Leben mit Gott - Leben für Gott
Ehe und Ehelosigkeit als Zeichen heute

1. Es geht um Gott

Wir treffen uns hier in einer ernsten stunde der Kirche. Wenn Sie erwarten, dass ich über Priester, die den Dienst aufgeben und heiraten, den Stab breche, dann muss ich Sie enttäuschen. Wenn Sie erwarten, dass ich den Zölibat in Frage stelle, muss ich Sie eben-falls enttäuschen. Ich möchte zu Ihnen über etwas sprechen, was sich dem öffentlichen Disput entzieht und von ihm normalerweise gar nicht erreicht wird. Ich rede von Gott, ohne den eheloses Leben und Leben in einer sakramentalen Ehe nicht möglich ist. Ich rede von Gott, der alles geschaffen hat, auch den Leib, die Zärtlichkeit, die Sexualität.

Dieser Gott, den die Kirche in drei Personen verehrt und liebt, ist die Fülle des Lebens, er ist die Liebe selbst, die Fülle der Gemeinschaft. Wer diesem Gott begegnet, trifft auf eine ungeahnte Weite, Fülle, Freude, Kraft. Es ist nicht auszumessen, was mit dem Menschen passiert, der in seinem tiefsten Inneren erkennt: Gott ist Liebe; ich bin von ihm, von diesem Gott, unendlich geliebt.

Dieser Gott ist der Angelpunkt der Kirche, dieser Gott, der in Jesus Christus leibhaftig auf diese Erde kam. Ohne ihn kann weder Kirche noch christliche Ehe noch eheloses Leben verstanden und gelebt werden.

Dieser Gott wird in unserer Zeit von vielen Menschen nicht mehr verstanden. Er taucht oft als Zerrbild auf. Die Technik, die unser Leben ebenso wie die Wissenschaft prägt, geht von der Voraussetzung aus, als wenn es Gott nicht gäbe. Der Mensch der Moderne lebt, arbeitet, plant, als ob es Gott nicht gäbe. So kommt Gott für viele in eine Randposition. Die Existenz dieses Gottes ist für viele Zeitgenossen unsicher, fraglich. Zudem gibt unsere zeit unbewusst Menschen, die sich als Suchende und Fragende bezeichnen, den Vorzug vor denen, die sagen: "Gott existiert, ich bin ihm begegnet."

Statt dem persönlichen Gott zu dienen und ihn zu lieben, machen sich nicht wenige Zeitgenossen auf, das Göttliche zu suchen, das Allgemein-Religiöse zu erleben, wie es besonders deutlich wird in der neuen religiösen Welle des New Age. Andere suchen Gott in der Welt, in der Freiheit und Ungebundenheit, im Wohlstand, auch in der Sexualität. Spiritualität gibt sich heute nahezu innerwelt-lich. Es ist fast so, als wenn die Gaben Gottes in der Schöpfung und damit die Schöpfung selbst an die Stelle Gottes tritt.

Gleichzeitig stoßen wir heute an eine brutale Grenze: Die Menschen haben nur dann genug zu essen, wenn sie teilen. Und das ist so schwer. Ob Nord-Süd-Konflikt oder West-Ost-Gefälle, wie schwer fällt es uns zu teilen, den anderen Menschen gleich welcher Hautfarbe und Religion als Bruder oder Schwester zu sehen. Wer sein eigenes kleines Glück verteidigt, kann die Probleme unserer Welt nicht lösen. Er wird erleben, dass sie wachsen. Zur Lösung kann nur beitragen, wer bereit ist zu geben, wer teilen kann und teilen will.

Damit stellt sich für unsere zeit die entscheidende Frage: Wer kann Menschen bewegen, dass sie teilen, dass sie abgeben, dass sie sich auf die Not anderer einlassen und dass sie nicht nur für ihre kleine Welt leben, sondern für die ganze Welt? Wo ist jene Kraft, die den Menschen entscheidend öffnet? Es ist der lebendige Gott, der dreifaltige Gott, der selbst volle dynamische Gemeinschaft ist, den Jesus Christus uns gebracht hat.

Damit sind wir beim Evangelium, bei Jesus Christus selbst. Er lebt selber die Armut, er teilt sein ganzes Leben mit allen Menschen. Er lobt die Armut seiner Jünger, er bringt seine Jünger zum Teilen und Geben. Von seiner ersten Gemeinde in Jerusalem hören wir: "Sie hatten alles gemeinsam; keiner litt Not." (vgl. Apg 4,32-34) Über das Leben Jesu und das seiner Jünger kann das schöne Wort geschrieben werden: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt" (Joh 15,14).

Heute fällt es dem Menschen wirklich schwer, sein Leben zu geben. Aus eigener Kraft ist dies nicht möglich. Das kleine, persönliche Glück reicht nicht aus, um alle glücklich zu machen. Auch eine Ehe, die nur auf dem eigenen guten Willen aufbaut, ist vor Scheidung nicht sicher. Es ist tragisch, wenn Ehen zerbrechen, wenn die Kraft fehlt, einander treu zu sein. Auch Priester können ihre Ehelosigkeit nicht durchtragen und darin glückliche Menschen werden, wenn sie diese Ehelosigkeit nicht ganz grundlegend auf Gott hin ausrichten und in ihm die Kraft finden, ihr eigenes Leben zu geben. Wir erleben heute, dass viele Beziehungen nicht mehr tragen. In den Strudel des Zerbrechens fundamentaler Lebens-formen (ob Ehe, Familie, Jungfräulichkeit, priesterlicher Zöli-bat) wird auch die Kirche selbst gezogen. Durch die zunehmende Vereinzelung zerfallen nicht wenige Beziehungen innerhalb der Kirche und führen zu einem fast unmerklichen Kirchenaustritt.

Wie kann und soll da die Kirche reagieren? Wie kann sie sich auf diese neue Situation einstellen? Sie kann menschlich reagieren und einem einfacheren, für alle gangbaren Weg das Wort reden. Sie kann aber - und ich meine sie muss es tun - von dem reden und von dem leben, was ihr innerstes Geheimnis ist, was sie im Innersten trägt: und das ist Gott, er ist ihr ganzes Glück allein (vgl. Ps 16,2). Die Menschen, die den Glauben leben, wissen um Jesus Christus, der sich an sie total verschenkt hat, der starb, der den Kreuzestod erlitt, der der eigenen Vernichtung nicht auswich, der auferweckt wurde, der als jener lebt, der durch den Schmerz der Menschheit und das Nichts hindurchging. Von diesem Christus weiß sich die Kirche gehalten, geliebt, getragen, immer neu angenommen. Darum wissen die Glaubenden, weiß die Kirche in ihrem Innersten: Es lohnt sich, für diesen Christus alles auf eine Karte zu setzen. Was nicht in Gott und in seinem Wort gegründet ist, wird zerfallen.

Mir scheint, dass heute eine stunde der Wahrheit für die Kirche ist: Entweder sie setzt alles für diesen Christus und diesen Gott auf eine Karte oder sie kann den Menschen von heute nichts Wesentliches mehr geben, das, was den Hunger der Menschen stillt, was die Beziehungen unter den Menschen, auch innerhalb der Kirche, durchtragen lässt. Setzt die Kirche nicht alles auf eine Karte, nämlich auf das Evangelium, dann wird sie hohl und leer wie eine klingende Schelle (vgl. 1 Kor,13,1).

2. Blick auf die Anfänge des Christentums

Deswegen lohnt sich ein Blick auf die Anfänge des Christentums. Die ersten Christen haben eine Wahl getroffen für diesen ihren Gott, für diesen Christus. Für nicht wenige von ihnen ging es dabei um Leben und Tod. Das Martyrium war dafür ein deutliches Zeichen. Die Märtyrer waren geprägt von dieser Hingabe, von einem letzten Einsatz für Christus. Ob Laurentius, Agnes, Margareta, Perpetua und Felicitas, oder in unserer zeit Thomas Morus oder Maximilian Kolbe: diese Menschen waren und sind ein Zeichen für die Realität Gottes. Weil sie alles für Gott gegeben hatten, sprach ihr Leben und ihr Tod von diesem Gott. Diese Märtyrer wirkten ansteckend. Das Blut der Märtyrer war der Same für neue Christen, die Märtyrer brachten hundertfältige Frucht.

Schon bald trat neben das Martyrium ein weiteres wichtiges Lebenszeichen der Urchristenheit: die Jungfräulichkeit. Es gab Menschen, die jungfräulich lebten. Warum war für die Kirche damals die Jungfräulichkeit so wichtig? Sie ist etwas fundamental Neues. Es gibt sie von Beginn des Christentums an. Jesus selbst lebte so. Jesus spricht von Menschen, die um des Himmelreiches willen jungfräulich bleiben: "Wer es fassen kann, der fasse es" (Mt 19,12). Auch Paulus lebte jungfräulich. Jungfräulichkeit ist ein typisch christliches Phänomen. Im Alten Testament ist sie unbekannt. Jungfräulichkeit ist wie eine Frucht des Evangeliums. Auf die bekannte Frage des Petrus "Du weißt, wir haben alles ver-lassen und sind Dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?" antwortete Jesus: "... Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen" (Mt 19,27-29). Die ersten Christen haben dieses Wort Ernst genommen: alles lassen, alles für Jesus lassen und schauten dabei auch auf Maria. Sie nennen Maria interessanter-weise nicht die Gehorsame, die Demütige, sondern die Jungfrau.

Zwischen Märtyrern und jungfräulich lebenden Menschen gibt es eine Parallele: Für ihre Haltung war Gott die einzige Erklärung. Gott war die einzige Leidenschaft dieser Menschen, dieses Mannes, dieser Frau. Ihr Leben war ein einziges Zeichen dafür, dass Gott den ersten Platz im Leben. der Menschen besitzt. Jungfräulich lebende Menschen waren im heidnischen Rom, wo die Sexualität von vielen extrem ausgelebt wurde, ein klares Zeichen. Ihr Leben war echter Verkündigungsdienst.

In der Zeit der ersten Christen war auch die christliche Ehe ein starkes Zeichen. Prof. Dassmann, Bonn, hat darauf aufmerksam ge-macht, dass die Art, wie Christen ihre Ehe lebten, in den Mietska-sernen Roms großen Eindruck machte. Mitten unter Hunderten ande-rer Menschen fiel eine christliche Familie dadurch auf: Der Mann war seiner Frau treu; den Dienstboten begegnete er keusch; er stellte an diese anderen Frauen keine Ansprüche. Das machte auf die Umgebung, besonders auf die heidnischen Frauen, einen großen Eindruck. Sie spürten, dass hier ein neues Verhältnis zur Frau sich Bahn gebrochen hatte und dass dieses in einem neuen Verhält-nis zu Gott begründet war. Ein solcher Gott zog einfach an. Frauen, Nachbarinnen, auch Sklavinnen wurden nicht zu Objekten männlicher Lust degradiert. Dassmann weist daraufhin, dass eben dies der Grund gewesen sei, warum viele Frauen auf das Christen-tum aufmerksam wurden, weil sie von der Treue und der Art, wie hier die Sexualität gelebt wurde, beeindruckt waren. Solche christlichen Ehen waren Zeichen und gaben Zeugnis von Christus.

Ehelosigkeit und christlich gelebte Ehe waren in der ersten Christenheit durchaus lebendige Zeichen und bauten die Kirche auf. Ein solches Leben war für viele Menschen anziehend. Von daher rührte die Ausstrahlung der Kirche, von daher war die Kirche fruchtbar und wuchs.

3. Ehe und Ehelosigkeit als Zeichen heute

Wie steht es um die Kirche heute? In unseren Breiten kann kaum davon gesprochen werden, dass die Kirche wächst. Brauchen auch wir nicht Zeichen, die in der Gesellschaft deutlich machen, wer Gott für uns ist und was er uns bedeutet?

Wenn es eine Zeit gab, die besondere Zeichen in der Gesellschaft nötig hat, um den lebendigen Gott zu bezeugen, dann ist es unsere Zeit.

So ist neu zu fragen, wie es heute um die Zeichen der Ehe und der Ehelosigkeit steht in Bezug auf ihre Lebbarkeit, Verständlichkeit und Glaub- würdigkeit.

Nehmen wir das Zeichen der Ehe. Wenn in einem Dorf oder in einem Wohnviertel eine christliche Familie sich von einer anderen Familie außer durch das Kreuz im Flur und den Besuch des Gottesdienstes nicht unterscheidet, kann kaum von einem Zeichen gesprochen werden, das andere aufmerken lässt: Verheiratet, zwei Kinder, ein schönes Haus, äußerer Wohlstand - das ist noch kein Zeichen. So wird niemand auf Gott aufmerksam. Wo in einer Familie die Liebe gelebt wird, strahlt dies aus, wird dies auch von außen verstanden. Eine solche Ehe kann ein Zeichen dafür sein, dass Gott die Kraft zum engagierten Leben schenkt und ist. Wenn eine Familie, was ihren gesamten Lebensstil angeht, intensiv nach dem Willen Gottes fragt, wenn sie sich daraufhin für Menschen in Not öffnet, etwa ein eigenes behindertes oder krankes Kind austrägt, annimmt und begleitet oder die Großeltern mitbetreut oder Wohn-raum freimacht für Wohnungssuchende (Asylanten, Spätaussiedler, Jungverheiratete) oder sich zugunsten Hungernder in der Dritten Welt zu Konsumverzicht entschließt, dann ist dies auch heute ein Zeichen. Könnte ein solche Familie Zeichen dafür sein, dass echtes Glück nicht im Haben besteht, sondern im Geben? Denn wer gibt, verhält sich wie Gott selbst, der der Geber, Spender, Schenkende in Person ist. Dann wird nämlich Gott deutlich als der, der gibt, der spendet und schenkt. Ehe, in diesem Sinn gelebt, wird zu einem deutlichen Zeichen für Gott, ist ein Stück Kirche, das anzieht. Dieses Zeichen der christlichen Ehe entsteht nicht von selbst. Es bedarf einer Gemeinschaft Gleichgesinnter. Nicht wenige Familienkreise arbeiten heute an einem engagierten Lebensstil von Familien. Auch die Solidarität der Ehelosen mit den Familien ist ein wertvoller Impuls für christliche Familien.

Werfen wir jetzt einen Blick auf das Zeichen der Ehelosigkeit. Es geht dabei um jene, die aufgrund einer religiösen Entscheidung ehelos leben. Dass nicht wenige Menschen durch den Lauf ihres Lebens ebenfalls ehelos bleiben, sollten wir nicht vergessen. Dieser Aspekt wird hier jedoch nicht eigens angesprochen, wenngleich manches hier Gesagte für alle Ehelosen hilfreich ist. Unverheiratet zu sein, ein Single zu sein, ist noch nicht ein Zeichen. Viele Menschen leben heute so. Nicht wenige Priester werden auch deswegen beneidet, weil sie keine Kinder "am Hals" haben und nicht so sehr für konkrete Dinge zu sorgen brauchen.

Das Zusammenleben eines ehelosen Priesters mit seiner Haushälte-rin im Pfarrhaus ist als solches auch noch kein Zeichen, kann je-doch ein Zeichen werden, wenn sich beide für die Gemeinde ganz einsetzen, wenn sie das Haus öffnen für andere, wenn sie es nut-zen für Gastfreundschaft und Seelsorge, wenn sie sich hingeben im Dienst an der Gemeinde. Die gelebte Zuwendung zu anderen ist immer ein Zeichen. Was aber, wenn das Pfarrhaus sich eher ver-schließt, wenn es verbürgerlicht, wenn der Dienst nach Plan durchgeführt wird, man sich in der übrigen Zeit aber einfach ab-schottet? Hier wird deutlich, dass die Ehelosigkeit eines Prie-sters als solche im luftleeren Raum steht und noch nicht Zeugnis des Evangeliums ist, wenn sie nicht gepaart ist mit Armut / Ein-fachheit und Gehorsam / unbedingtem Eingehen auf den anderen. Priesterliche Ehelosigkeit bekommt ihren Sinn, wenn sie verbunden ist mit einem neuen Verhältnis zum Eigentum und einem neuen Ver-hältnis zum anderen Menschen. Ehelosigkeit, Gütergemeinschaft, Dienstbereitschaft für jeden Menschen - das gehört einfach zusammen.

Um in unserer Gesellschaft ein überzeugendes Zeichen sein zu können, muss die priesterliche Ehelosigkeit auch sichtbar werden lassen, dass der Mensch als solcher nicht verkümmert, sondern dass er wirklich zu seinem Menschsein in Fülle gelangen kann.

Priesterliche Ehelosigkeit kann nur gelingen, wenn sie nicht nur für Gott, sondern mit Gott gelebt wird, dadurch dass man täglich mit Gott im Gespräch ist und die eigenen Bedürfnisse klärt und verarbeitet. In der Sexualität geht es ja vor allem um die Werte der Zärtlichkeit, der Fruchtbarkeit und der Partnerschaft. Diese Werte sind jedoch nicht auf die Sexualität beschränkt, sie haben ihr eigenes Gewicht. So kann der Ehelose in seiner Beziehung zu Gott durchaus Zärtlichkeit, Fruchtbarkeit und Partnerschaft erfahren. Die abendliche Gewissenserforschung kann zum Anlass werden, auch die positiven Momente eines Tages in den Blick zu nehmen, wo Gott einen "berührte", unterstützte, sich zeigte. Es sind vielleicht Momente, wo einem, wie die Franzosen sagen, die "delicatesse du bon Dieu", die Zärtlichkeit Gottes aufgeht. Durch das eigene Leben und Mühen können andere zum Glauben kommen, es gibt die beglückende Erfahrung geistlicher Fruchtbarkeit. In Stunden der Erfolglosigkeit oder des Angefeindetseins kann einem aufgehen, dass einer immer da ist, ansprechbar ist: Gott. In solchen Stunden bekommt die Beziehung zu Gott eine besondere Tiefe und Festigkeit, die an Partnerschaft und ungebrochene Treue denken lässt. Die lebensmäßige Tiefe der Partnerschaft mit Gott und die Chance, aus der Verbindung mit Gott neues geistliches Leben entstehen zu lassen in diesem Sinn, sind für die Kirche Motiv, an der Verbindung von priesterlichem Amt und Ehelosigeit festzuhalten, ohne den Dienst von Verheirateten, die in hauptamtlichen pastoralen Diensten immer mehr in den Gemeinden angenommen werden, abzuwerten oder als weniger wichtig zu sehen. Es gibt heute beide Zeichen im pastoralen Dienst, die Ehe und die Ehelosigkeit. Meiner Meinung nach muss man sich heute dringend um Menschen mühen, die diese Zeichen setzen.

Die Priester müssen heute besonders daran arbeiten, der priester-lichen Ehelosigkeit eine neue Form, eine neue Gestalt zu geben, wenn diese geistlich fruchtbar werden soll. Wer die Ehelosigkeit nur für sich selbst lebt, lebt vielleicht wirklich ehrlich ehelos, aber das ist als solches noch kein Zeichen, das Gott aussagt, das neues Leben zeugen kann, das auch andere, auch Außenstehende, anspricht

Nicht wenige sind jedoch heute erschüttert, dass so viele Priester und Ordensleute an der Ehelosigkeit scheitern. Damit stellt sich ganz entscheidend die Frage, wie die Kirche heute mit diesem Zeichen umgehen soll. Manche schlagen vor, auf dieses Zeichen zu verzichten, einfach um so die Zahl der Priester zu vermehren. Diese Auffassung kann ich nicht teilen. Meiner Ansicht nach hat die katholische Kirche des Westens einen besonderen Schatz, den sie nicht aufgeben darf. Trotz aller Probleme, die sich heute stellen, meine ich, dass in der Ehelosigkeit eine besondere Kraft des Zeugnisses für Gott und für die Kirche liegt. Die Kirche braucht gerade heute dieses Zeichen.

Ich wage dies zu sagen, weil ich diese Frage vom Fokolar her sehe. Am Beginn der Fokolar-Bewegung steht die Berufung von Chiara Lubich zur Jungfräulichkeit. Ihr sind Tausende junger Frauen und junger Männer gefolgt, die, getroffen von der Erfahrung, dass Gott sie liebt, ihr ganzes Leben für diesen Gott in die Waagschale werfen und freiwillig ehelos leben, ohne etwas Besonderes in der Kirche zu tun oder ohne ein Priesteramt anzustreben. Sie leben einfach für Gott. Mit ihnen verbunden sind verheiratete Fokolare, die, angezogen von dem Zeugnis dieser jungfräulich lebenden Menschen, auch ihrer Ehe eine neue Tiefe und einen neuen Sinn geben konnten.

Wenn ich auf diese Menschen schaue, meine ich, dass wir das Zeichen der Ehelosigkeit, obwohl es manche in der Kirche heute nicht verstehen, nicht aufgeben sollen, sondern dass wir uns neu der Frage der Lebbarkeit und des Lebensstils der priesterlichen Ehelosigkeit stellen müssen. Wir müssen fragen: Wie kann Ehelo-sigkeit heute in der Kirche gelebt werden?

Wer sich auf dieses Zeichen der Ehelosigkeit heute einlässt, kann dies glaubwürdig nur dann tun, wenn er es ganz für Gott tut. Er darf also die Ehelosigkeit nicht einfach in Kauf nehmen, sondern er muss aus der Ehelosigkeit selbst ein Zeichen des Lebens für Gott und für die Menschen machen. Er muss sich klar darüber sein, dass die um Gottes willen gelebte Ehelosigkeit ein Verzicht ist. Wer sich für die Ehelosigkeit entscheidet, setzt aus Liebe zu Gott eine ganz bestimmte Priorität in seinem Leben, als wenn er sagte: "Zugunsten meiner Leidenschaft für Gott und der Konsequenzen, die sich daraus ergeben, verzichte ich auf Sexualität - ich habe das so entschieden und will es so." Damit stellt ein solcher keineswegs die Sexualität, die ein von Gott gegebenes Geschenk und eine wichtige Form zwischenmenschlicher Begegnung ist, in Frage oder weist dieser gar einen minderen Rang zu. Man braucht eben nicht jedes Geschenk "nutzen".

Wer die Ehelosigkeit leben will, muss sein ganzes Leben zum Zeichen für Gott machen. Die Ehelosigkeit kann dann zum Zeichen dafür werden, dass dieser Mensch sein ganzes Leben verschenkt, auch sein Hab und Gut, sein Gehalt. Zur Ehelosigkeit tritt das Leben in Gütergemeinschaft. Dazu kommt auch, dass einer sich ganz zur Verfügung stellt, dass er dient, dass er auch seine Freiheit und seinen Willen verschenkt, indem er ganz konkret für den anderen Menschen da ist, in diesem Sinne ihm gehorcht.

Es geht also um eine ganzheitlich gelebte, um eine radikal gelebte Ehelosigkeit.

Eine solche radikale Haltung wird menschlich möglich in einer Gemeinschaft, die trägt. Ehelosigkeit und Gemeinschaft gehören für mich zusammen. Darum bemühen sich nicht wenige Priester heute um die vita communis. Die vita communis kennt unterschiedliche Formen, vom gemeinsamen Mittagstisch bis zur festen Wohngemein-schaft. Letztere gibt die Kraft, sich auch für andere zu öffnen. So entsteht ein offenes Haus, in dem auch Freunde Herberge finden, wo anderen Zeit und Nähe geschenkt wird. Leben in Gemeinschaft - das erinnert an ein berühmtes Wort des Kirchenvaters Basilius, der immer wieder darauf hingewiesen hat, dass seiner Ansicht nach der allein lebende Asket im Widerspruch zum Liebesgebot Christi stünde: er könne dieses Gebot nicht umsetzen. Er könne auch seine Fehler nicht korrigieren. Basilius sagt: "Es ist leichter, ohne Steine ein Gebäude zu errichten, als allein die Vollkommenheit zu erlangen."

Hinzu kommt ein in diesem Zusammenhang sehr wichtiger Aspekt: Das Leben von Christen in Gemeinschaft bringt eine besondere Gegen¬wart Jesu mit sich. Die Verheißung, dass er dort ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind (Mt 18,20), bekommt heute ein neues Gewicht: Eine Gemeinschaft, die im Namen Jesu versam¬melt ist, kommt mit Jesus selbst in Berührung. Sie begegnet dem Auferstandenen, sie begegnet der Fülle. Manche gebrauchen zu leichtfertig dieses Wort "Wo zwei oder drei ...". Im Fokolar habe ich gelernt, dieses Wort ganz ernst zu nehmen und in seiner Tiefe auszuloten. Wo Menschen so versammelt sind, dass sie sich innerlich öffnen für die Gegenwart Christi und alles daran setzen, dass er da sein kann, und alles vermeiden, was seine Gegenwart hindert oder mindert, dort entsteht eine Gemeinschaft, die sagen kann, dass Christus in ihrer Mitte ist. Wer in einer solchen Gemeinschaft lebt, kann sich wie von selbst auf Christus ausrichten und Seine Liebe erfahren. Aus einer solchen lebendigen Christusbeziehung heraus kann die Ehelosigkeit gewagt und bestanden werden, kann aber auch Christus selbst für andere sichtbar werden. Das Leben in Gemeinschaft macht unter dieser Rücksicht die Verkündigung erst recht wirksam.

Genau an dieser Stelle treffen sich die beiden Zeichen, von denen ich hier spreche: Ehe und Familie sowie die vita communis von Ehelosen bilden Räume, die sich öffnen für die lebendige Gegen¬wart Christi, für die Liebe zum Nächsten. Dadurch spiegeln diese Räume die Wirklichkeit des dreifaltigen Gottes in unserer Gesellschaft wieder. Beide Lebensformen stehen unter dem Gesetz der Liebe. Durch die Liebe sind sie Zeichen. Sie ergänzen sich gegenseitig. Beide sind ohne den lebendigen Gott undenkbar. Durch diese ganzheitlich gelebte Liebe werden beide Lebensformen zu Zeichen, die den lebendigen Gott, der Liebe ist, bezeugen; sie machen den unsichtbaren Gott in unserer zeit sichtbar. Ehe und in Gemeinschaft, ganzheitlich gelebte Ehelosigkeit empfangen ihre Kraft und Zeichenhaftigkeit von der Liebe, der gegenseitigen Liebe, der Liebe zum Nächsten, der Liebe zu Gott.

Ehe und Ehelosigkeit können sich deswegen gegenseitig helfen. Der Ehelose verweist in seiner Radikalität, dass er wegen Gott auf eine zentrale Dimension menschlichen Lebens verzichtet, unmittel-bar und direkt auf die Absolutheit Gottes, für den es sich lohnt, alles zu geben. Der Verheiratete bezeugt in seiner Treue und in der Konkretheit seines Lebens ebenfalls diesen Gott, und zwar den Gott der Liebe, der Treue und Gemeinschaft. Beide Lebensformen ergänzen sich, befruchten sich, helfen sich gegenseitig. Die Kirche braucht beide Lebensformen.

Das Leben mit Gott und das Leben für Gott kann auch heute in beiden Formen menschlich gelingen und fruchtbar werden, priesterliche Ehelosigkeit und jungfräuliches Leben zum Aufbau der Kirche, christliche Ehe zum Aufbau der Familie

Hier können uns die geistlichen Gemeinschaften helfen, weil in ihnen in unserer Zeit ganz überraschend sowohl die Jungfräulichkeit als auch die christliche Ehe als apostolische Lebensform neu entdeckt wurden.

Wenn also Gott heute von vielen nicht mehr verstanden wird oder in eine Randposition gerät, dann ist es gerade nötig, dass die Kirche in ihrer Mitte diese lebendigen Zeichen fördert, die deutlich machen, dass Gott alles ist, dass er die Mitte ist, dass er das Glück der Menschen ist.

Vortrag in der Landvolkshochschule Freckenhorst, Mai 1992

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