Ökumenische Spiritualität -
Leben lernen mit dem Geist, der die Einheit schenkt

Hoffnung wider alle Schwierigkeiten so lehrt uns unser Glaube. Eine solche Glaubenskraft bewegte den Priester und Märtyrer der Nazidiktatur Max Josef Metzger, als er nach dem 1. Weltkrieg die Una Sancta Bewegung gründete. Das Erwachen der Kirche in den Seelen, so deutete Romano Guardini das Entstehen der liturgischen Bewegung und der Bibelbewegung nach dem 1. Weltkrieg, löste in den hermetisch gegeneinander abgeriegelten Kirchen eine Sehnsucht nach Einheit aus, die unser jetzt zu Ende gehendes Jahrhundert durchzieht. Durch die schreckliche Erfahrung der Uneinheit bei der Mission auf den verschiedensten Kontinenten, von dem neuen Interesse für die orientalischen Kirchen und die Tradition der alten Kirchenväter her, aber auch durch die ungeheuren Schrecknisse und Nöte der beiden Weltkriege, wo die Soldaten und auch die Häftlinge in den Konzentrationslagern im Angesicht des Todes den Christen der anderen Konfession als Christusgläubigen und Christusliebenden unmittelbar erfahren haben, bahnte sich die ökumenische Bewegung ihre Bahn. In Deutschland erwies sich die weitverbreitete konfessionsverschiedene Ehe in vielen Fällen als echte Brücke darum sprechen heute manche auch von konfessionsverbindenden Ehen , weil manche Paare durch die gegenseitige Bezeugung des Glaubens die Tiefe und Echtheit der anderen Konfession erkannten und dadurch noch mehr unter der faktischen Trennung und mangelnden Abendmahlsgemeinschaft litten.

Die protestantischen und orthodoxen Kirchen gründeten 1948 in Amsterdam den Ökumenischen Rat der Kirchen, dem die Katholische Kirche aus Treue zum Glauben, selber in historischer Kontinuität die Kirche Jesu Christi zu sein, nicht beitreten konnte, mit dem sie aber immer stärker und freundschaftlicher, besonders seit dem II. Vatikanischen Konzil, zusammenarbeitet. Die Katholische Kirche ist sich dennoch immer mehr der eigenen Mängel und Fehler zunehmend bewußt geworden. Diese Tatsache haben Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II. bei den so wichtigen Begegnungen mit dem Patriarchen Athenagoras, dem Primas der Anglikanischen Kirche von England und den protestantischen Präsides und Bischöfen immer wieder bekannt. Wer heute an einer Katholischen Theologischen Fakultät Kirchengeschichte hört, lernt ausdrücklich, daß die Abspaltung der altorientalischen Kirche im Jahre 451 nach dem Konzil von Chalcedon, das Schisma mit der Orthodoxie durch die Bannbulle gegen Konstantinopel im Jahre 1453 und die Kirchenspaltung im Abendland durch die Bannung Martin Luthers 1518 auch auf das Konto der damaligen Katholischen Kirchenleitung geht. Um so mächtiger brach sich durch das II. Vatikanische Konzil, das Johannes XXIII. einberief und Paul VI. glücklich vollendete, ein Ökumenismus von ungeheurer Wucht Bahn. Dem ökumenischen Gottesdienst, den Paul VI. in St. Paul vor den Mauern 1965 mit den nichtkatholischen Beratern des Konzils und allen Bischöfen feierte, folgten unzählige ökumenische Gottesdienste, ökumenische Begegnungen, ökumenische Dialoge und Arbeitsgemeinschaften auf Weltebene, Landesebene und Gemeindeebene. Die Katholische Kirche und mit ihr die nichtkatholischen Partnerkirchen haben sich wirklich kennengelernt und haben angefangen, miteinander zu arbeiten und zu leben. Die Christenheit insgesamt ist ökumenisch geworden.

Nachdem die Brücken geschlagen sind, nachdem die Kirchen sich als Schwesterkirchen erkannten, und nachdem die Gemeinden zueinander gefunden haben, schmerzt es noch viel mehr, daß die Kirchen immer noch weit von jener Einheit entfernt sind, um die Jesus in Joh 17 gebetet hat, und immer noch nicht in der Lage sind, das eucharistische Mahl miteinander zu feiern, das Jesus uns als das Unterpfand seiner Gegenwart geschenkt hat. Das Drängen zur vollen Abendmahlsgemeinschaft oder wenigstens zur gastweisen Zulassung durchzieht wie selten zuvor die öffentliche Meinung der Kirchen unseres Landes. So wundert es nicht, daß auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in diese Richtung einen Vorstoß wagte, als es zusammen mit dem Präsidium des deutschen evangelischen Kirchentages einen gemeinsamen ökumenischen Kirchentag für das Jahr 2003 nach Berlin einberief und bei der Ankündigung gleich die Erwartung aussprach, daß bis dahin die Möglichkeit einer katholisch evangelischen Abendmahlsgemeinschaft eröffnet werde. Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte sofort mit einem deutlichen und entschiedenen Nein, weil sie der Meinung ist, daß wichtige Voraussetzungen zu einer echten Abendmahlsgemeinschaft noch fehlen; ein kräftiges sofortiges Nein in diesem Punkt diene der Ökumene mehr als ein Zuwarten, dem dann doch ein Nein folgen müßte. Wer die Anstrengung der Katholischen Kirche hierzulande und auf Weltebene und im Vatikan sieht, kann unschwer erkennen, daß alles Bemühen um die Einheit nicht die Wahrheit des Glaubens, wie er gerade auch in den Konzilsdokumenten niedergelegt ist, aus den Augen verlieren darf, besonders wenn es um die Frage der Kirchengemeinschaft, des priesterlichen Amtes, der Ordination und natürlich des Bischofs und Papstamtes geht. Dabei ist in der Katholischen Kirche die Erwartung vorherrschend: Wenn wir in der Lehre über die Taufe, über die Hl. Schrift und über die Nachfolge Jesu uns so nahe kommen konnten, dann müßte geduldiges Hinhören, Suchen und Beten auch in den oben genannten Punkten weiterführen. Unübertroffenes Beispiel für diese geduldige und dadurch erfolgreiche Arbeit ist die gemeinsame Erklärung der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung (Law and order) des Weltrates der Kirchen zu Taufe, Eucharistie und Amt, das sogenannte Lima-Papier von 1981.

Ein unerwarteter Donnerschlag erschütterte viele Interessierte, als über 150 deutsche evangelische Theologieprofessoren im Sommer 1998 sich plötzlich zu Wort meldeten und die gerade in Hongkong vom Lutherischen Weltbund nach jahrelanger Vorarbeit und Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche endlich verabschiedete Konsenserklärung zur Rechtfertigungslehre in den entscheidenden Punkten als unannehmbar erklärten und damit eine tragfähige Einheit in diesem für die Reformation so entscheidenden Punkt in Frage stellten. Die Konsenserklärung, die zu jenem Zeitpunkt allen Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes und dem Vatikan zur kirchenamtlichen Annahme vorlag, stellte nämlich klar, daß die Glaubensunterschiede in dieser Frage, die im 16. Jh. zur Kirchentrennung führten, durch die Entwicklung der Kirchen auf einander zu, durch ein vertieftes gemeinsames Bibelstudium und durch die gemeinsame Glaubenspraxis nicht mehr bestehen und daß die gegenseitigen Lehrverurteilungen als nicht mehr zutreffend anzusehen seien. In dieser lutherisch katholischen Erklärung kam ein Anstoß zum Tragen, den Papst Johannes Paul II. 1980 bei seinem Deutschlandbesuch nach dem äußerst fruchtbaren Gespräch den Vertretern der EKD in Mainz gegeben hatte: das theologisch Trennende, vor allem die Lehrverurteilungen des 16. Jh., in einer gemeinsamen Kommission aufzuarbeiten. Dies war geschehen. Die Ergebnisse dieser Kommission, die in mehreren Bänden vorliegt, wirkten sich auch auf die Arbeitsgruppe aus, die seitens des Lutherischen Weltbundes zusammen mit dem Vatikan zum Thema der Rechtfertigungslehre gearbeitet hatte. Dies alles führte zu dem wichtigen Ergebnis eines Konsenses in der Rechtfertigungslehre. Manche sahen schon die Kircheneinheit in greifbarer Nähe, etwa daß sich die bisher getrennten Kirchen gegenseitig anerkennen könnten. Das entschiedene Nein der 150 Professoren zeigte, daß es so weit noch nicht war. Auch aus dem Vatikan kam die Nachricht, daß die Glaubenskongregation den Konsens zwar anerkenne, aber darauf hinweisen wolle, daß kurz gesagt die Übereinstimmung in der Rechtfertigungslehre nicht ausreiche, weil die wichtige Frage der Sakramentalität der Kirche und die Frage des geistlichen Amtes noch nicht hinreichend geklärt seien. Trotz dieser in der Öffentlichkeit weithin spürbaren Enttäuschung haben die evangelischen Synoden und der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen im Vatikan der Konsenserklärung inzwischen zugestimmt. Zu geeigneter Zeit soll die Konsenserklärung feierlich unterschrieben werden.

Der Vorgang um die Rechtfertigungslehre zeigt, daß die Ökumene wirklich Zeit braucht, um auch in der Theologie und in der Lehre einander zu verstehen und zueinander zu finden.

Konsensgespräche allein reichen nicht aus, um zur Einheit zu finden. Das Drängen an der Basis reicht auch nicht, selbst dann nicht, wenn manchmal fast mit Gewalt die Einheit eingefordert wird oder gar in blankem Ungehorsam gegenüber der Ordnung der Kirchen und ihrer Autorität eine Abendmahlsgemeinschaft praktiziert wird, die der bestehenden Ordnung widerspricht, wie es beispielsweise bei der Initiative „Kirche von unten“ gelegentlich getan wird. Hierzu bemerkt der Lutheraner Hartmut Clasen: „Doch heimlicher Vollzug der Eucharistiegemeinschaft an der Basis und heimliche Duldung von oben oder von seiten der anderen Konfession widersprechen dabei dem Wert und Sinn des Sakraments, das seinem Charakter nach eine sichtbare Wirklichkeit ist, so sichtbar wie Brot und Wein, Essen und Trinken. ‘Sooft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr des Herrn Tod, bis er kommt’ (1 Kor 11). Es geht darum, die versöhnende Wirkung seines Todes öffentlich und stiftungsgemäß durch die Gemeinsamkeit unseres Abendmahls bekannt zu machen.“ (Hartmut Clasen, Es ist allerhöchste Zeit. Die Frage des Abendmahls vor dem ökumenischen Kirchentag 2003, in: Die Zeichen der Zeit, Lutherische Monatshefte 12/98, S 30-31).

Es braucht über die Konsensgespräche und die theologische Arbeit zwischen den Kirchen hinaus und über die konkrete bewundernswerte ökumenische Praxis an der Basis und zwischen den Gemeinden und Kirchen hinaus eine vertiefte ökumenische Spiritualität. Ich denke an eine Spiritualität, die einübt und praktiziert, daß die Einheit, um die die Kirchen ringen, ein Geschenk des Heiligen Geistes ist. Die Einheit ist ein Geschenk, um das wir noch viel inniger bitten müssen. Wir können uns nicht von uns aus und auch nicht von vornherein der Einheit sicher sein, es sei denn, wir liefern uns gemeinsam diesem unserem Gott aus und bitten ihn um die Gabe der Einheit.

Eine Spiritualität, die sich um die Einheit des Lebens und Denkens bemüht, wird die Vielfalt der Gaben des Geistes Gottes im Blick behalten. Im Licht einer solchen Spiritualität kann vielleicht auch erahnt werden, warum der Heilige Geist überhaupt die Spaltung der Kirche zugelassen hat: Ob etwa nur so ein bestimmtes Glaubensverständnis geschenkt und bewahrt werden konnte, das dieser Geist einzelnen Kirchen gegeben hat und das dieser selbe Geist heute allen Kirchen schenken will? Vielleicht soll die Orthodoxie die tiefe Empfindlichkeit für das Mysterium, das Geheimnis Gottes in der Kirche allen Kirchen schenken. Die reformatorischen Kirchen könnten ihre Entdeckung der Rechtfertigung allein aus dem Glauben einbringen und die Wahrheit, die sie mit den Worten „Allein der Glaube, Gott allein, allein die Gnade“ der ganzen Kirche vermitteln. Die Römisch-katholische Kirche könnte jenen Schatz für alle bereit halten, daß sie eben glauben darf, daß sich Gott trotz aller Schwäche der Glieder der Kirche ganz konkret auf die sichtbare Gestalt dieser Kirche einläßt und gerade auch darin sich den Menschen schenken will.

In einer ökumenischen Spiritualität können sich die Basis und die Theologen der Kirche noch mehr auf das Wort Gottes selbst einlassen, um dieses wie einen fruchtbaren Samen neu in sich aufzunehmen und Frucht bringen zu lassen. Jenes Wort, in dem alles geschaffen ist, wird dann auch die Kraft haben, die vielen Kirchen zu einer einzigen Einheit zusammenzuführen. Patriarch Athenagoras von Konstantinopel, der so tiefe Freund Pauls VI., dem die Einheit der Kirche und der „eine Kelch“ ein so absolutes Lebensanliegen war, sah in der Praxis der Liebe die Energiequelle für die Ökumene. Max Josef Metzger setzte auf das Gebet. Chiara Lubich zeichnete auf der II. Ökumenischen Versammlung in Graz 1997 die Umrisse eines Ökumenismus des Volkes auf. Der Ökumenismus des Volkes greift die fundamentale Sicht des II. Vatikanischen Konzils und seiner Kirchenkonstitution auf: Kirche als pilgerndes Gottesvolk unterwegs. Der Ökumenismus des Volkes fragt nach dem, was diesem Volk zu eigen ist. Es wird schlicht und einfach festgestellt, daß das Gottesvolk zunächst einmal Jesus sein eigen nennen darf, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, die Quelle des Geistes und des ewigen Lebens beim Vater. Dem Volk Gottes ist die Schrift des Alten und Neuen Testamentes zu eigen, die Kirchenväter, die vier Konzilien, die Heiligen des 1. Jahrtausends, aber auch Heilige wie Thomas Morus, Dietrich Bonhoeffer und Edith Stein. Das Entscheidende, was dieses Volk zum Volk Gottes macht, ist der Glaube an die Gegenwart Jesu des Auferstandenen, die immer dort erfahrbar wird, wo sich Menschen im Namen Jesu versammeln. denn wo immer sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln, da ereignet sich die Gegenwart des Auferstandenen (Mt 18,20). Was in der Eucharistie zur höchsten Vollendung kommt, beginnt schon dort, wo sich Christen verbindlich im Namen Jesu versammeln und das tun, was ihnen jetzt möglich ist. Wo dieses geschieht, ist der Herr, der Auferstandene, in ihrer Mitte. Wenn sich Bischöfe und Theologen um diese Gegenwart des Herrn bemühen, dann werden sie in besonderer Weise vom Heiligen Geist erleuchtet mit einem Licht, das auch scheinbar starre Glaubensformeln öffnet und auf den darin enthaltenen göttlichen Willen hin transparent macht. Wo immer sich Christen und Theologen im Namen Jesu versammeln, können sie nicht umhin, sich auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus einzulassen. Sie werden sich der Kreuzesnachfolge stellen, weil sie im gekreuzigten Jesus Christus den tiefsten und größten Ausdruck der Liebe Gottes erkennen. Hat nicht dieser gekreuzigte Christus die Spaltung und Trennung der ganzen Menschheit auf sich genommen? Hat er nicht die Spaltung in Rassen und Völker, in Glaubende und Nichtglaubende, in Konfessionen und Kirchen, hat er nicht wirklich jede Spaltung und Trennung auf seinem Leib auf das Kreuz hinaufgetragen? Wo sich Christen und Theologen auf das Zeichen des Kreuzes einlassen, werden sie zu Anwälten und Findern und Empfängern der Einheit. Wie sollte der himmlische Vater den Bischöfen und Theologen, die sich vom Kreuz der Kirche, von ihrer Spaltung, zeichnen lassen, nicht in besonderer Weise das Geschenk der Einheit machen, wenn sie den himmlischen Vater genau darum und in diesem Anliegen um den Geist bitten?

Die Spaltung der Kirchen ist weiterhin eine Wunde. Es wäre ein Skandal, wenn eine Kirche meinen könnte, ohne die andere leben zu können. Die Kirchen und die Christen sind heute vom Heiligen Geist aufgefordert, einander zu suchen, miteinander zu leben und miteinander um das Geschenk der Einheit zu beten und zu ringen.

Vortrag in Schönstatt-Vallendar, Januar 1999

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