Predigt zum silbernen Priesterjubiläum von Peter Klasvogt

Lieber Peter,

es freuen sich viele Menschen aus nah und fern, diesen Festtag mit Dir zu begehen. Du bist es gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen und tätig zu sein, um der Sache der Kirche und des Evangeliums zu dienen. Heute geht es um Dich, um Deine Berufung, um Dein Leben als Priester. Ich könnte mir denken, dass es gar nicht so leicht für Dich ist, in dieser Weise im Mittelpunkt zu stehen.

Was soll ich Dir heute sagen? Was sagt dieses Fest heute uns? Du bist ein Mensch, in der Fülle seiner Kraft, auf der vollen Höhe des Lebens und Wirkens – und das als ein Mann Gottes, als ein Verkünder einer Botschaft, die weit über diese Welt hinaus reicht, die einen Horizont angibt, der sich manchmal im Alltag einfach verflüchtigt.

Das heutige Tagesevangelium könnte den Ton vorgeben, auf den es bei einem solchen Fest ankommt. Auf das Kleine kommt es an, das Unscheinbare, das nicht Ausdrückliche. Die Rede ist vom Senfkorn, dem kleinsten Samen, aus dem im Garten Israels und wärmerer Regionen eine große Pflanze wächst, die sogar den Vögeln Raum zum Leben bietet. Dieses klitzekleine Korn dient Jesus als Beispiel und Sinnbild für das, was er selbst unter dem Stichwort Reich Gottes immer neu ankündigt und anbietet.

Dieses Kleine, um das es geht, hat offensichtlich in sich ein großes Wachstumspotenzial. Was ist das Kleine, auf das es ankommt? Um welches Wachstum geht es? Es ist die Gottesherrschaft, besser gesagt: die Gegenwart Gottes, hier und jetzt, in dieser Welt, in dieser Zeit, in diesem Raum, die alles wandelt und öffnet und Menschen miteinander in Verbindung bringt, weil sie durch diese Gegenwart Gottes eine neue Freiheit erfahren, ein bisher nicht gekanntes Atmen Können, das innere Ruhe und zugleich neue Kraft gewährt. Die Gegenwart Gottes – sie fühlt sich klein an und unscheinbar und unaufdringlich und entfaltet ein Wachstum mit ungekannten Ausmaßen.

Das durfte ich in diesen Tagen in Berlin erleben. Ich war im Karmel Regina Martyrum und im Fokolar. An beiden Stellen begegnete ich einer Gruppe von Christen, die sich in dieser Weltstadt klein und unscheinbar, manchmal sogar verloren vorkommen. Sie sind geprägt vom Bemühen, den auferstandenen Herrn in dieser Metropole in ihrer Gemeinschaft lebendig zu halten. Und sie dürfen erleben, dass es immer wieder Menschen gibt, die bei ihnen Trost und Halt finden.

Das ist auch Dir, Peter, in Deinem Leben wichtig, seitdem Du Chiara Lubich und ihre Bewegung kennen lerntest. Das hast du auch wahrgenommen, wenn Du die ungeheure Tiefe und Breitenwirkung einer Mutter Teresa reflektiert hast. Eine kleine Tat der Liebe Sterbenden und Ausgesetzten in Kalkutta gegenüber, scheinbar das Einfachste vom Einfachsten – einem Menschen zu helfen – wird weltweit verstanden und anerkannt. Und doch ist es so schwer und fällt es uns auch heute nicht leicht, miteinander barmherzig umzugehen.

Die einfache Geste der Liebe wird ausgelöst nicht nur von einer Situation der Bedürftigkeit, sondern durch eine voran gegangene Begegnung mit Worten Jesu Christi, die wie ein Senfkorn in unsere Seele einsickern wollen. Wer erfahren hat, dass diese Worte ihn freimachen und öffnen, kann dieses Wachstum mitbekommen, das beflügelt und für die Not des Nächsten öffnet.

Ich glaube, dass dies bei Dir, Peter, lange bevor Du Priester werden wolltest, angefangen hat. Vielleicht liegt darin der Grund für Deine große Begabung für den Umgang mit jungen Menschen und deren Lebensentwürfe. Die „Rufpunkte“, die Du im Erzbistum - immer in Zusammenarbeit mit Priestern, Ordensschwestern und GemeindereferentInnen - ins Leben gerufen hast, kommen mir wie kleine Senfkörner vor, in denen die Zukunft der Kirche sich schon heute abzeichnet.

Auch heute, wo Du als Direktor der Kommende oder Akademiedirektor von Schwerte bundes- und europaweit agierst, ist Dein innerer Kompass darauf ausgerichtet, dass es zu diesem evangeliumsgemäßen Wachstum kommt. Dies ergibt sich nicht durch intellektuelle Kraftanstrengung, sondern durch ein Hören auf Dein Herz und die Bereitschaft zur immer neuen offenherzigen Begegnung mit den Menschen. Darum legst Du in der Sozialakademie der Kommende für Theologiestudenten aus Osteuropa und in der Campus-Akademie für Oberstufenschüler und –schülerinnen des Erzbistums Grundlagen, die – wie Senfkörner des Evangeliums – auf Wachstum und Reich-Gottes-Erfahrung ausgelegt sind.

Vor 25 Jahren hast Du Dich als Priester in den Dienst Jesu Christi gestellt, und Du dokumentierst durch die heutige Feier, dass Du das auch in Zukunft tun willst. Was macht das Wesen des Priestertums eigentlich aus, das angesichts der vielen Tätigkeiten manchmal auch uns Priestern aus dem Blick zu geraten droht? Kann im Kontext der heutigen Leistungsgesellschaft ein Mensch verstanden werden, dessen Ideal darin besteht, einem andern Platz zu machen, der größer ist als er? Die Theologie hat dafür den Begriff der „repraesentatio Christi“ geschaffen. Der Priester wird also als ein Mensch gesehen, in dessen Person sich Christus präsent machen will und der „in persona Christi“ handelt.

Damit dies geschehen kann, sind Voraussetzungen nötig. Klaus Hemmerle hat sie in dem wunderbaren Begriffspaar zusammengefasst: gerufen und verschenkt. Durch die Begegnung mit Jesus Christus erfährt der Priester, wer er selber ist. Er ist sich selbst geschenkt. Er darf sein, er darf leben. Er darf sich als ein sich Geschenkter erfahren.

Es ist nicht selbstverständlich, in so tiefer Weise angesprochen zu werden. Fast von selbst erlebt der durch den Ruf Gottes so Angesprochene den Impuls, sich seinerseits Gott zu schenken. In dieser Logik erfährt der Priester eine neue Freiheit. Er gibt sich aus der Hand, lässt sich von Gott verschenken und wird damit zum Geschenk für andere, für die Gemeinde… auch für eine Akademie. Der Priester ist also in doppeltem Sinne ein Geschenk. Für Gott und für die Menschen.

„Von diesem Ansatz her – so direktes Zitat von Klaus Hemmerle - wird sichtbar, welche hohe Bedeutung der priesterliche Zölibat hat und wie er über sich hinaus drängt zu einem Leben gemäß dem Geist der evangelischen Räte, auch der Armut und des Gehorsams. Nichts anderes mehr soll im Priester leben als Jesus Christus, an Ihn soll er sich ganz verschenken. Keine anderer Erfüllung, keinen anderen Besitz, keinen anderen Anspruch, keine andere Verfügung soll er haben. Jene Zellen des Herzens, die einer noch so edlen und gesegneten menschlichen Erfüllung vorbehalten sein können, soll er freihalten für Jesus Christus allein. Seine Hände soll er freihalten, dass er nichts anderes in ihnen hält als Ihn und so gerade Ihn selber zu geben vermag. Die tiefere Kontemplation, die tiefere Verwachsenheit mit Christus allein und so sogleich die größere Freiheit allen nahe zu sein und allen Jesus nahe zu bringen – das ist priesterliche Lebensform.“ (Aus einem Vortrag am 30. April 1982 im Vatikan)

Heutzutage ist es nicht so einfach in diesem hohen Sinn vom Priester als Geschenk zu sprechen, wie es Klaus Hemmerle getan hat. Missbrauchserfahrungen, die sich weltweit ereignet haben, und letzte Woche noch zu einem Leitartikel in der FAZ Anlass gaben, haben das Bild des Priesters verdunkelt und beschädigt. Da das Priestertum an sich ein Geschenk Gottes selbst ist, das dieser der Welt macht, nämlich dass Gott durch Personen, die er sendet, bei den Menschen ankommen will, wird es von Gott her seine Gültigkeit nie verlieren, selbst wenn wir versagen.

Wenn der Priester in diesem Sinne tatsächlich als Geschenk ankommt, entwickelt sich in der Gemeinde eine eigene Dynamik. Die Gemeinde, die den Priester als Geschenkten annimmt, wird wie von selbst in ein solches Schenken hinein genommen. Auch sie wird sich als Gabe, als Geschenk an die Welt verstehen können. In einer solchen Gemeinde kommt es zu einer verborgenen und doch wirksamen Gegenwart des auferstandenen Herrn. Er selbst ist in ihrer Mitte. Und so ereignet sich in der Gemeinde ebenfalls eine „repraesentatio Christi“.

Klaus Hemmerle unterschied in diesem Zusammenhang zwischen der „repraesentatio Christi corporis“ (der Gemeinde) und der „repraesentatio Christi capitis“ (des Priesters, der im Namen Christi handelt).

Auf diesem Hintergrund kann auch der Auftrag einer Akademie deutlicher verstanden werden: hier möchte sich die Kirche der Welt zum Geschenk machen, indem sie sich deren Themen stellt, sich deren Fragen zu Eigen macht und den Menschen Wege zur Erlangung ihrer ursprünglichen Würde und Freiheit bahnt.

Wie kann der Priester sein Geschenkt-Sein in Treue bewahren und leben? Wird es überhaupt noch verstanden? Von seinem eigentlichen Wesen kann ein Priester schlecht sprechen. Er kann es nicht verkündigen. Und trotzdem er braucht einen Raum, in dem er unbefangen und verbindlich diesen tiefsten Grund seiner Existenz wahrnehmen, verstehen und leben kann.

Wer unterstützt die Priester in ihrer Berufung? Wer stellt sich vor sie? Dies ist die vornehmste Aufgabe des Bischofs. So verstehe ich die Worte Christi: Stärke Deine Brüder! Die Visitation ist der angemessene Ort, die Gemeinde mit dem geistlichen Hintergrund des Priestertums vertraut zu machen. Sie bietet den Raum, mit den Priestern selbst ins Gespräch zu kommen, wie die Spannung zwischen Gemeindeleitung und Gemeindedienst, zwischen Vorsteherdienst und Fußwaschung glaubwürdig gelebt werden kann.

Je mehr das Leben der Priester und der Gemeinde Zeugnis eines verschenkten Lebens wird, desto mehr wird das Priestertum und das Christsein für junge Leute wieder attraktiv.

Lieber Peter, Du hast Dich beschenken lassen und verschenkst Dein Leben an Ihn und an die Menschen. Dafür möchte ich Dir von Herzen Dank sagen. Du hast auch durch Deine Bücher und Deine zahlreichen einschlägigen Artikel über das Leben und die Ausbildung der Priester der Kirche einen großen Dienst getan. Das dürfen wir nicht vergessen.

Was wünsche ich Dir, Peter, an diesem Tag? Ich wünsche Dir die Kraft und die Phantasie, Dich immer neu dem Herrn zu schenken und von Ihm her Deine Freiheit zugunsten der Menschen „zu verspielen“. Ich wünsche Dir, dass durch Dich viele Menschen den Herrn erkennen und zur gleichen Freiheit vorstoßen, sich ihrerseits zu verschenken. Dann können sich alle, die sich Dir verbunden fühlen, das Wort von Chiara Lubich zu Eigen machen: Lass mich, mein Gott, in der Welt das spürbare Sakrament Deiner Liebe sein.

Propsteikirche Dortmund, 14. Juni 2009

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