psychische Wirklichkeit“
„Die Seminaristen erfahren in der Beichte, wie sie – oft, ohne es zu bemerken – den einen oder anderen Bruder verletzt haben. Daraus erwächst für sie die Erkenntnis, wie notwendig Sensibilität und gegenseitige Rücksichtsnahme sind. Schließlich schlägt Bonhoeffer vor, dass wir jeder einen Bruder aussuchen sollen, der ihn durch tägliche Fürbitte begleitet.“
„Der erste Dienst, den einer dem Anderen in der Gemeinschaft schuldet, besteht darin, dass er ihn anhört. Wie die Liebe zu Gott damit beginnt, dass wir sein Wort hören, so ist es der Anfang der Liebe zum Bruder, dass wir lernen, auf ihn zu hören. Es ist Gottes Liebe zu uns, dass er uns nicht nur sein Wort gibt, sondern uns auch sein Ohr leiht. So ist es sein Werk, dass wir an unserem Bruder tun, wenn wir lernen, ihm zu zuhören“.
„So ergeht in der Christlichen Gemeinschaft der Ruf zur brüderlichen Beichte und Vergebung als zu der großen Gnade Gottes in der Gemeinde. In der Beichte geschieht der Durchbruch zur Gemeinschaft. … Der Sünder liefert sich aus, er gibt all sein Böses hin, er gibt sein Herz Gott, und er findet die Vergebung aller seiner Sünde in der Gemeinschaft von Jesus Christus und des Bruders. Die ausgesprochene, bekannte Sünde hat alle Macht verloren. …Sie vermacht die Gemeinschaft nicht mehr zu zerreißen und trägt die Gemeinschaft die Sünde des Bruders“.
„In der Beichte geschieht der Durchbruch zum Kreuz. …In der Beichte brechen wir durch zur echten Gemeinschaft des Kreuzes Jesu Christi, in der Beichte bejahen wir unser Kreuz. In den tiefen, geistlichen-leiblicher Schmerz der Demütigung vor dem Bruder, das heißt ja: vor Gott, erfahren wir das Kreuz Jesu als unsere Rettung und Seligkeit. …Nun haben wir teil an der Auferstehung Christi und am ewigen Leben.“
„In der Beichte geschieht der Durchbruch zum neuen Leben. …Das Alte ist vergangen. …Siehe, es ist alles neu geworden (2 Kor 5,17). Christus hat einen neuen Anfang mit uns gemacht. Wie die ersten Jünger auf den Ruf Jesus alles hinter sich ließen und ihm nachfolgten, so gibt der Christ in der Beichte alles hin und folgt nach. Beichte ist Nachfolge. Das Leben mit Jesus Christus und seiner Gemeinde hat angefangen“.
„Der Tag des Abendsmahls ist für die christliche Gemeinschaft ein Freudentag. Im Herzen versöhnt mit Gott und den Brüdern empfängt die Gemeinde die Gabe des Leibes und Blutes Jesu Christi und in ihr Vergebung, neues Lebens und Seeligkeit. Neue Gemeinschaft mit Gott und Menschen ist ihr geschenkt. Die Gemeinschaft des heiligen Abendmahls ist die Erfüllung der christlichen Gemeinschaft überhaupt. So wie die Glieder der Gemeinde vereinigt sind im Leib und Blut am Tische des Herrn, so werden sie in Ewigkeit miteinander sein. Hier ist die Gemeinschaft am Ziel. Hier ist die Freude an Christus in seiner Gemeinde vollkommen. Das gemeinsame Leben der Christen unter dem Wort ist im Sakrament zu einer Erfüllung gekommen“
Zuerst einmal möchte ich feststellen: Das gemeinsame Leben von Christen ist heute wieder höchst aktuell. Dafür sprechen die vielen Geistlichen Gemeinschaften und Kommunitäten, die sich nach dem Krieg in Deutschland und darüber hinaus entwickelt haben. Nicht nur in Taizé, sondern an vielen geistlichen Orten sehen wir heute, dass das gemeinsame Leben ein zentrales Kennzeichen von Christinnen und Christen geworden ist und dass darin auch auch die Ermöglichung neuer Fruchtbarkeit liegt.
Ich persönlich habe das gemeinsame Leben im Fokolar kennen gelernt. Das Fokolar hat mich und viele Freunde von mir zu einem gemeinsamen Leben angeleitet. Genau diese Chance hat auch Pfarrer Dr. Paul Christian empfangen, ergriffen und gelebt. Wir haben dabei auch die Entdeckung machen dürfen, dass das gemeinsame Leben fast unmittelbar der Verkündigung des Evangeliums dient.
Es ist zunächst wichtig darauf hinzuweisen, dass es heute unterschiedliche Formen gemeinsamen Lebens gibt:
a) Die Vita communis, wo Priester und manchmal auch Laien in einer unmittelbaren Lebensgemeinschaft unter einem Dach leben.
b) Wöchentliche oder monatliche Treffen in einer festen Gruppe als eine wichtige Variante der Vita communis für Priester und Laien, die ihren Dienst in den großflächigen Räumen einer oft weithin entchristlichten Gesellschaft, manchmal auch unter fast heroischen Umständen tun. Sie treffen sich unter dem Dach des Wortes Gottes, wöchentlich oder monatlich mit dem Ziel, die Erfahrung der lebendigen Gegenwart Jesu Christi untereinander zu erfahren und so die Bruderschaft in der Nachfolge des Herrn zu leben gemäß dem Wort von Mt 18,20: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter Ihnen“.
In den unterschiedlichen Kommunitäten und Geistlichen Gemeinschaften sind unterschiedliche Formen entwickelt worden, die zu einer solchen Erfahrung der Gegenwart Jesu führen. Bei den Gemeinschaften von Charles de Foucauld ist es die „Revision de Vie“ – eine in der Gegenwart der anderen geführte Meditation über das eigene Leben. Die gegenseitige Liebe und die Offenheit füreinander führen einfach dazu, dass sich der Geist Jesu und damit auch die Gegenwart Jesu den Teilnehmenden erschließt.
Auch im Fokolar sind bestimmte Formen entwickelt worden. Ich nenne einmal folgende: Der Austausch der Seele (comunione d´anima), Austausch über das Leben nach dem Wort Gottes, das Kolloquium – das Gespräch, wo einer den Anderen mit seinen Erfahrungen, Fragen und Nöten in sich aufnimmt - und die Stunde der Wahrheit als eine konkrete Form correctio fraterna.
Eine besondere Kraft geht auch von der Gütergemeinschaft aus, die mit dem Blick auf die Bedürfnisse des Einzelnen und auf die Sorge für die Armen zu einem rechten Gebrauch der Güter und zur Freiheit von ihnen führen kann. Wo diese konkret gelebt wird, entwickelt sich eine neue Dynamik auf Einheit hin. Hier erfüllt sich, worum Jesus in Joh 17, 21 gebetet hat: „Vater, gib dass alle eins seien, du in mir und ich in ihnen, damit die Welt glaubt“. Wo eine solche Einheit sich verwirklicht, entsteht eine Ausstrahlung, die die Freude des Christ-seins auch auf andere überträgt.
Gemeinsames Leben – das Evangelisierung ist.
Eine für die deutsche Bischofskonferenz erstellte soziologische Studie über die Situation der Kirche in Deutschland, die so genannte Sinus-Studie, zeigt auf, dass wir als Kirche insgesamt nur noch drei von zehn möglichen gesellschaftlichen Milieus erreichen. Der Grund der Kirchenferne so vieler gesellschaftlicher Gruppen liegt nicht nur an der in den letzten Jahren erfolgten Säkularisierung, sondern viel mehr an den Mitgliedern und den Hauptamtlichen der Kirche selbst, die ihre (missionarischen) Hausaufgaben nicht machen. Es ist Hunger nach Gott da, aber er wird nicht gestillt. Die Gottesdienste erscheinen vielen Zeitgenossen eher langweilig und nichts sagend. Positiven Eindruck machen immer noch alles, was die Caritas in ihren vielen Hilfsangeboten leistet, und die kirchliche Entwicklungshilfe in den großen Werken Misereor, Adveniat und Renovabis. Dabei stelle sich ganz neu und provozierend heftig die Sinnfrage in einer durch Relativismus, Hedonismus und zunehmende Arbeitslosigkeit geschwächten Gesellschaft. So suchten viele wieder die Nähe Gottes in den Gottesdiensten, gehen aber oft frustriert nach Hause.
Einige unserer Fokolarpriester haben sich ganz bewusst darauf eingelassen, mit diesen suchenden Zeitgenossen neue Formen, das Evangelium zu leben, zu entwickeln:
Leben und Mitarbeit in einer „neuen“ Gemeinde von Hauskreisen, die sich über eine ganze Millionenstadt erstreckt
Aufbau eines Netzwerkes von Brüdern und Schwestern, die abends um 21.45 sich zur Messe versammeln, durch das gemeinsame Leben aus dem Wort Gottes;
Spiritualitätskurse für bestimmte Zielgruppen (Jugendliche, Erwachsene, Lehrer, Ärzte und Krankenschwestern), die einen neuen persönlichen Anschluss an das Evangelium ermöglichen
Jugendkatechese und Jugendgottesdienst am Sonntagnachmittag, die jungen Leuten Sonntag für Sonntag die Chance geben, Jesus Christus kennen zu lernen und durch ihn Gemeinschaft mit anderen zu erfahren.
Priester, eingebunden in eine Gemeinschaft mit anderen Priestern und im Verbund mit Laien, die ebenso intensiv wie sie das Evangelium leben, erweisen sich als eine echte Quelle für die lebendige Erfahrung der Gegenwart Christi in der Mitte der Glaubenden. Sie leben wie Maria, die alles daran setzte, dass Christus zur Welt kommt. Ein solches „marianisches“ Wirken von Pfarrern und Kaplänen ist offen für Ihn und für die Menschen in ihrem jeweiligen Milieu, weil es geprägt ist von einem Dialog mit allen und gleichzeitig mitten in der Kirche steht.
Hier zeigt sich, dass es eine neue Sammlung der Priester und Pastoren braucht, um eine neue Sammlung des Volkes Gott zu ermöglichen.
Vortrag für Pfarrer Dr. Paul Christian in Wittenberg, Mai 2006